Renate Dorrestein: „Herz aus Stein“ (Roman)

Tödliche Mutterliebe

Renate Dorrestein: „Herz aus Stein“ (Roman)

Ein in der Kindheit erlebtes Trauma verfolgt das Opfer oft das ganze Leben lang. Ist es möglich, einer Mutter zu vergeben, die ihren Kindern aus Liebe das Schlimmste angetan hat?

Von Stefanie Feineis.

herzaussteinEllen ist schwanger und hat sich gerade von ihrem Mann getrennt, als sie in der Zeitung zufällig ihr Elternhaus zum Verkauf angeboten sieht. Sofort erwacht in ihr das Bedürfnis, hier in Zukunft mit ihrer Tochter zu leben. Doch schon nach wenigen Tagen beginnt sie sich zu fragen, was dieses Verlangen wirklich ausgelöst hat: die Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause oder der Wunsch, endlich die dunklen Erinnerungen bewältigen zu können, die sie seit Jahren zu verdrängen versucht?

Eine heile Welt zerbricht
Anfangs wuchs Ellen in einer ganz normalen Familie auf, in der sich die Eltern liebevoll um ihre vier Kinder kümmerten. Die Situation ändert sich jedoch schlagartig nach der Geburt des fünften Kindes. Ellens Mutter sucht die Schuld am kränklichen Zustand der kleinen Ida zunächst bei sich, dann bei der restlichen Familie und schliesslich bei höheren Mächten. Ellens Vater unterschätzt die Situation und zieht sich mehr und mehr vor seiner Frau zurück, die immer verschlossener und weltfremder wird. Zuletzt wird ihr gesamtes Handeln nur noch von einem Gedanken beherrscht: Sie muss die Familie beschütze, koste es, was es wolle.

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Beim Blättern durch alte Familenfotos wird für Ellen nicht nur die Vergangenheit wieder lebendig, auch verstorbene Familienmitglieder, frühere Freunde und nicht zuletzt ihre eigene innere Stimme machen sich immer deutlicher bemerkbar. Sie erkennt plötzlich, wie sehr sie all die Jahre darunter gelitten hat, keine eigenen Wünsche und Ziele zu haben, sondern nur für ihre toten Geschwister zu leben und deren Träume verwirklichen zu müssen. Zudem wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ihre Eltern zu verstehen, um ihnen vielleicht endlich verzeihen zu können. Doch dazu muss sie sich zuerst ihren schmerzhaften Erinnerungen stellen.

Berührend und realistisch
Renate Dorrestein – eine heute in den Niederlanden sehr bekannte Autorin – zeichnet sämtliche Figuren liebevoll und genau. Alle zeigen typische kleine Schwächen wie Eifersucht, Ignoranz und Wut, aber auch sympathischen Züge wie Liebe und Mitleid. So ist auch die Mutter, obwohl sie bis zum Äussersten geht, in ihren Gefühlen stets nachvollziehbar und zu keiner Zeit ein grausames Monster. Ellens Kindheit, ihr Trauma und der Versuch, dieses zu überwinden, werden psychologisch dicht, realistisch und unglaublich spannend aufgezeigt.

Dieser Roman, der bereits 1998 erschien und hier in einer Neuübersetzung vorliegt, zieht den Leser unweigerlich in seinen Bann und beschäftigt noch weit über die Lektüre hinaus.

C.Bertelsmann Verlag:
271 Seiten, ca. CHF 30.90


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