„Sade“ von Benoît Jacquot

Die Sadisten sind die anderen

„Sade“ von Benoît Jacquot

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Marquis de Sade verbrachte den Grossteil seines Lebens in Gefängnissen, was ihn jedoch nicht davon abhielt, seine Geschichten über Sex und Gewalt an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Benoît Jacquots „Sade“ zeigt den Skandalautor jedoch nicht als Perversen, sondern als redegewandten, charmanten Intellektuellen, der von seinen Zeitgenossen missverstanden wurde. Ein hervorragender Film auf einer mies konzipierten DVD.

Von Lukas Hunziker.

Als 1794 unter Robespierre immer mehr Adlige das Schicksal von Louis XVI und Marie Antoinette teilen und auf der Guillotine ihren Kopf verlieren, droht auch dem als Atheist und Perverser geltende Marquis de Sade das Todesurteil. Dank der Unterstützung seiner einflussreichen Geliebten bekommt er ein Zimmer in einem Luxusgefängnis, wo er mit anderen Adligen abwartet, ob die Republik auch ihre Köpfe fordern wird. Die Mehrheit seiner blaublütigen Mitgefangenen meidet ihn wegen seines blasphemischen Geschwätzes und den Gerüchten über sein ausschweifendes Leben. Nur eine junge Dame namens Emilie ist gerade deswegen vom Marquis fasziniert. Obwohl angewidert von seiner Literatur sucht sie seine Gesellschaft immer öfters, um zu verstehen, warum er als einziger keine Angst vor der möglichen bevorstehenden Hinrichtung ist. Während Emilies Selbstvertrauen wächst und sie begreift, dass sie ihr Leben nie ausgekostet hat, wird im Park des Gefängnisses schon einmal ein Massengrab geschaufelt.

Kein Film über Sex

Wer „Sade“ wegen des DVD-Covers kauft, welches eine Szene zeigt, die im Film nie so zu sehen ist, wird enttäuscht werden; wer die DVD wegen des Covers nicht kauft, macht hingegen einen Fehler. Der Slogan „Folge deiner Lust“, ebenfalls auf dem Cover, kommt im Film so ebenfalls nicht vor; das Zitat heisst richtig: „Folge deinem Instinkt“. Sexszenen gibt es genau eine, und die hat wenig mit Lust zu tun. Benoîts Drama ist weder eine Neuverfilmung von Jesus‘ Francos „Justine“, noch porträtiert es den Erfinder des Sadomasochismus. „Sade“ zeigt einen kurzen Lebensabschnitt des Marquis de Sade und einen wichtigen Moment in der französischen Geschichte. Der Marquis wird nach der Französischen Revolution gerade so dämonisiert wie vorher. Im Film wird er als unverstandenes Genie gezeigt, das die Welt als Theater sieht, über das es sich nicht aufzuregen lohnt.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Ein Vergleich mit dem Film „Quills“ liegt nahe, welcher Sade (gespielt von Geoffrey Rush) als zwischen Genie und Wahnsinn gefangenen Lüstling interpretierte. Bei Jacquot ist der Marquis ein Mensch, ein Schriftsteller und ein Intellektueller, der weniger wahnsinnig ist als die Adligen, mit denen er eingesperrt ist. Die Sadisten sind die anderen, vor allem Robespierre und seine Anhänger. Daniel Auteuil spielt Sade zwar als Schwätzer und Flegel, der aber ebenso geistreich wie verdorben reden kann. Auch der Rest der Besetzung brilliert, allen voran die kaum volljährige Isild Le Bresco, die Emilies zurückhaltende Faszination für den legendären Marquis subtil und eindrücklich umsetzt. „Sade“ ist ein feinfühlig inszeniertes, gegen Ende immer spannender werdendes Drama, erstklassig besetzt und (fast) keine Klischees über seine Hauptfigur bedienend.

Ausstattung

So viel man am Film loben kann, so viel kann man an der DVD kritisieren. Wie schon erwähnt, erweckt das Cover den Eindruck, es handle sich um einen zweitklassigen Erotikfilm. Dazu kommt, dass die deutsche Synchronisierung schlicht scheusslich ist – der Film lässt sich nur, wirklich nur in der französischen Originalfassung gebührend geniessen. Auch an Bonusmaterial bietet die DVD reichlich wenig. Die lieblos zusammengeschnittenen Interviews mit Regisseur und Darstellern verwirren, da die Fragen, auf welche geantwortet wird, fehlen und teils nicht immer erraten werden können. Schade. Gerade historische Filme sind für Bonusmaterial prädestiniert und wer zum ersten Mal etwas von Sade hört, möchte bestimmt gerne mehr wissen. So muss der Film für den Marquis sprechen. Immerhin macht dieser das ausgezeichnet.


Ab dem 27. Januar 2007 im Handel.

Originaltitel: Sade (Frankreich 2006)            
Regie: Benoît Jacquot
Darsteller: Daniel Auteuil. Marianne Denicourt, Isild Le Besco, Jean-Pierre Cassel
Dauer: 98 Minuten
Bildformat: 16:9 (anamorph)
Sprachen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch, Französisch
Audio: Dolby Digital  5.1
Bonusmaterial: Interviews mit Benoît Jacquot, Daniel Auteuil und Isild Le Besco, Trailer
Vertrieb: Moviemento

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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