„Reign over Me“ von Mike Binder

Die Macht der Freundschaft

„Reign over Me“ von Mike Binder

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Die USA tun sich schwer, die Anschläge vom 11. September filmisch gut zu verarbeiten; bisherige Versuche wie „World Trade Centre“ scheiterten daran, dass sie glaubten, Helden seien für eine filmische Thematisierung unabdinglich. „Reign over Me“ macht diesen Fehler nicht, umgeht geschickt auch alle anderen Fettnäpfchen und schafft es als erster Film, sich auf die menschliche Tragödie der Ereignisse zu beschränken.

Von Lukas Hunziker.

Im Zentrum der Story steht Alan, ein wohlhabender Zahnarzt, der alles zu haben scheint, was man sich wünschen kann, und doch nicht glücklich ist. Zufällig trifft er auf der Strasse seinen College-Zimmergenossen Charlie wieder, der einst wie Alan ein erfolgreicher Zahnarzt war. Doch Charlies Leben nahm am 11. September eine grausame Wende; er verlor seine gesamte Familie, als deren Flugzeug in einen der Towers gesteuert wurde. Seither lebt Charlie allein in der alten Wohnung, renoviert immer wieder seine Küche neu, geht seinen Schwiegereltern aus dem Weg und verbringt seine Zeit mit Videospielen und Musik hören. Auch Alan erkennt er bei ihrer Begegnung erst nicht wieder, erklärt sich dann aber einverstanden, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen. Langsam freunden sich die beiden an, verbringen ihre Zeit mit Game Sessions, Jam Sessions und Chinesisch Essen. Alles geht gut, bis Alan versucht, mit Charlie über dessen Familie zu reden.

Die Salbe der Verdrängung

„Reign over Me“ scheut nicht vor dem kontroversen Statement zurück, dass Verdrängung manchmal besser sein kann als jede psychologische Betreuung, dass der Versuch, über schreckliche Ereignisse zu schweigen und „normal“ weiterzuleben, keine schlechte Lösung ist. Der Film bietet als Lösung zur Bewältigung eines Verlustes vor allem eines an: Freundschaft. Dies mag banal klingen, doch der Film zeigt, dass gerade diese Lösung nicht einfach ist, da wir oft die fixe Idee haben, dass Freunde dazu da sind, um ihre Probleme zu bereden – was auch mal gerade das Falsche ist. So kommt es zwar zur Szene, in welcher Charlie Alan von ‚jenem‘ Tag erzählt und ihm offenbart, warum er immer wieder die Küche renoviert, doch ist sie – und wie selten sieht man das – frei von Pathos, Kitsch und Klischee, und . „Reign over Me“ schafft das Kunststück, gleichzeitig sehr emotional zu sein, aber dabei immer authentisch, ohne Verklärung und Verzerrung durch filmische Mittel. Charlie macht keinen grossen Wandel durch, wird nicht geheilt durch die Freundschaft, sondern macht gerade mal ein paar kleine Schritte in Richtung Vergangenheitsbewältigung. So gibt es kein Happy End, aber ein sehr hoffnungsvolles Ende – sowohl für Charlie als auch Alan, der durch die Freundschaft zu Charlie fast ebenso gerettet wird wie umgekehrt.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Frei von patriotischem Pathos

Wer auf dem DVD-Cover Adam Sandler sieht und in „Reign over Me“ typischen Sandlerschen Ulk vermutet, liegt mehr als falsch. Bereits in „Spanglish“ hat Sandler bewiesen, dass er ernste Rollen spielen kann, in „Reign over Me“ zeigt sich sogar, dass er ohne Vorbehalte auch als Charakterschauspieler eingesetzt werden darf. Charlie ist keine einfache Rolle, doch Sandler meistert sie mit Bravour. Generell ist der Film schauspielerisch schlicht hervorragend, die Musik wird massvoll und sehr effektiv eingesetzt, die Kameraperspektiven sind gut gewählt, das Licht ist immer auf die Atmosphäre abgestimmt – Regisseur Mike Binder hat schlicht alles richtig gemacht. Nicht zuletzt war auch er es, der das Drehbuch geschrieben und so den Grundstein zu der bisher weit besten Bearbeitung der Ereignisse vom 11. September gelegt hat. Das Datum wird im Film nur einmal in einem Nebensatz erwähnt und die politische Statements sucht man ebenfalls vergeblich. Der Film schafft somit genau das, was bisher noch nicht gelungen ist, die Ereignisse als rein Menschliche Tragödie zu sehen, deren Auslöser eigentlich völlig egal ist. Und so gibt es Gründe genug, „Reign over Me“ bedenkenlos und überzeugt weiterzuempfehlen.

Ausstattung

Das viertelstündige ‚Making of‘ ist zwar mehr ein von Filmausschnitten durchzogenes Interview mit Regisseur Mike Binder, doch ist es einerseits sehr informativ und andererseits atmosphärisch ebenso gut in Szene gesetzt wie der Film selbst. Zudem schafft es die DVD, endlich mal eine sehenswerte Bildergalerie zu zeigen, in welcher die Bilder zum Titelsong des Films in gutem Tempo und guter Qualität gezeigt werden. Einziger Wehmutstropfen ist, dass die beiden Hauptdarsteller nur in einem Mini-Interview zur Jam-Session-Szene zu Wort kommen, und selber keine Stellung zum Film beziehen. Ansonsten lässt sich zum Bonusmaterial sagen: klein aber fein.


Seit dem 24. Januar 2008 im Handel.

Originaltitel: Reign over Me (USA 2007)            
Regie: Mike Binder
Darsteller: Adam Sandler, Don Cheadle, Liv Tyler, Saffron Burrows, Donald Sutherland
Genre: Drama
Dauer: 119 Minuten
Bildformat: 2.40:1 (16:9)
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Türkisch
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Jam Session mit Adam Sandler und Don Cheadle, Mike Binder über die Geschichte des Films (‚Making of‘), Bildergalerie, Trailer
Vertrieb: Impuls

Im Netz
Trailer

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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