Dietmar Dath: „Für immer in Honig“

(It Is) The End of the World as We Know It

Dietmar Dath: „Für immer in Honig“ (Roman)

Shortlist des Deutschen Buchpreises, Auszeichnungen als Kritiker, Ernennung zum Experten in Kluges „Kapital“-Verfilmung: 2008 markiert das Jahr, in dem Dietmar Dath offiziell der Exotenecke entwachsen ist. Zu diesem Anlass wird sein Opus magnum neu aufgelegt – Leninismus, Diskursanalyse, Zombies etc. inklusive.

Von Christof Zurschmitten.

honigWenn jemand ein 1000-Seiten-plus-Buch abgeliefert hat, ein Buch zumal, das in seiner äusseren Form einem Ziegel so nahe kommt wie kaum ein anderes, ein Buch, das so ziemlich jedes wohl geordnete Bücherregal sprengt, ein Buch, dem auch in Sachen Inhalt kaum beizukommen ist – ist es da fair, statt über das Buch erstmal drei Abschnitte lang über seinen Autor zu reden? Ist es, wenn das Buch „Für immer in Honig“ und sein Autor Dietmar Dath ist. Ein Opus magnum, wenn es denn je eines gab, und, wie Dath zum ersten Erscheinen des Buches anno 2005 meinte:  „vollständig alles, was im Rückblick auf alles, was ich seit 1994 gearbeitet habe, zu sämtlichen Dingen zu sagen war, die ich für wichtig halte“. Voilà – so viel Ehrgeiz muss selbst hinter vorgehaltener Umstands-Syntax erstmal sein.

Und Dath hat verdammt viel gearbeitet seit jenem Jahr, als er „Cordula killt Dich!“ fertig stellte – eine Art Vorgeschichte zu „Für immer in Honig“ und das erste verlegte Buch im eigens dafür gegründeten Verbrecher Verlag. Dath war unter anderem Chefredakteur der „Spex“, jenes Zentralorgans des deutschen Pop-Journalismus, in dem einst der Geist von 1978 hauste und die Einebnung von Gräben predigte – zwischen high- und low culture vor allem, aber nicht zuletzt auch zwischen (linker) Theorie und (journalistischer und Lebens-)Praxis. Dath zog von Köln nach Frankfurt und arbeitete als Redakteur im Feuilleton der FAZ. Schliesslich wurde er hauptberuflich, was er nebenamtlich schon seit 1994 war: Viel- und besserwissender Schriftsteller.

Mit mittlerweile stolzen 21 Büchern unter dem Gürtel, einigen Romanen, einigen Streitschriften, einigen Essay- und Thesenbänden, einigem Unklassifizierbaren auch (die meisten Bücher irgendwo dazwischen). Bücher über Obskures und Okkultes, über mathematische Konzepte und leninistische Weltentwürfe, über drastische Filme und nicht minder drastische Zukunftsvisionen – in der exakten Schnittmenge der Themen dürfte sich ausser Dath kaum jemand finden. 21 Bücher also, die ohne Publikum geschrieben wurden, aber sich nach und nach hartnäckig eines geschaffen haben. Siehe auch den Wechsel vom Verbrecher- zum Suhrkamp-Verlag, und dann, am Ende aller Tage, anno 2008 also: Die endgültige Entdeckung des Dietmar Dath durch seinen Sci-Fi-Roman „Die Abschaffung der Arten“.

Eine verdammte weite Strecke also, die der Mann im öffentlichen Bewusstsein zurückgelegt hat. Dass „Für immer in Honig“ nun zum zweiten Mal (und erstmals in anständiger Auflage) unters Volk gebracht wird, erscheint da nur folgerichtig – schliesslich stellt es nicht nur eine entscheidende Wegmarke auf dieser Strecke dar, sondern zugleich auch eine Zusammenfassung all dessen, was am Wegesrand lauerte.

Makabrer Tanz
„Für immer in Honig“ neigt zum Ausufern, und es ist schon viel verlangt, auch nur die Linie dieser Küsten zu umschreiben – alles, was von ihnen umschlossen wird, erschliesst sich allenfalls bei einer Lektüre so nach und nach. Festhalten immerhin kann man: das Buch besteht aus drei Teilen – vor, während und nach der Katastrophe.

Im ersten Teil des Buches folgen wir in losgelösten Handlungssträngen einer Reihe unauffälliger Existenzen: Da haben wird zum Beispiel Phillip, einen alkoholabhängigen Mathelehrer, der vom Leben gebeutelt zurückkehrt in das Kaff seiner Jugend. Er will eigentlich nichts als seine gottverdammte Ruhe haben, kommt aber dem Anführer der örtlichen Neonazigang ins Gehege. Oder wir haben Robert, Ex-Chef-Redakteur einer Zeitschrift für Populärkultur, amtierender Feuilletonredakteur einer grossen Tageszeitung und irgendwie verdaddelt im Dickicht des subkulturellen Berlins (Dath dazu klärend im Nachwort: „So eine Pfeife bin ich nicht.“) Robert lässt sich auf eine gewagtes Unternehmen ein: Um die sesselklebende Linksintelligentsia mit einer gehörigen Portion Praxis aus ihrem realitätsentrückten Diskursgehabe zu scheuchen, fingiert er eine verhängnisvolle Affäre mit einer Minderjährigen.

Auch wenn Dath in diesem Teil offensichtlich mit beiden Händen aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz schöpft und mit geballten Fäusten Seitenhiebe und -knuffe an durchaus wiedererkennbare Zeitgenossen austeilt, ist das Ganze so realistisch nicht: Die Welt, in der „Für immer in Honig“ spielt, ähnelt stark dem Ende des 20. Jahrhunderts unserer eigenen Zeitrechnung. Eigentlich aber ist es eine Parallelwelt, nachhaltig verändert durch neue Wissenschaften wie die „Mythizin“, die Verstorbenen ein Weiterleben als technisch modifizierte „Zombotiker“ erlaubt.

Und während die Handlungsstränge allmählich zueinander finden, gesellen sich auch immer mehr Bausteine des Fantastischen hinzu: Dämonenwesen und -jägerinnen (Dath zum Entstehungsprozess: „Auch der Fernseher lief oft“. Ein besonderer Knicks geht Richtung „Buffy The Vampire Slayer“, der Dath vormals bereits eine Monographie gewidmet hat). So genannte „W“, die über Superkräfte verfügen, ihrer Eigenschaft als fleischgewordene Kategorientheorie wegen (oder so ähnlich – der naturwissenschaftlich beschlagene Dath legt dem „Science“-Aspekt in seiner Fiction grundsätzlich einigen Wert bei). Und schliesslich hat auch das Heer der guten alten Zombies seinen Auftritt und stürzt die Welt ins Chaos – „Totentanz“ heisst das dann, man könnte es aber auch einfach Apokalypse nennen.

Enzyklopädischer Unsinn
Doch damit befinden wir uns schon im zweiten Teil, und „Für immer in Honig“ wird vollends global: Daths Fokus weitet sich über Deutschland hinaus, erfasst den umkämpften Nahen Osten ebenso wie die französische Riviera, an der wilde Orgien das Ende der alten Ordnung besiegeln, oder die USA, wo Präsidentin Hillary Clinton um die Neuordnung der Welt besorgt ist (hier mag Dath knapp daneben gelegen haben – was er aber bereits 2005 vorauseilend über kommende Finanzkrisen schrieb, ist, aber das nur nebenbei, im Rückblick verflixt prophetisch zu lesen). Die neue Ordnung wird eine Neuauflage des Leninismus sein, wie uns in einem mitgelieferten, sehr umfangreichen Traktat erklärt wird – aber das ist schon eine Frage des dritten Teils.

Bevor es dazu kommt, wird in schnellem Tempo debattiert, drastisch gestorben, geblutet, gefightet und gefickt (und manchmal auch ein wenig geliebt). Auch wenn er nicht alle von ihnen gleichermassen beherrscht – er beschreibt zerbrochene Hirnschalen und Gesellschaftsstrukturen ungleich besser als gebrochene Herzen – zieht Dath also alle Register. Das Spektrum der Textsorten, Schauplätze, Themen und Personen ist dermassen breit, dass man mit Fug und Recht von einem enzyklopädischen Roman sprechen darf – wenn ihm auch die rigide Ordnung abgeht, die derartige Projekte sonst aufweisen.

Im Gegenteil, Daths Roman ist unübersichtlich und unausgewogen, er springt von hier nach da und fragt dabei selten, ob der Leser überhaupt mitkommt. Der aber ist ohnehin aufgefordert, aus diesem Buch mitzunehmen, was er will und kann, wie auch Dath selbst sich nach Belieben bedient an allen erdenklichen Archiven: vom Zombiefilm zur Zeitgeschichte, von der politischen zur mathematischen Theorie, von der Teenie-Serie zum kanonischen Roman – erlaubt ist, was interessiert; das aber gehört unbedingt behandelt und zusammengeschlagen, möglichst mit Ursprungsdeklaration. Es ist demnach auch müssig zu fragen, ob das nicht alles etwas lang geworden ist (selbstverständlich!), etwas sorgfältiger hätte bearbeitet werden können (nicht in der notwendigen Zeit und Eile) oder gar manchmal etwas nervt (tut es und darf es!):

„Für immer in Honig“ bleibt bei alledem bestehen als der Roman, der ultimativ all die Gräben zuschüttet, die seit den 60ern von Theoretikern wie Praktikern des Pop argwöhnisch beäugt wurden (und einige neue, die zu entdecken es erst den Scharfblick eines Dietmar Dath brauchte). In diesem – und nur diesem – Sinne ist Daths Opus magnum Pop-Literatur, und als solche sogar der konsequenteste Pop-Roman der jüngeren Erinnerung. Dass das alles mit Trivialität nicht das Geringste, mit Unterhaltsamkeit aber durchaus einiges zu tun, versteht dabei sich von selbst.

Verbrecher Verlag

1035 Seiten, ca. CHF 60.90

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