„Rescue Dawn“ von Werner Herzog
Irre fröhlich
„Rescue Dawn“ von Werner Herzog
Was macht eigentlich Werner Herzog dieser Tage? Good ol’ Werner, natural born Wunderkind des Neuen Deutschen Kinos? Nun, Werner Herzog ist mittlerweile um die 60, kein bisschen weiser als ehedem und macht nach wie vor sehenswerte Filme – in „Rescue Dawn“ sogar mit Starpower. Warum eigentlich schaut da niemand hin?
Von Christof Zurschmitten.
Man wäre nur allzu gern Tapete an der Wand gewesen bei diesem Vorstellungsgespräch: Werner Herzog, wie er da Christian Bale gegenübersitzt und ihn mit schwerstem deutschem Akzent zu diesem Filmprojekt überredet: „Bist du bereit, Christan“, so hätte es wohl geheissen, „30kg abzunehmen?“ (Ja, hätte er wohl gedacht, hab ich bei „The Machinist“ ja auch geschafft.) „Willst du, Christian, durch schlangenverseuchte Gewässer waten? Christian, sage mir, willst du lebenden Schlangen den Kopf abbeissen? Tagelang barfuss durchs thailändisches Unterholz robben? Von Blutegeln angefressen werden? Willst du, Christian diese Dinge gemeinsam mit mir tun?“ Dass dieses Gespräch stattgefunden hat, ist verbrieft. Wie lange Bale gezögert hat, dagegen nicht. Aber Herzog wäre nicht Herzog, wenn er mit seinem selbstzerstörerischen Eifer nicht immer schon unwiderstehlich gewesen wäre. Christian konnte also gar nicht anders: Er wollte. Er sollte sein Fett abkriegen. Und wir, die Zuschauer, „Rescue Dawn“: Herzogs ersten englischsprachigen und vielleicht auch zugänglichsten Film, umweht von einem Hauch von Hollywood und viel Heldenmut. Das kann man amerikanisch nennen, aber universal verstehen. Trotzdem – viel Aufhebens wurde um den Film nicht gemacht.
Wenig markttauglich, aber wahr
Zugegeben, durch die Marketing-Brille gesehen kann es nicht wirklich überraschen, dass dieser Film unter dem Radar blieb: Wieviele Filme (Doku- wie Spiel-) hat dieser Mann eigentlich gemacht? Er gibt zu, es selbst nicht mehr so genau zu wissen. Diesem Werkpfad zu folgen, könnten sich eigentlich nur Akademiker und Nerds leisten – und bekanntlich sind nur Letztere allenfalls in der Lage, ein Objekt ihrer Huldigung in die Sphären des populären Bewusstseins zu schiessen. Nur waren Herzogs Filme – zieht man den Kinski-Bonus ab – von jeher so was von spröde, so was von anti-ästhetisch (O-Ton Herzog), kultfeindlich gar, dass es aus diesem Lager nichts zu holen gibt. Auch wenn es in „Rescue Dawn“ in ungewohnter Weise knallt und zischt – immer wieder gerät einem die herzogsche Distanz in das Räderwerk der emotionalen Beteiligung. Und dann ist es auch noch ein (Prä-)Vietnamkriegsfilm, und das in 2006! Als ob die USA nicht schon längst wieder ihre traumatisierten Bewusstseine neuen selbstverschuldeten Krisen zugewandt hätten… dass man von diesem Film nicht viel gehört hat, darf einen also nicht wundern. Dauern dagegen schon: Schauen wir uns das Ganze also doch etwas näher an:
Anno 1965, bevor der Vietnam-Krieg noch medienwirksam tobte, war im Dschungel bereits die Hölle los: Dieter Dengler, ein Amerikaner deutscher Herkunft, sollte einen streng geheimen Bombenangriff gegen Laos fliegen – und wurde dabei abgeschossen. Er überlebte den Absturz, der allerdings nur einen Vorgeschmack auf kommende Schrecken darstellen sollte: Irgendwie schlug Dengler sich durch, irgendwohin ins grüne Nichts, wurde dort vom Vietkong aufgegriffen und in ein Gefangenenlager gebracht. Dort gelang es ihm, dank genialischem Einfallsreichtum und unverbrüchlichem Optimismus, einen Haufen traumatisierter und verwirrter Mitgefangener zu einer Flucht zu bewegen – mittenhinein ins grüne, tödliche Nichts. Er magerte auf knapp 40kg ab, überlebte als Einziger und wurde schliesslich von amerikanischen Soldaten aufgefunden und zum Kriegshelden gefeiert.
Auch diese Geschichte ist verbrieft, Dieter Dengler hat sie selbst erzählt, in Herzogs Dokumentarfilm „Little Dieter Needs to Fly“ – ein Titel, etwas verniedlichend vielelicht im Ton, aber ihrem Helden durchaus angemessen. Dieter Dengler, so wollen es Zeitzeugen und er selbst, war nämlich ein Mann von fast schon kindlicher Frohnatur – die, je nach Situation und persönlichem Gusto, genau so ansteckend wie nervtötend hätte sein können. Im Dschungel von Vietnam aber wurde sie zur Überlebensstrategie, die irrsinnige Hoffnung aufs Überleben und das Vertrauen in die eigene Kraft zum letzten Antrieb.
Zerfallserscheinungen
„Rescue Dawn“ erzählt diese unwahrscheinliche Geschichte noch einmal, diesmal mit den Mitteln des Spielfilms. Authentischer wird sie dadurch nicht, aber zugänglicher: Manche Szenen sind schon fast zu gefällig, etwa dieser hurra-patriotische Schluss, bei dem man sich fragt, ob Herzog das wirklich ernst meint. Meistens stellt sich diese Frage jedoch nicht, und das ist nicht die geringste Leistung des Films. Zu verdanken ist es nicht zuletzt seinen Schauspielern:
Christian Bale liefert als Dengler nichts weniger als eine der besten Leistungen seiner Schauspielkarriere ab. Er lässt keine Zweifel daran, dass er hart an seinen physischen Grenzen spielt – und schmettert an den richtigen Stellen genau jenes spitzbübisch-fette Grinsen dazwischen, das zu gleichen Teilen an Wahn und Unbedarftheit grenzt, unter den gegebenen Umständen aber auf jeden Fall Bewunderung verlangt. Bale zur Seite stehen als kaputte Mitgefangene Jeremy Davies in einer manischen Darstellung und der brillant aufspielende, langsam unter den Augen der Zuschauer wegbrechende Steven Zahn.
An diesen Hochleistungen dürfte auch Herzogs berühmt-berüchte Schauspielführung nicht unbeteiligt sein – wenn er Bale fragte, ob sie die Strapazen des Drehs gemeinsam auf sich nehmen wollten, dann meinte er das durchaus wörtlich. Herzog verlangt seinen Schauspielern nie etwas ab, das er ihnen nicht als erster vormacht. Er stürzt sich selbst in reissende Fluten, durchforstet undurchdringliches Unterholz, das war schon in Zeiten von „Aguirre“ und „Fitzcaraldo“ so und es hat sich bis heute nicht geändert. Bale nennt das einen „adventuring spirit“, und die Lust am Abenteuer ist Herzog anscheinend auch im Rentenalter nicht vergangen.
Dass dieses ihn etwas milder gestimmt hat, können wir nur vermuten – „Rescue Dawn“ ist thematisch etwas zugänglicher, formal etwas weniger reduziert als seine früheren Filme. Aber immer noch spielt sich die meiste Action auf den Gesichtern der Protagonisten ab, immer noch ist der Optimismus seines Akteurs nicht nur Heldenmut, sondern auch Wahn. Werner Herzog mag in Amerika zum grösseren Format gefunden haben. Dass er immer noch jenseits des Mainstream-Publikums agiert, mag aber auch bedeuten, dass sich – dankenswerterweise – im Kern so viel doch nicht geändert hat.
Ausstattung
Die einzige Kritik gilt den fehlenden Untertiteln; der Film präsentiert sich nur im originalen Englisch oder der deutschen Synchro. Abgesehen davon lässt sich die DVD aber nichts zu Schulden kommen: Es gibt die üblichen Verdächtigen wie Trailer, Deleted Scenes und eine Fotogalerie. Es gibt aber auch einen Audiokommentar von Werner Herzog und Norman Hill und sehr gute Hintergrundinfos zu diversesten Aspekten, von Dieter Denglers Geschichte über die Auswahl der Schauspieler bis hin zur Kameratechnik, samt Interviews mit allen relevanten Beteiligten. Gut gemacht.
Seit dem 15.1.2009 im Handel.
Originaltitel: Rescue Dawn (USA 2006)
Regie: Werner Herzog
Darsteller: Christian Bale, Steve Zahn, Jeremy Davies
Genre: Survival-/Präkriegs-Film
Dauer: 126 Minuten
Bildformat: 16:9 (1.85:1)
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Audiokommentar, Making of, Hintergrundinfos, Deleted Scenes, Trailer
Vertrieb: Impuls