Die momentane Krise wird alle beschäftigen, jeden auf seine Weise. Um die Medienberichte kommt man heute nicht mehr herum. Erdrückende Schlagzeilen dominieren die Medienlandschaft. Wohl lange spielte sich dadurch die Wirtschaftskrise nur in den Köpfen ab, ohne den entscheidenden Bezug zum Portemonnaie. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) prognostiziert jedoch noch für dieses Jahr eine Rezession. Eine düstere Zukunft? Sehen wir doch auch mal die Chancen, welche daraus resultieren könnten.
Die Schweizer Bevölkerung spürte bislang die Folgen der Wirtschaftskrise kaum. Dies wird sich jedoch laut SECO noch in diesem Jahr ändern. Die Bevölkerung braucht trotzdem keine Medienhetze. Die Krise könnte auch zu einem neuen, besser reguliertem Finanzsystem führen.
Wirtschaftskrise als Verkaufsargument
Die Rezession wird also kommen. Laut Prognosen des SECO mit einem Wirtschaftsrückgang um die 2,2 Prozent. Schweizerinnen und Schweizer haben in der letzten Zeit viel über die Finanzkrise gelesen. Man wurde, ob man nun wollte oder nicht, mit diesem Thema überschwemmt. Tatsächlich war es unmöglich nicht mit dem Thema Finanzkrise konfrontiert zu werden. Die Krise aber auch zu spüren ist wieder etwas anderes. Bisweilen spielte sie sich bei der Schweizer Bevölkerung hauptsächlich in deren Köpfen ab. Die Medienberichte schürte eine Existenzangst in der Bevölkerung: «Blick» setzt plakativ drei Ausrufezeichen nach der fettgedruckten Schlagzeile – muss er ja auch, schliesslich lebt die Boulevardzeitung von dieser Angst. Wir müssen uns mit der Wirtschaftslage auseinandersetzen, das ist klar. Jedoch ist es in dem Interesse aller, wenn dies auf konstruktive Weise geschieht.
Rezession als Chance
Natürlich traf es einige wirklich hart: Während einige ihren Job verloren, mussten andere einfach zusehen, wie ihre Aktien dahin schrumpften. Aber wie viele spüren die Krise wirklich? Der Luzerner FSP Psychologe Carlos Menti bemerkt bei seinen Patienten noch keine Sorgen im Bezug auf die laufende Krise: «Ich habe zwar Klienten aus verschiedenen beruflichen Bereichen und sozialen Schichten, bei den Beratungsgesprächen ergab sich jedoch noch kein Bezug zur Krise. Ich schätze, dass psychische Probleme infolge vermehrter Sorgen und Ängste aufgrund der Finanzkrise bei uns erst noch kommen werden». Warum aber diese Krise trotzdem eine Chance für die Zukunft sein kann, erklärt der Zukunftsforscher Georges T. Roos im Interview.
Interview mit Georges T. Roos
Portrait von Georges T. Roos
Georges T. Roos beschäftigt sich seit zehn Jahren mit den strategischen Zukunftsherausforderungen von Unternehmen und Organisationen.
1997 wurde er Mitglied der Geschäftsleitung des renommierten Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon/Zürich. Das GDI gilt europaweit als einer der massgebenden Think Tanks zur Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft.
2000 gründete Roos sein eigenes Institut ROOS Büro für Kulturelle Innovation. Schwerpunkt ist die strategische Zukunftsberatung von Unternehmungen und Organisationen. Das Institut ist unter anderem für Technologie-, Produktions- und Logistik-Unternehmen, Banken und Versicherungen und für gemeinnützige Organisationen tätig.
nahaufnahmen:Sie bieten Beratungen für Firmen an – wäre das auch für Privatpersonen denkbar?
Roos: Nein, das ist für mich kein Thema. Als kleines Institut mache ich Studien, Vorträge oder unterstütze Organisationen bei der Installation von Früherkennungssystemen, aber keine Lebensläufe.
Haben Sie als Zukunftsforscher die Krise kommen sehen?
Die Finanzwelt ist nicht mein Gebiet. Es gab aber Stimmen, die sie kommen sahen. Zum Beispiel gab es im August 2007 einen Früherkennungsprozess im Auftrag der dänischen Regierung, welche die jetzige Krise mit den dazugehörigen Indikatoren ziemlich genau vorhersah. Die Frage ist natürlich, ob die Menschen in Boomzeiten bereit sind, solche Prognosen auch wahrzunehmen. Oft werden sie in Überflusszeiten überhört. Es gab auch einen Astrologen der die Krise angeblich schon vor 12 Jahre hat kommen sehen, allerdings sehr pauschal und ohne Aussagen darüber, wie und warum sie kommen wird. Aber irgendwann wird immer eine Krise kommen. Die Aussage des Astrologen ist also ohne Hintergrund – eine solche Aussage könnte jeder machen.
Kann eine solche Krise auch als Chance gesehen werden?
Eine Krise ist immer auch eine Chance. Im Bezug auf die heutige Finanzkrise wird sie wahrscheinlich zu einer besseren Regulierung des Finanzsystems führen. Und der Wille vieler Regierungen, die Konjunktur zu stützen, kann im besten Fall dazu genutzt werden, Investitionen zu tätigen, die sowieso bald anstehen würden. Ich denke in erster Linie an das Thema Energie und dabei spreche ich nicht nur vom Klimawandel. Wir müssen wegkommen von der auf fossilen Brennstoffen beruhenden Wirtschaft. Denn erstens liegen die meisten grossen Vorräte in politisch heiklen Regionen. Der Irakkrieg beispielsweise, auch ein Krieg um Erdöl, hat die USA bisher über eine halbe Billion Dollar gekostet. Und zweitens werden in den nächsten 20 Jahren einige der grössten Ölexportländer ihre Ölförderung selber brauchen. Gemäss einem Artikel in der Zeitschrift «Futurist» wird der Export-Höhepunkt in den nächsten 25 Jahren erreicht sein. Länder wie Saudi Arabien, Russland oder Amerika werden dann die Ressourcen gänzlich für den Eigengebrauch brauchen. Erdöl wird drittens knapp, weil die aufstrebenden Länder wie China und Indien einen riesigen Energiehunger haben werden. Wichtig ist zu wissen, dass der ökologische Umbau der Weltwirtschaft auf vermehrte Energieeffizienz und erneuerbare Energien nicht etwa das Wachstum bremst, sondern gar befördert: Die Internationale Energieagentur IEA in Paris hat in ihrem Szenario beschrieben, was es kostet, wenn wir alle bekannten Massnahmen zur Effizienzsteigerung und Förderung erneuerbarer Energien umsetzen würden: In den nächsten 25 Jahren sind das 2.6 Billionen Dollar. Auf der anderen Seite würden aber die Endverbraucher im selben Zeitraum Energiekosten in der Höhe von 6 Billionen Dollar einsparen. Also Geld, das für andere Konsum- und Investitionsausgaben zur Verfügung stehen wird.
Wie wird der Mensch in Zukunft mit Krisen umgehen, wird ihm das erleichtert?
Nein, das wird nicht der Fall sein. Es wäre eine Utopie zu denken, dass die Menschheit in Zukunft ohne Krisen leben wird. Wir müssen lernen mit Ungewissheit umzugehen. Unser Erfahrungsraum deckt sich immer weniger mit dem Zukunftshorizont. Anders gesagt: Die Erfolgsrezepte von heute veralten immer schneller und werden zu Risiken in der Zukunft.
Die Schweiz steht in einem Suizidranking relativ hoch oben, wird sich das in Zukunft ändern?
Schwer zu sagen. Möglicherweise werden sie kurzfristig zurückgehen, denn gemäss Studien gibt es während Krisen weniger Suizide als in Überflusszeiten. Man hat in der Krise eine Aufgabe zu bewältigen, welche im Überfluss eher fehlen kann. Überfluss führt zu Überdruss.
Wo wird sich die Schweiz in zehn, zwanzig Jahren positionieren?
Seriöserweise kann ich das nicht so sagen. Die Zukunftsforschung arbeitet mit so genannten «Megatrends». Aber es gibt immer verschiedene mögliche Zukunftsentwicklungen und diese Tatsache macht eine ultimative Aussage zur Zukunft unmöglich. Verschiedene Ausprägungen in der Welt müssen bei diesen Forschungen miteinbezogen werden. Ich habe über den Wertewandel der Schweiz eine Studie gemacht. Ein zentraler Treiber des Wertewandels ist die Wohlstandsentwicklung. Je nachdem ergibt sich ein anderes Zukunftsbild. Angenommen die Schweiz würde einen markanten Wohlstandsverlust erleiden – und dazu könnte eine anhaltende globale Wirtschaftskrise, ergänzt durch einen Wirtschaftskrieg mit dem wichtigsten Partner EU führen – dann sehen wir tiefe gesellschaftliche Konflikte voraus. Das Verhältnis der Generationen könnte ein solcher neuer Konfliktherd werden. Bedenken Sie, dass in den nächsten 20 Jahren der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung markant steigen wird. Bald werden die älteren Mitbürger die Stimmenmehrheit haben. Wenn sie möchten, können sie in Zukunft ihre Interessen gegenüber der jüngeren Bevölkerung leicht durchsetzen.