„Der seltsame Fall des Benjamin Button“ von David Fincher

Der Greis im Kinde

„Der seltsame Fall des Benjamin Button“ von David Fincher

benjamin button

„In der Kürze liegt die Würze“, dachte sich F. Scott Fitzgerald wohl, als er 1921 seine Kurzgeschichte mit dem Titel „The Curious Case of Benjamin Button“ schrieb. David Fincher hingegen scheint nichts von dieser Devise gehalten zu haben, und verfilmte die Geschichte des immer jüngeren werdenden Benjamins in epischen 160 Minuten. Mehr als die Hälfte davon geben jedoch Fitzgerald und dem Sprichwort recht.

Von Lukas Hunziker

Was wäre, wenn wir unser Leben rückwärts leben würden? Dieser einerseits fantastischen, andererseits philosophischen Frage, geht „Der seltsame Fall des Benjamin Buttons“ nach. Am Anfang der fiktiven Biographie steht die Geburt eines Babys, welche die Gebrechen und Leiden eines Mannes in den letzten Jahren seines Lebens zeigt. Von seinem Vater aus Abscheu verstossen nimmt sich die schwarze Altenpflegerin Queenie, die seit langem erfolglos versucht, Kinder zu bekommen, des schrumpeligen Kindes an. Dieses wächst im Altenheim zu einem alten Mann heran, der sich wie ein Kleinkind verhält, essen und laufen lernen muss. Benjamin selbst merkt als erstes, was mit ihm nicht stimmt: sein Körper entwickelt sich rückwärts, wird täglich jünger, gesünder und stärker. Als wackelbeiniger Senior lernt er die junge Daisy kennen, in die er sich verliebt. Das geistige Alter verbindet sie, das äusserliche jedoch gibt einer früheren Beziehung schon früh keine Chance. Anders sieht dies aus, als Benjamin nach jahrelanger Arbeit als Seemann als Mann im mittleren Alter in seine Heimat zurückkehrt, und in Daisy eine wunderschöne und talentierte Ballett-Tänzerin antrifft.

Man ist so alt, wie man sich fühlt…

… aber man sieht nicht immer so alt aus, wie man sich fühlt. Diese schmerzhafte Erfahrung prägt Benjamin in seinen frühen Jahren. Der Faszination des vierjährigen Senioren, welcher im Film schlicht brillant umgesetzt ist, kann man sich kaum entziehen. So tief verwurzelt sind in unseren Vorstellungen einer Übereinstimmung von physischem und psychischem Alter, dass der Film es gerade in den ersten Szenen problemlos schafft, den Zuschauer mit einem simplen Paradoxon ein bisschen sprachlos zu machen. Obwohl wir wissen, dass Benjamin gleich alt ist wie die achtjährige Daisy, verstört es, wenn er im Körper eines Seniors mit ihr unter dem Bett liegt und Geheimnisse austauscht. Eindrücklich schafft es der Film, uns unerbittlich vor Augen zu führen, dass wir andere Menschen eben doch fast nur über ihr Aussehen definieren.

Der Fluch der Rahmenhandlung

Sobald Benjamin jedoch das Alter erreicht hat, in welchem sein Gesicht die Konturen von Brad Pitt annehmen, hat es sich jedoch ausfasziniert. Mit der (herrlich komischen) Mannwerdung des jüngernden Greisen (er beeindruckt im Bordell mit der Erektionsfähigkeit eines Teenagers), endet der Zauber der Idee. Was nun folgt ist eine sentimentale, klischeeverseuchte Liebesgeschichte in endlos langen Stimmungsaufnahmen. Das tragische Ende derselben ist kaum eine Überraschung; in Zeiten, wo Ehen an trivialen Dingen wie Geld scheitern, wundert man sich kaum darüber, dass sich ein Liebespaar trennt, wenn der Mann für das Kind der Frau gehalten wird. Der demente, nörgelnde Schuljunge Benjamin vermag zwar nochmals amüsant zu befremden, das Niveau der Geschichte ist bis dahin allerdings genug abgesunken, damit dies kaum noch wertgeschätzt wird.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Der wirklichte Killer des Films ist allerdings die Rahmenhandlung, die sich kaum auf dem Niveau von „Verbotene Liebe“ halten kann: Während draussen ein schlimmer, schlimmer Sturm tobt, lässt die sterbende Daisy ihre Tochter das Tagebuch von Benjamin lesen, bis zum ach so überraschenden Moment, in welchem diese herausfindet, dass dieser ihr (Sie erraten’s) Vater war. Eines David Fincher ist dies unwürdig, einer Fitzgeraldverfilmung ebenfalls. Es erstaunt nicht, dass „Benjamin Button“ die Oscars in den Kategorien „Make Up“ und „Visual Effects“ bekam. Denn sehenswert sind im Film gerade jene Szenen, in welchen die Schminke und Effektzauber die Kioskromanstory zu überpudern vermögen.

Ausstattung

Die DVD des Films ist als schlanke, bonusfreie Single Edition erhältlich (zu einem Preis, für welchen andere DVDs mit tollen Specials aufwarten) und als Special Edition für besser betuchte Käufer. Ob sich die zehn Franken, die man für ein Featurette, Fotogalerie und Trailer bezahlt, lohnen, sei dahin gestellt. Immerhin ist auf der Single Edition ein Audiokommentar von Regisseur David Fincher vorhanden. Dass man Filmfans das Bonusmaterial der Special Edition nicht für einen anständigen Preis gönnt, ist trotzdem eher peinlich.


Seit dem 29. Mai 2009 im Handel.

Originaltitel: The Curious Case of Benjamin Button (USA 2008)
Regie: David Fincher
Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Tilda Swinton, Julia Ormond
Genre: Romanze, Drama
Dauer: 159 Minuten
Bildformat: 2.40:1 (16:9 anamorph)
Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Spanisch
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Audiokommentar des Regisseurs
Vertrieb: Warner

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Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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