„Mind Game“ von Masaaki Yuasa
Mind Fuck (und ein wenig fucked up)
„Mind Game“ von Masaaki Yuasa
Letzten Monat wurde an selber Stelle anhand von „Perfect Blue“ die Überlegenheit des Animes gegenüber dem Realfilm behauptet. Diesen Monat erscheint mit „Mind Game“ ein Film, der wie eine halb- und lautstarke Verteidigung dieser halbstarken These wirkt – und den Anime auf einer psychedelischen Reise in eine Sackgasse führt.
Von Christof Zurschmitten.
Genauer gesagt war die Kritik von Satoshi Kons „Perfect Blue “ eine Hymne auf die Fluidität der animierten Bilder; ein Lobgesang der Freiheit zur Unberechenbarkeit in der Montage bei beibehaltener visueller Einheitlichkeit; oder auch ein Weihelied auf das darin schlummernde Potential zur abgesicherten Verunsicherung aller Sehgewohnheiten und Gewissheiten in puncto Perspektive, Handlung und Figuren.
Die Geister, die ich rief, sind zurück, und sie sind im Merry Pranksters-Vehikel angereist: „Mind Game“ des immer innovativen Studios 4oC („Animatrix“, „Tekkon Kinkreet“) verunsichert Sehgewohnheiten nicht nur, sondern zerbläst sie vollends in einem regelrechten Sturm aus Stilen, Bildern und Eindrücken – ohne sich allerdings weiter darum zu kümmern, wer die konfettibunten Fitzel hinterher denn bitteschön zusammenräumen soll.
Pinocchio im Yellow Submarine
Doch, doch, eine Handlung gibt es dazu auch, mit nachgerade klassischen Elementen sogar: Mit dem Mangazeichner Nishi (Koji Imada) haben wir einen Protagonisten, der noch nicht einmal das Zeug zum Anti-Helden hat. Er hat auch sein Love Interest, die grossbusige Myon (Sayaka Maeda), der er nach Jahren erstmals wieder begegnet, auf einem verregneten Gehsteig irgendwo in Osaka. Wir haben gleich zwei Konflikte: Myon nämlich will bald einen anderen heiraten, wozu es allerdings nicht kommt, weil ein fussballverrückter Yakuza (Kenichi Chujou) erst ihren Verlobten und kurz darauf Nishi umbringt – mit einer Kugel von Arsch bis Kopf.
Doch damit nicht genug: Nishi fasst, im Jenseits mit grossformatigen 4D-Reprisen seines unwürdigen Todes konfrontiert, den Entschluss, alles noch einmal und vor allem besser zu machen. Er trickst also Gott aus, den wir uns als vielgestaltiges Wesen vorstellen müssen (dessen Gestalten munter changieren von Telephonkritzeleien über Fotografien rauchender Fische hin zu Marvel-Abklatschen – und wieder zurück), und bekommt seine zweite Chance.
Diese nutzt er, um sich mit Myon und deren kunstinteressierter, flachbrüstiger Schwester (Seiko Takuma) auf die Flucht zu machen, die sie in wilde Verfolgsungsjagden treibt, zur Entdeckung einer friedlichen Parallelgesellschaft im Inneren eines Wales (samt Eremiten, Urzeittieren, Sexspielzeug und Action Painting) und in eine kurze Geschichte der Welt, erzählt anhand von Fussballspielen und persönlichen Ereignissen aus dem Leben der Protagonisten.
Farbspektrum im Stroboskop
So wie sich das liest, sieht sich das auch an: Als eine Serie von mehr oder weniger (oft jedoch verdammt) einfallsreichen Szenen, die zwar für sich allein stehen können, aber kaum für ein Ganzes. Robin Nishi, von dem die Manga-Vorlage stammt, gibt zu, dass er anfangs von einer Kurzgeschichte ausgegangen sei, die aber mehr und mehr angewachsen sei – man muss hinzufügen: zu einer amorphen Masse, die von den wiederkehrenden Ideen und Motiven ebenso bloss notdürftig zusammengehalten wird wie von der Handlung und den Personen – emotionale Anteilnahme darf man hier nicht erwarten.
Jedenfalls nicht in anderer Form als der überreizter Sehnerven. Denn immerhin muss man Regisseur Masaaki Yuasa, der mit „Mind Game“ debütiert, zugestehen eine adäquate Bildsprache für diesen Ideen-Mashup gefunden zu haben. Oder genauer gesagt: Hunderte. Wenn es schon schwierig ist, die Handlung zu beschreiben, so gilt dies noch zusätzlich für die Optik; um sich nicht auf die Standard-Ausreden wie „Das muss man selber gesehen haben“ oder „unbeschreiblich“ zurückzuziehen, sei immer hin gesagt: „Mind Game“ zitiert sich fröhlich durch die Geschichte des Animationsfilms westlicher wie östlicher Prägung, erweist George Dunnings „Yellow Submarine“ ebenso die Ehre wie Tex Averys Hirngespinsten und den Kindergartenmalereien Deiner kleinen Schwester, lässt in meist halsbrecherischem Tempo (MTV-Schnellschnittästhetik, mindestens) CGI-Kreationen auf handgezeichnete Bilder und rotoskopisch verfremdete Fotografien treffen (ohne dass das alles immer so einfach auseinanderzuhalten wäre). Die Entschlüsselung aller visuellen Referenzen dürfte jedenfalls ein prächtiges Gedankenspiel für die Abschlussthesen schulbankdrückender Otakus werden.
Natürlich ist das alles wahnwitzig originell und wahnsinnig beeindruckend – im „What You See Is What You Get“-Sinn. „Mind Game“ geht so weit in seinen Bemühungen, die technischen Grenzen des Animationsfilms zu erweitern, dass er zur Technikdemo geworden ist. Für deren Virtuosität kann man sich durchaus begeistern – nur eben bloss auf eine sehr technische Weise. Für den Langfilm, dessen Gelingen auch von derart profanen Dingen wie einer anhaltenden emotionalen oder intellektuellen Beteiligung abhängt, bedeutet diese extreme Art des Filmmachens eine Sackgasse – was auch seine Macher eingesehen haben. Drei Jahre später veröffentlichten das Studio 4oC jedenfalls die vorbehaltslos abgefeierte Kurzfilm-Anthologie „Genius Party“ – doch dazu mehr nächsten Monat.
Ausstattung:
Die Ausstattung ist umfassend, wenn auch wenig tiefgründig: Das Bild kommt im Widescreen-Format, der saubere Ton wahlweise auf Deutsch oder Japanisch. Es gibt einen feinen Schuber und Postkarten, dazu Trailer, halbwegs informative Interviews mit dem Regisseur, dem Schöpfer der Manga-Vorlage, einigen Sprechern und einigen Gründungsmitgliedern von Studio 4oC. Dazu kommen einige (mässig interessante) 5-Schritt-Analysen der verwendeten Computertechniken sowie Musikclips – und ein Zusammenschnitt aufgedrehter Sprecher beim Anpreisen der Vorzüge des Films.
Seit dem 05. Juni 2009 im Handel.
Originaltitel: Mind Game (Japan 2004)
Regie: Masaaki Yuasa
Sprecher: Kouji Imada, Takashi Fujii, Tomomitsu Yamaguchi
Genre: Psychedelia
Dauer: 103 Minuten
Bildformat: 2,35:1(16:9)
Sprachen: Japanisch, Deutsch
Untertitel: Deutsch (optional)
Audio: DD 5.1
Bonusmaterial: Trailer, Postkarten, Videoclips, Animationsdesign-Featurette, Interviews
Vertrieb: Max Vision