Animationsfilme am NIFFF 09
Und wir sagen ja zur bewegten Welt
Animationsfilme am NIFFF 09
Dem Animationsfilm ist am NIFFF eine feste Nische eingeräumt: Im Kurzfilmprogramm, in den Diskussion um das digitale Bild am „Imagine The Future“-Symposium, aber immer auch auf der grossen Bühne des Openair-Kinos und in den Hauptwettbewerben. Der 2009er-Jahrgang bot eine bunte Mischung: eine Anime-Meditation über Sinn und Virtualität des Krieges, einen mittelalterlich inspirierten Zeichentrickfilm, sowie die liebenswertesten Zyniker des Filmjahres.
Von Christof Zurschmitten.
Die Verbindung von Animationsfilm und Fantastischem ist seit jeher eine symbiotische. Die Animation postierte sich gerne mal lässig am Eingang, an dem der Realfilm nicht vorbei konnte und eröffnete der Filmkunst damit eigentlich unerreichbare Räume. Gelegentlich sprang sie – ungefähr seit Méliès sich auf die Reise durchs Unmögliche und zum Mond gemacht hat – auch nur mal kurz ein, um das Spektrum des Möglichen hin zum Fantastischen zu erweitern; in dieser Funktion als (digitales) Element unter vielen war sie auch am NIFFF 09 noch reichlich präsent. Am auffälligsten natürlich in den genuinen Manga/Comic-Verfilmungen („20 Century Boys“, „Story of Ricky“), respektive den Filmen, die zumindest in ihrer Ästhetik massiv wie solche wirkten („The Handsome Suit“, „Cyborg She“, „Franklin“).
Nicht unwahrscheinlich, dass einige dieser Filme vor der grossen CGI-Dämmerung noch als klassische Animationsfilme entstanden wären. Auch letztere profitieren aber von den technischen Quantensprüngen, haben sie doch eine Profilschärfung mit sich gebracht: Höchstens im Kurzfilmbereich dient die Animation noch als billiger Weg zum Unbewältigbaren; in allen anderen Bereichen ist die Wahl des gezeichneten oder gekneteten Bilds mittlerweile, was sie im Kern natürlich immer hätte sein sollen: Eine Entscheidung für das Medium selbst.
Flach, nicht platt
Am diesjähigen NIFFF war es ausgerechnet ein „Kinderfilm“ (ein ausdrücklich, aber natürlich nicht ausschliesslich an solche gerichteter), der diese Entscheidung am konsequentesten getroffen hatte: die französisch/belgisch/irische Ko-Produktion „Brendan and The Secret of Kells“, ein im besten Sinne ungewöhnlicher Film. Es sind die Inspirationsquellen, welche die Gewohnheiten verstören: „Brendan“ ist zu gleichen Teilen Kind mittelalterlicher Historie und keltischer wie christlicher Legenden, die aber mit genügend heidnischem Spektakel angereichert sind, um dem Film jedes allzu steife Frömmeln auszutreiben.
Genau dieses möchte freilich Abbot Cellach durchgesetzt wissen, seines Zeichens Oberhaupt eines mittelalterlichen Klosters, das er gegen die drohenden Wikingerhorden zur Festung ausbauen will. Düstere Aussichten für seinen Zögling und Neffen Brendan, der bereits sein gesamtes Leben hinter den Klostermauern verbracht hat. Freilich weniger mit ora et labora als Jux und Tollerei mit den übrigen Mönchen, die ihm eines Tages die Geschichte von Bruder Aidan erzählen, einem derart begabten Illustrator, dass seine Zeichnung lebendig würden. Als ebenderselbe Aidan eines Tages auf der Flucht vor den Wikingern Schutz sucht und Brendan zu seinem Adepten machen will, ist dieser – im Gegensatz zu seinem Onkel – höchst erfreut. (Und mit ihm der Zuschauer, darüber, dass eine etwas arg bedächtige Einführung nun in die eigentliche Handlung übergeht.) Im Geheimen absolviert er eine Ausbildung zum Skript- und Illustrator und riskiert dabei mehr als nur vom Abt gemassregelt zu werden: Bruder Aidan trägt ihm nämlich auf, bei der Fertigstellung des hochheiligen Buches von Kelt zu assistieren; eine Aufgabe, die von Brendan verlangt, zum ersten Mal die Sicherheit des Klosters zu verlassen und sich in der Welt da draussen seinen Ängsten zu stellen…
Die mittelalterliche, fantastisch angehauchte Handlung – etwas zu gewunden und später auch zu düster für kleine Kinder, etwas zu konventionell selbstfinderisch für grössere – ist nicht die Stärke des „Secrets of Kells“. Diese ist vielmehr im zweiten Bereich zu suchen, für den er sich bei der Historie bedient: In Anlehnung an die beeindruckenden Illustrationen des Buches von Kells ist „Brendan“ ein visuelles Erlebnis, erstrahlend in glänzenden, satten Farben, übervoll von zirkelnden, fliessenden, organisch wirkenden Formen, Spiralen, Knoten, Mustern – man ist vertraut mit jedem der verwendeten Elemente, und doch wirken sie in ihrer fliessenden Gesamtheit wie nichts, das man jemals zuvor gesehen hätte. Zumal der Film auch mit den (Un-)Möglichkeiten einer Malerei vor der Entdeckung der Perspektive spielt, mit zuweilen erstaunlichem Effekt. Hier war eindeutig die Liebe zur Malerei – einer sehr spezifischen zumal – Vater des Filmgedankens; wenn „Brendan and The Secret of Kells“ als Spielfilm folgerichtig weniger überzeugt denn als animiertes Gemälde, kann das nur sehr abgestumpfte oder sehr blinde Menschen stören – kurzum jeden, der nicht bereits vom Trailer überzeugt wird.
Tragisch, und komisch
Eine sehr gelungene perspektivische Spielerei findet sich auch in „Mary and Max“ (einem der raren Filme am NIFFF mit ordentlichem Starttermin für die Schweizer Kinos – 5. November, vormerken!): Der Film erzählt aus der Perspektive eines Kindes eine Geschichte, die nur sehr bedingt kindgerecht ist.
Es ist die Geschichte der achtjährigen Mary, deren Fähigkeit, sich über die Welt um sich und an sich zu wundern, sie vor schlimmeren Einsichten bewahrt: Die etwa, in das hineingeboren zu sein, was man unter Erwachsenen eine „dysfunktionale Familie“ nennt, samt alkoholabhängiger Mutter und – noch so ein Erwachsenenwort – katatonischem Vater. Mary hat in der grossen, weiten Welt (also mindestens ganz Australien, wo sie lebt) keinen einzigen Freund, weshalb sie eines Tages beschliesst, auf gut Glück einem Fremden zu schreiben. Dieser Fremde ist Max, dessen Leben geprägt ist von Schokoladesucht, Übergewicht, schwer selbstmord-gefährdeten Goldfischen und einer generellen Furcht vor der Welt ausserhalb seines New Yorker Appartements; kurzum jemand, der so fremd gar nicht ist. Zwischen Mary und Max entwickelt sich ein Briefwechsel, der die halbe Welt und zwei ganze Jahrzehnte umspannt und für beide heilsam wird – aber zuweilen auch belastend.
Eines ist in der grauen, nur gelegentlich durch Brauntöne aufgehellten Welt von „Mary and Max“ nie ohne das andere zu haben. Die Geschichte, die Adam Elliot in seinem ersten abendfüllenden Film (einer seiner Kurzfilme ist bereits oscar-prämiert) basierend auf persönlichen Erlebnissen erzählt, ist – man kann es nicht besser fassen – tragikomisch. Denn komisch ist sie, nicht selten sogar hinreissend komisch, in vielen Mikro-Pointen, die aus Marys entlarvender Naivität ebenso geschlagen werden wie aus Max‘ nie despektierlichem Zynismus (wer „unschuldigen Zynismus“ für einen Widerspruch hält, kann sich hier vom Gegenteil überzeugen lassen). Oh, und er ist tragisch, rührend tragisch sogar, mit vielen Mikro-Tragödien, die in ihrer Gesamtheit durchaus dazu angetan wären, einen Menschen in tiefe Zweifel über die Welt da draussen zu treiben.
Gelegentlich ist man denn auch dankbar dafür, dass Marys und Max‘ „Welt da draussen“ nicht 100% deckungsgleich ist mit der unsrigen : sie ist vielmehr vollständig aus Knete gestaltet, Adam Elliot entsprechend auch als „australischer Nick Park“ bekannt. Das spricht für die Qualität seines Films, ist aber insofern irreführend, als „Mary and Max“ eine durchaus eigenständige Handschrift erkennen lässt: Eine, die jede Bezeichnung als „Trickfilm“ nur dort sinnvoll macht, wo sie nicht in Abgrenzung zum „Realfilm“ gemeint ist. Denn ungeachtet ihrer materiellen Natur ist diese Welt nichts weniger als lebensecht, Mary und Max ihren teigigen Gesichtern zum Trotz überzeugende, durchaus komplexe Figuren, die den Zuschauer zu etwas bewegen, das selten genug im Kino zu erleben ist: ehrliches Mitgefühl, fernab jeder Sentimentalität. Dazu steuern auch die exzellenten Sprecher ihren Teil bei, allen voran Philip Seymour Hoffman als Max, Toni Collette und Bethany Whitmore als Mary sowie Barry Humphries als Erzähler; in einer Nebenrolle ist aber auch Eric Bana zu hören.
„Mary and Max“ ist nicht perfekt, zumal die Mikro-Tragödien und -pointen die grössere Tragödie gelegentlich etwas in den Hintergrund rücken lassen. Dennoch ist Elliots Langfilmdebüt ein mehr als willkommener Beitrag zu einem Kinojahr, zu dessen Gelingen der Stopmotionfilm („Coraline“, Wes Andersons „Fantastic Mr Fox“) erfreulich viel beiträgt.
Fragen, und kaum Antworten
Mamoru Oshii schliesslich gehört zu den raren Regisseuren, die sowohl im Zeichentrickfilms gearbeitet haben – mit den „Ghost In The Shell“-Filmen (1995/2004) schuf er veritable Klassiker des Animes -, wie auch im Bereich des Realfilms („Avalon“, 2001). Die thematischen Unterschiede waren dabei stets weniger gross als die medialen: Oshii hat sich spezialisiert auf futuristische Szenarien, die nicht selten Parabeln im Sci-Fi-Gewand sind und Fragen von einer Komplexität stellen (seltener beantworten), bei denen den Wachowski-Brüdern schwindlig würde.
„The Sky Crawlers“, Oshiis neuester Zeichentrick-Film nach einer Romanreihe von Hiroshi Mori, erscheint vorerst als Ausnahme zu dieser Regel: Er setzt ein mit einem erbitterten Luftkampf, der von Flugzeugen ausgefochten wird, die geradewegs aus „Baa Baa Black Sheep “ stammen könnten. Auch als der Held der Geschichte einem dieser Flugzeuge entsteigt, gekleidet in speckige Pilotenkleider samt charakteristischem Helm und Brille, und sich auf den Weg zum Rapport macht, wirkt das alles vertraut. Man ist sicher, die Szenerie – wenn nicht örtlich, so doch zeitlich – einigermassen präzise verordnen zu können. Doch dann taucht der erste Flachbildschirm auf und signalisiert uns: Wir hatten keine Ahnung. Das hier ist historisches Niemandsland.
Eine Irritation, der alles Provokative abgeht. Im Gegenteil, Oshii erzählt in der für ihn typischen meditativ anmutenden Langsamkeit eine Geschichte, die nicht immer verständlich, in ihrer eigenen Welt jedoch sogar selbstverständlich ist. Alles und alle gehen ihren Gang, während der Zuschauer zum Hinsehen verdammt ist. Niemand kümmert sich darum, ihm seine mundgerecht gestaffelten Erklärungen zuzustecken, höchstens weitere Unstimmigkeiten, die Vermutungen wecken. Manche von ihnen werden irgendwann beiläufig widerlegt, manche bestätigt. Andere nicht. Oshiis Film verlangt ein Mindestmass an Geduld und Aufmerksamkeit. Einige Zuschauer werden sich deswegen im Stich gelassen fühlen, andere ernst genommen, beide mit gleichem Recht.
Immerhin wird einem die Identifikation dadurch erleichtert, dass die Protagonisten sich teilweise den selben Fragen stellen müssen wie der Zuschauer. „The Sky Crawlers“ folgt einer Gruppe von jungen Menschen, die nicht mehr über sich selbst wissen, als dass es ihre Aufgabe ist, sich in Luftduellen zu bewähren. Eine Aufgabe – kein Beruf, keine Notwendigkeit. Sie wissen nicht, warum sie kämpfen, sie wissen nicht, warum sie es nicht tun sollten. Einige von ihnen vermuten, dass sie unsterblich sein könnten. Keiner weiss es wirklich, oder warum dies der Fall sein sollte. Und dazwischen versuchen sie, ein normales Leben zu führen, mit Parties, Sex, ein paar Drogen und den üblichen Rivalitäten zwischen Gleichaltrigen.
Ist das genug für 122 Minuten? Vielleicht, aber es ist noch nicht alles. „Sky Crawlers“ wäre kein Oshii-Film, wenn sich nicht eine metaphorische Ebene finden würden – nicht zufällig bestehen die Flugzeuge, befinden sie sich erst einmal in der Luft, aus krude gerenderten Computergrafiken, die auch deutlich als solche erkennbar sind. Ein schlagender Kontrast zu den natürlich makellosen Handzeichnungen der restlichen Figuren und Hintergründe, der bald eines deutlich macht: Oshii variiert nicht nur seine bekannten stilistischen Kniffe, sondern erneut auch Fragen, die ihn seit „Ghost In The Shell“ beschäftigen und auch im Zentrum von „Avalon“ standen, erweitert aber ihren Gesichtskreis: diesmal geht es um nicht weniger als die Realität und Virtualität des Krieges – und die Frage nach seiner Notwendigkeit.
Wäre das nötig gewesen? Vermutlich nicht. Das Interessante an den „Sky Crawlers“ sind weniger die grossen existenzialistischen Fragen als die kleinen Geheimnisse um die Existenz dieser konkreten Welt, ihrer Bilder und Bewohner. Vielleicht mag Oshii damit – anders als in seinen Meisterwerken – an seinen Zielen vorbeigeschossen haben; aber einen Nerv trifft er damit immer noch. Seinen Figuren bei ihrem meditativen Sein und Suchen zuzuschauen lohnt sich – auch wenn der Lohn nicht neue Über-Fragen sein werden, und schon gar keine Antworten.
Brendan and the Secret of Kells
Originaltitel: Brendan and the Secret of Kells (Irland/Frankreich/Belgien 2009)
Regie: Tomm Moore, Nora Twomey
Stimmen: Brendan Gleeson, Mick Lally, Paul Young (Stimmen)
Genre: Märchen
Dauer: 75 Minuten
Mary and Max
Originaltitel: Mary and Max (Australien 2009)
Regie: Adam Elliot
Stimmen: Philip Seymour Hoffman, Toni Collette, Bethany Whitmore, Eric Bana
Genre: Tragikomödie
Dauer: 92 Minuten
The Sky Crawlers
Originaltitel: Sukai kurora (Japan 2008)
Regie: Mamoru Oshii
Stimmen: Rinko Kikuchi, Chiaki Kuriyama (Stimmen)
Genre: Sci-Fi
Dauer: 122 Minuten