Is it a man’s world?
Is it a man’s world?
Minderheitenfilme am NIFFF 09
Es ist erklärtes Ziel des NIFFF, gegen eine verengte Wahrnehmung des fantastischen Films anzugehen. Vorstellungen wie die, dass er ein ausschliesslich von Männerhand regiertes Reich sei, in dem ausschliesslich männliche Helden vor ausschliesslich männlichen Zuschauern kämpfen, töten und sterben würden.
Von Christof Zurschmitten.
Am einfachsten zu widerlegen ist noch die verquere (vorzugsweise um wirren Bartwuchs und Death Metal-Shirt angereicherte) Vorstellung eines männlichen dominierten Zuschauerraums – wie jedes Jahr fand ein in jeder Hinsicht ausgesprochen durchmischtes Publikum seinen Weg nach Neuchâtel. Auch an weiblichen Figuren auf der Leinwand herrschte keinerlei Mangel – sie dominierten so unterschiedliche Filme wie „Tears for Sale“, „Left Bank“ mit seiner präzisen Charakterstudie oder Shinji Ayoamas „Crickets“. Doch haben deren Hauptcharaktere letztlich ähnlich wenig gemein wie die Filme, in denen sie auftreten.
Alle drei Filme standen zudem unter männlicher Regie – wie überhaupt das männliche Regime (erkennt man im Regiestuhl den Regententhron) in diesem Jahr kaum angefochten wurde. Das soll freilich nicht viel heissen – will man sich auf problematische Kategorien wie die eines „klassisch weiblichen Themas“ einlassen, so hätte man dies am ehesten noch in Paul Solets „Grace“ angetroffen, der die Ängste der Mutterschaft auf morbide Weise verhandelt.
Ausnahmen gab es dennoch, und sie waren mehr als Quotenzugeständnisse: Catherine Breillats Märchenadaption „Barbe Bleue“ und Julie Delpys von ihr selbst so genanntes „ironisches Historiendrama“ „The Countess“. Auch wenn beide Filme ästhetisch und programmatisch denkbar weit auseinander liegen, weisen sie doch zahlreiche Berührungspunkte auf: Beide wurden (zumindest zum Teil) in Frankreich produziert, beide stammen von Regisseurinnen, die ihre Karriere als Schauspielerin starteten und beide weisen einen unverkennbaren Hang zum Märchen auf – wohl nicht ganz zufällig eine Gattung, die ihrerseits lange als „weiblich“ abgetan wurde. Unverkennbar ist in beiden Filmen freilich auch, dass sie das Märchenhafte in fruchtbarer Weise ausgestalten und für durchaus unterschiedliche Zwecke sinnvoll nutzen – was sie nicht zuletzt von „Tears for Sale“ abhebt, einem nur auf den ersten Blick ähnlich angelegten Film.
Historische Distanz als Verschleierung des Blicks
In Julie Delpys vierter Regiearbeit nimmt das Märchenhafte den Weg durch die Hintertür. Der Stoff von „The Countess“ nämlich ist ein historischer: das Leben – und das heisst vor allem Aufstieg und Fall – der ungarischen Gräfin Erzsébet Báthory (dargestellt durch Delpy selbst), die im 16. Jahrhundert als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Grossreichs galt. Zu Berühmtheit gelangte sie allerdings nicht durch ihre Verdienste im Krieg gegen die Türken, in dem sie sich als wertvolle Verbündete des Königs erwies, der auch finanziell immer mehr in ihre Schuld geriet. Berühmt-berüchtigt ist vielmehr ihr Ende: Erzsébet Báthory wurde zur lebenslangen Einkerkerung verurteilt, weil sie – so wollen es die Chronisten – zahlreiche Mädchen umbringen liess, von deren Blut sich die Gräfin ewige Jugend erhoffte.
Schwarzromantische Legenden ranken sich entsprechend um die historische Persönlichkeit, die vielen als erste Serienmörderin der Geschichte gilt oder gar als „weiblicher Dracula“. Von derartigen Fantasien gespeiste Bilder sind auch zu sehen in der Interpretation Delpys, die ihrem Hang zum Makabren in reichlich blutigen, märchenhaft-düsteren Szenen nachgeht. Doch erschöpft sich ihr Film mitnichten in einer Neuauflage einer dunklen Legende: Indem der Status dieser Bilder bis zum Schluss offen bleibt, werden sie ins Kritische gewendet. „The Countess“ erzählt nämlich auch die Geschichte einer politischen Verschwörung – und einer Liebe.
Als grösster Schwachpunkt erweist sich die Wahl, letztere zum emotionalen Zentrum des Films zu machen. Die Affäre zwischen der Gräfin und dem 20 Jahre jüngeren Edelmann Istvan Thurzo (Daniel Brühl) ist zwar zweckdienlich, wo sie der auf dem politischen Parkett (und in der heimischen Folterkammer) überaus kühl agierenden Báthory menschliche Züge verleiht. Sie überzeugt aber kaum, wenn sie zur Motivation für den späteren Wahn erklärt wird, zumal die Inszenierung der fatalen Leidenschaft an arg einfältigen Bildern und Dialogen krankt, die von Brühl und Delpy im ihnen hörbar fremden Englisch deklamiert werden.
Erfolgreicher ist Delpy dagegen in ihren Ambitionen, Interpretationsspielräume zu eröffnen im Hinblick auf die Umstände der Verurteilung der Gräfin: als dreifach nicht-konforme Person – die sie als Frau, Protestantin und Machtfaktor darstellte – war Erzsébet Báthory vielen politischen Gegnern nicht geheuer. Delpys Film spekuliert, dass ihre Neider und Feinde demnach danach trachteten, sie unschädlich zu machen, indem sie die Gräfin zum Ungeheuer stilisierten.
Die Leistung des Films ist es, wie schlüssig und doch vage er spekuliert, wie elegant die politische Verschwörung der Gegner und der legendäre Wahn der Gräfin ausbalanciert werden, ohne dem Zuschauer jemals endgültig eine Interpretation aufzudrängen. Umso bedauerlicher, dass das Konzept letztlich besser ist als der Film, der zwar gute Ideen, beachtliche Produktionskosten und exzellente Schauspieler auf seiner Seite hat – aber letztlich beim Skript, bei der Regie und den Schauspielleistungen im Kleinen scheitert.
Anne, ma sœur Anne, ne vois-tu rien venir ?
Nichts Anderes als das Kleine hat dagegen eine andere Geschichte um einen legendären Massenmörder im Sinn: Catherine Breillats Lowest-Budget-Adaption der berühmten Erzählung um den „Barbe Bleue“. Wer mit Breillats Oeuvre auch nur ansatzweise vertraut ist, wird sich nicht wundern, dass ihr Film in seinem bis zur Affektiertheit gehenden Minimalismus einen der eigenwilligsten Beiträge des Wettbewerbs bildete.
Breillat bereichert das Märchen um den frauenmordenden Ehe-/Edelmann und sein Ende im Angesicht einer jungen Braut in eine Rahmenhandlung in der Jetztzeit: Zwei Mädchen erkunden einen Estrich, finden ein Märchenbuch und lesen und kommentieren es. Während die Ältere sich windet in Angst, versichern die altklugen Kommentare der Jüngeren ihrer Schwester und dem Publikum immer wieder: So eigentlich zum Fürchten ist das nicht, ist das Happy-End doch festgeschrieben – oder?
Die Geschichte vom unansehlichen Edelmann mit dem blauen Bart dagegen erzählt „Barbe Bleue“ dicht an der Vorlage – jedenfalls soweit dies mit den vorhandenen Mitteln machbar war. Es gibt reichlich bunte Staffage (die allerdings wie Zitate aus Kostümfilmen wirkt), es gibt die Andeutung von Gepränge (dessen Ausdeutung freilich der Fantasie überlassen bleibt) und es gibt ein Schloss (das von allem Prunk und aller Dienerschaft befreit allerdings immer zugleich unheimlich verlassen und als heimlicher, grenzenloser Spielraum erscheint). Und natürlich gibt es die tonnenschwer mit Moral und Materialismus, Emanzipation und Erotik beladene Geschichte um ein kluges Mädchen, das in eine Ehe mit Blaubart einwilligt und darin erstaunlich glücklich wird… bis die junge Braut eines Tages einen Befehl missachtet und deswegen mit dem Tod rechnen muss.
Vereitelt wird dieser im Märchen durch zwei Brüder ex machina, die das Mädchen (um einige Schätze reicher) wieder rückführen in die Familie. Bei Breillat dagegen sind es Musketiere, die aus dem Nichts herbeizitiert werden und auch rasch wieder dorthin verschwinden, ohne je wirklich in Erscheinung zu treten – zurück bleibt nur das Mädchen mit dem Kopf des Ehemannes, in einer beinahe lapidar anmutenden Einstellung. Charakteristisch für Breillats „Barbe Blue“ ist diese Wendung weniger durch ihre unpatriarchale Prägung als durch die Beiläufigkeit, mit der der Film die allseits lauernden tonnenschweren Symbole und Allegorien negiert, anreisst oder besser noch: umspielt. Kein Kommentar ist allzu explizit, doch genau das ist teilweise Kommentar genug. Nicht wenige Einstellungen sind sogar rundheraus komisch (sprich: karnevalesk), wobei immer wieder Kapital aus dem grotesken Unterschied in der Körperfülle von Dominique Thomas als Blaubart und Lola Créton als Marie-Cathrine geschlagen wird.
Der Minimalismus in Ausstattung, Technik und Tricks wird betont bis zur Künstlichkeit und mag gelegentlich befremdlich wirken – doch hat er System und ist Zeugnis einer naivitätsfernen „Warum eigentlich nicht?“-Attitüde, die den Film mehr als sehenswert macht.
Tränen vor die Säue
In so ziemlich allem das exakte Gegenteil von „La Barbe Bleu“ ist der serbische Film „Tears For Sale“. Megalomanie pur: Der Film gilt nicht nur als eine der teuersten Filmproduktionen in der Geschichte des Landes, sondern kann mit über 40 Spezialeffekt-Minuten auch einiges an Schauwert auffahren. Doch seine Ausgangslage – die Konzentration auf weibliche Charaktere, der ausgesprochen märchenhafte Charakter – wirkt zuerst einmal vertraut.
„Tears for Sale“ nimmt wie „The Countess“ einen historischen Ausgangspunkt, nämlich die Tatsache, dass der Erste Weltkrieg prozentual nirgends mehr Opfer forderte als in Serbien. Gut ein Drittel der eingezogenen Männer blieb auf den Schlachtfeldern zurück. Resultat war ein historischer Frauenüberschuss, den „Tears for Sale“ auf das Schicksal eines Bergdorfes herabbricht – angereichert um schöne Frauen (die zum überwiegenden Teil dem Schauwert zuzurechnen sind), schöne Bilder und zunächst durchaus schön-absurde Einfälle. Die augenzwinkerenden, märchenhaften Auftaktminuten lassen durchaus Gutes erwarten, nämlich eine Art Hommage an Kusturicas „Underground“ mit den Mitteln von Jeunet/Caro, ca. anno Amélie Poulain.
Doch zurück zu unserem Dorf. Dessen letzte verbleibende Männer sind: erstens ein wahnsinniger Weinbauer, der den örtlichen Rebberg – die einzige Einnahmequelle des Dorfes – mit Minen versetzt, bevor er schliesslich selbst auf eine tritt („and so the vineyard became a mineyard“). Und zweitens: ein halbtoter Greis, dessen noch lebendes Gemächt zum fleischgewordenen Initiationsritus für die sexuell unerfahrenen Frauen des Dorfes wird. Als die professionellen Klageweiber und Schwestern Mala Boginja (Katarina Radivojevic) und Ognjenka (Sonja Kolacaric) diese Freuden nicht teilen wollen und versehentlich dem Greis auch noch das letzte Leben austreiben, werden sie von der aufgebrachten Dorfgemeinschaft dazu verdammt, neue Männer aufzutreiben.
Mit ihrem Wegzug verliert der Film jeglichen Fokus und der Zuschauer Interesse und Geduld. Nur allzu bald wird deutlich, dass längst nicht alle Ideen gut sind, die guten nicht für zwei Stunden reichen und die schlechten mit Zeitlupen und Spezialeffekten kaschiert werden, die ihrerseits zwar gut gemacht, aber Zeugen von schlechtem Geschmack sind. Besonders die zunehmend hysterischen Zänkereien der Frauen um das Männermaterial gehen an die Nerven. Der Film verherrlicht zwar dieses Material nicht – tatsächlich sind die aufgetriebenen „Prachtsexemplare“ ausgemachte Luschen, die in pathetischen Verrenkungen mit ihren Muskeln sprechen wollen. Aber der Bedarf der Frauen nach Männern wird auf eine Art und Weise verhandelt, die zu verdammen ist – wenn nicht ideologisch dafür, dass er als absolut, dann zumindest ästhetisch dafür, wie er in Szene gesetzt ist.
Ein Zuschauer, den der Film zum leidenschaftlichen Hasser gemacht hatte, schimpfte „Tears for Sale“ lautstark einen „faux grand film“: er sei nichts als Kulisse, täusche mit nackter Haut Erotik vor, mit Hysterie Humor und behaupte, sich über die nationalen Mythen und den patriotischen Machismus lustig zu machen, die schlecht versteckt in seinem Zentrum stünden. Davon abgesehen jedoch finde sich in seiner Mitte nichts, kein Herz, keine Seele, nada. Ich selbst hätte anfangs dazu tendiert, zumindest die ersten 20 Minuten zu verteidigen. Vielleicht jedoch kam besagter Zuschauer im Gegensatzu zu mir gerade aus „Barbe Blue“, einem Film, der in seinem glasklaren Minimalismus wie ein Brennglas für den Schwachsinn wirkt, der da so wortreich verdammt wurde.
The Countess
Frankreich/Deutschland 2009
Regie: Julie Delpy
Mit: July Delpy, Daniel Brühl, William Hurt
Genre: Ironisches Historiendrama
Dauer: ca. 95 Minuten
La Barbe Bleue
Frankreich 2009
Regie: Catherine Breillat
Mit: Daphné Baiwir, Lola Créton, Dominique Thomas
Genre: Märchenadaption
Dauer: 80 Minuten
Tears For Sale
Originaltitel: Carlston za Ognjenku (Serbien 2008)
Regie: Uros Stojanovic
Mit: Katarina Radivojevic, Sonja Kolacaric, Stefan Kapicic
Genre: Road-Märchen
Dauer: 86 Minuten