„Wachmeister Studer“ von Leopold Lindtberg
„Det, wo di chliine Sache nid stimme, stimme au di grosse nid“
„Wachmeister Studer“ von Leopold Lindtberg
Columbo, Derrick und Kojak mögen noch so mit allen Wassern gewaschen sein, bei der Ermittlung in einem Dorf im Schweizer Hinterland würden wohl auch sie erbärmlich scheitern. Nicht so Wachmeister Studer, der seinen Berufskollegen weder an Hartnäckigkeit noch an Charisma und Schläue nachsteht. Der Schweizer Klassiker stammt aus dem Jahr 1939 und ist heute immer noch bekannter als viele junge Schweizer Filme – wohl nicht zuletzt, da einiger der zentralen Themen kaum an Aktualität eingebüsst haben.
Von Lukas Hunziker.
Als sich der ehemalige Sträfling Erwin Schlumpf, der in Verdacht steht, einen gewissen Wendelin Witschi ermordet zu haben, in seiner Zelle zu erhängen versucht, kommt dies für fast alle einem Geständnis gleich. Nicht aber für Wachmeister Studer, der ein „gschpässiges“ Gefühl bei der Sache hat, und sich aufmacht, in der kleinen Gemeinde Gerzenstein, wo der Mord geschehen ist und Witschi wohnte, rumzuschnüffeln. Er muss nicht lange suchen, um gleich ein paar Dorfbewohner auszumachen, die mehr wissen, als sie zu wissen vorgeben. Eine erste Spur führt auf ein Obstgut, dessen Besitzer von den Dorfbewohnern verachtet wird, da er ehemalige Sträflinge, zu denen auch Schlumpf gehörte, anstellt und ihnen die Chance gibt, sich wieder in der Gesellschaft zu rehabilitieren. Als Studer jedoch Sonja Witschi, die Tochter des Ermordeten, dabei ertappt, wie sie die Mordwaffe aus dem Haus, wo Erwin gewohnt hat, entfernen will, wird klar, dass weitere Spuren wohl nur auf dem Anwesen der Witschis selbst zu finden sind.
Anwalt der kleinen Leute
Studer macht klar, mit wem er sympathisiert, als er sich abends im Wirtshaus zum Obstbauer setzt, der sich vom Dorf wegen seinem „falschen Humanismus“ ausgeschlossen sieht. Studer misstraut vorschnellen Urteilen und glaubt an das Gute im Menschen, auch wenn sie einmal vom falschen Weg abgekommen sind. Während die Dorfzeitung polemische Artikel gegen die ehemals bösen Buben auf der Obstfarm druckt, vertritt Studer genau diese und nimmt damit die Sympathie des Zuschauers für sich ein. Obwohl die Verfilmung einige der sozialkritischen Elemente von Friedrich Glausers Romanvorlage abgeschwächt oder gar entfern hat, so ist dem Film eine sozialkritische Ebene dennoch nicht abzusprechen. „Wachmeister Studer“ zeigt die ländliche, aber auch die städtische Schweiz als voreilig in ihren moralischen Urteilen, und als unbarmherzig gegenüber solchen, die eine „Dummheit“ gemacht haben. Wohl gerade weil sich die Schweiz nur bedingt verbessert hat in dieser Hinsicht, und die politisch momentan stärkste Partei für die Bewohner Gerzensteins, und nicht für die Ideale Wachtmeister Studers einsteht, behält der Film bis heute eine gewisse Aktualität.
Kultfigur Heiri Gretler
Andererseits hat der Film seinen Kultstatus wohl vor allem seinem herausragenden Hauptdarsteller zu verdanken: Heinrich Gretler. Kaum ein anderer Schweizer Schauspieler hat sich ähnlich prägend ins Schweizer Kinogedächtnis eingebrannt, spielte er doch in Schweizer Klassikern wie „Gilberte de Courgenay“, „Heidi“ oder „Es geschah am helllichten Tag“ sowie den bekannten Gotthelfverfilmungen mit. „Wachmeister Studer“ kam, wie wir im Interview auf der DVD erfahren, dadurch zustande, da man einen Stoff für einen Film suchte, in dem Gretler die Hauptrolle übernehmen könnte. In Glausers Krimi fand man eine Figur, welche auf Gretler wie zugeschnitten war. Dass kein anderer Schauspieler die Rolle des Brissago rauchenden Ermittlers mit Mut besser hätte spielen könne, ist schwer zu bestreiten. Gretler spielt Studer als ernsten, kauzigen Ermittler, der aber dennoch ein grosses Mass an Charme und Witz besitzt, so dass man als Zuschauer immer wieder schmunzelt und gar mal laut herauslacht. Nicht zuletzt, und vielleicht sogar vor allem wegen Heinrich Gretler ist „Wachtmeister Studer“ alles andere als ein verstaubter Heimatfilm, sondern ein Krimi, der bis heute sehr gut unterhält, und zwar nicht nur Klassikerjunkies.
Originaltitel: Wachtmeister Studer (CH 1939)
Regie: Leopold Lindtberg
Darsteller: Heinrich Gretler, Anne-Marie Blanc, Zarli Carigiet, Siegfrit Steiner, Rudolf Bernhard
Genre: Krimi
Dauer: 105 Minuten
Die DVD ist im Handel in restaurierter Fassung erhältlich.
Sprachen: Schweizerdeutsch, Deutsch, Französisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörbehinderte
Bildformat: 4:3
Audio: Dolby Digital 1.0
Bonusmaterial: Interview mit Dr. Felix Aeppli, Biografie von Friedrich Glauser, Anmerkungen zum Film und Pressestimmen als Texttafel, Fotos von Dreh und Standfotos, der vollständige Roman von Friedrich Glauser als PDF
Vertrieb: Max Vision
Im Netz
http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9173.php
Biografie Heinrich Gretlers, von Dr. Felix Aeppli
http://gutenberg.spiegel.de/?id=19&autor=Glauser,%20%20Friedrich&autor_vorname=%20Friedrich&autor_nachname=Glauser
Biografie Friedrich Glausers beim Projekt Gutenberg