„Taking Woodstock“ von Ang Lee

Wer sich an Woodstock erinnert, war vermutlich nicht da

„Taking Woodstock“ von Ang Lee

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Nicht schon wieder: erst werden wir von einer pflichtschuldigen 40-Jahr-Jubiläums-Monster-DVD beglückt, da kommt nun auch noch ein Spielfilm, der sich dem Thema widmet. Überraschend ist jedoch, wie sich Ang Lees „Taking Woodstock“ der Sache nähert: denn es geht um eine Familiekomödie, die sich zwar fest mit dem Festival verknüpft abspielt, jedoch auch unendlich weit vom eigentlichen Geschehen entfernt ist.

Von Alexander Sigrist.

Eigentlich will der junge Elliot Designer werden, will in New York gross raus kommen und auf der Welle der Hippie-Zeit schwimmen – leider jedoch macht ihm sein Familienpflichtbewusstsein ein Strich durch die Rechnung. Denn seine Eltern betreiben ein heruntergekommenes Hotel, welchem es an zwei Dingen fehlt: Gästen und, wie könnte es anders sein, Geld. Da kommt es Elliot gerade recht, dass im Nachbardorf ein geplantes Hippie-Festival abgesagt wurde. Kurzerhand nimmt er mit den Betreibern des Festivals Kontakt auf und bringt das Festlein zu sich ins Dorf – dass schlussendlich eine halbe Million Besucher kommen werden und das Festival als der definierende Höhepunkt der Hippie-Bewegung in die Geschichtsbücher eingehen wird, damit hat er nicht gerechnet.

Eines muss man Ang Lee lassen: er vermag seine Zuschauer immer wieder aufs neue zu überraschen. Das liegt wohl daran, dass der Mann sich auf kein Genre festlegen lassen will – sei es wenn er schwule Cowboy aufeinander treffen lassen lässt („Brokeback Mountain), eine etwas schwülstige Spionage-Erotik-Geschichte erzählt („Gefahr und Begierde“) oder Kung-Fu-Künstlern das Fliegen beibringt („Tiger and Dragon“): immer wieder überrascht er Fans und Kritiker gleichmassen mit seiner Projektwahl und schafft es zumeist gleich auch noch ein kleines Juwel des Genres auf die Leinwand zu bringen.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Überraschend ist auch die Genrewahl bei seinem neusten Film. Es geht nämlich um das wohl legendärste Konzert aller Zeiten, ein Festival, welches anfangs ein gemütliches Spektakel hätte werden sollen, dann aber zum Höhepunkt und wohl auch Schlusspunkt einer Massenbewegung wurde – und so sieht Ang Lee auch seinen Film: es geht für ihn um die wunderschöne und unschuldige Nacht vor der Ernüchterung, die in den Siebzigern bei vielen auf den (Drogen-)Rausch der Sechziger folgte (welche er, laut eigener Aussage, bereits in seinem Film „Der Eissturm“ behandelt hat).

Genau darum ist „Taking Woodstock“ wohl auch in erster Linie eine unschuldige, beschwingte, bisweilen sehr gemütliche Komödie, welche vor allem von seinen Figuren lebt (Genial: Imelda Staunton als fluchende Russin und Liev Schreiber als Transsexuelle). Einen Grossteil seiner Komik erlangt der Film auch dadurch, dass Ang Lee genau weiss, wie er mit den Stereotypen der Sechziger spielen kann. Wenn zum Beispiel erst Michael Lang als Überhippie mit ruhiger, friedlicher Stimme, langen Haaren und einer Ausstrahlung, als wäre er die ganze Zeit auf Beruhigungsmitteln, präsentiert wird, dieses Abbild des perfektionierten Hippies dann jedoch von einer Horde von Anwälten in Anzügen auf Schritt und Tritt begleitet wird, so ist die Situationskomik perfekt.

Woodstock ohne Woodstock

Aber Ang Lee wäre sicher nicht Ang Lee, würde er sich dem Stoff nicht ganz auf spezielle Weise nähern. Wer einen Musikfilm erwartet, in welchem man Schauspieler zu Gesicht kriegt, die Janis Joplin und Co. impersonieren, der ist fehl am Platz. Ja, sogar die Bühne von Woodstock kriegt man nur einmal zu Gesicht. Zwar unternimmt Protagonist Elliot mehr als einen Versuch, auch mal einen Auftritt zu sehen, bleibt aber auf dem Weg immer stecken: sei es im VW-Bus zweier Hippies (was in einer wunderschön gefilmten LSD-Szene mündet) oder an einem Hügel, wo er zusammen mit seinem Freund und Vietnam-Veteran Billy durch den Schlamm rutscht.

Ang Lee spielt die ganze Zeit über mit der eingangs erwähnten Aussage, dass wer sich an Woodstock erinnert, wohl nicht da gewesen ist – denn viele der Zuschauer hatten auf Grund des Riesenandrangs gar keine Chance die Bühne zu sehen. Was auch nicht sein muss, wie Ang Lee eindrücklich beweisst: denn die berühmten drei Tage Friede entstanden nicht vor der Bühne, sondern überall dort wo die Menschen sich trafen und einfach waren, wer sie gerne sein mochten – siehe jene Szene, in welcher ein Polizist, der eigentlich ans Festival gekommen ist, um ein paar Hippies zu vermöbeln, Elliot auf seinem Motorrad durch die Menschenmassen fährt.

Man sieht schon an diesen Beispielen, dass Ang Lee doch nicht nur eine Komödie gemacht hat – natürlich ist vieles lustig, amüsant, bisweilen etwas skurril, doch es geht ihm auch darum, das Gefühl jener drei Tage einzufangen. Das gelingt ihm meistens auch sehr gut, doch dabei bleibt es aber, was etwas enttäuschend ist: der Film selber setzt keinen gefühlsmässigen Schlusspunkt, klingt zwar ein wenig wehmütig aus, wird ein wenig dramatisch, doch schlussendlich ist „Taking Woodstock“ wirklich nur das versprochene, fast gänzlich unschuldige Vergnügen, das Beschwören eines vergangenen Traumes, dem es ein wenig an Tiefe fehlt, um das von Ang Lee erwartete Juwel zu sein.

Fazit: Man darf bei „Taking Woodstock“ nicht das Falsche erwarten: er ist kein Musikfilm, keine Konzertbeschau und kein tiefgründiges Werk. Vielmehr ist Ang Lee ist eine leichtflüssige Komödie mit nur ganz kleinen dramatischen Tönen, welche das Phänomen Woodstock von einem ganz unerwarteten Standpunkt aus beleuchtet. Wer dies erwartet, wird von Ang Lees sicherlich nicht enttäuscht werden, wer jedoch ein grosses, ein wichtiges Werk erwartet, der wartet noch.


Originaltitel: Taking Woodstock (USA 2009)            
Regie: Ang Lee
Darsteller: Demetri Martin, Jonathan Groff, Liev Schreiber, Emile Hirsch, Imelda Staunton
Genre: Komödie
Dauer: 110 Minuten
CH-Verleih: Ascot Elite

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