„Cargo“ von Ivan Engler und Ralph Etter
In Galaxien, wo nie zuvor ein Schweizer war …
„Cargo“ von Ivan Engler und Ralph Etter
Manchmal braucht man nur eine kühne Vision und ein Quäntchen Mut, um etwas zu schaffen, wovon keiner gedacht hätte, dass es möglich ist. Beides, plus eine gehörige Portion Geduld und Durchhaltevermögen, hatten die Schweizer Ivan Engler und Ralph Etter wohl im Überfluss – über zehn Jahre lang haben die beiden am ersten richtigen schweizerischen Science-Fiction-Film gearbeitet, wurden oft ausgelacht und als Spinner abgeschrieben. Das fertige Werk jedoch rechtfertigt die weitgesteckten Ziele.
Von Alexander Sigrist.
Im Weltraum da ist es kalt. Das muss die junge Ärztin Laura feststellen, kurz nachdem sie auf einem Frachttransporter angeheuert hat – acht Jahre soll die Reise in der eisigen Blechbüchse dauern, aber das Ziel ehrt die Reise: Laura will nämlich mit dem Lohn ihr Leben auf dem Planeten Rhea finanzieren (die Erde ist nämlich, oh Überraschung, unbewohnbar), wo ihre Schwester bereits auf sie wartet. Schnell muss sie jedoch feststellen, das nicht alles mit rechten Dingen zugeht: den anstatt Baumaterial findet sie eingefrorene Menschen im Frachtraum.
Zehn Jahre, so lange sollen Ivan Engler und Ralph Etter an ihrem schweizerischen Mammutprojekt „Cargo“ gearbeitet haben – über Drehbuch, bis zum Setbau, über Ideen bis zum fertigen Spezialeffekt, alles musste entwickelt und gebaut werden, denn eine Infrastruktur hatten die beiden keine zur Verfügung.
Es ist eine beinahe grössenwahnsinnige Idee, einen Genrefilm in einem Land drehen zu wollen, dass sich bis anhin standhaft gegen eigene Genrefilme gewehrt hat – mal abgesehen von schlechten Komödien („Achtung, fertig, Charlie!“ oder „The Ring Thing“) und anständigen Kinderfilmen („Mein Name ist Eugen“) – und dann gerade einen Science-Fiction-Film! Dabei brauchen doch gerade diese meist ein hohes Mass an Spezialeffekten, ausser man will sein visuelles Schaffen auf die Innenansicht eines Raumschiffes beschränken. Kein Wunder also wurde „Cargo“ während seiner Produktion oftmals belächelt und ausgelacht und im vornherein als neue schweizerische Peinlichkeit abgeschrieben.
Mach die Augen auf!
Die Realität hat nun aber eine andere Geschichte geschrieben: „Cargo“ lässt reihenweise Kinnladen runterklappen und bei Ivan Engler soll Hollywood ja schon angeklopft haben. Kein Wunder, denn „Cargo“ kann sich mehr als sehen lassen. Was in dem ersten richtigen schweizerischen Science-Fiction-Film an visueller Brillanz auf die Leinwand gezaubert wird, verzückt und erstaunt gleichermassen: die Spezialeffekte sind, mit ganz wenigen Ausnahmen, absolut fehlerfrei und glaubwürdig, die Chose ist grandios gefilmt, zeigt einige wirklich wunderschöne Bilder, und die Ausleuchtung (der atmosphärische Todesstoss vieler einheimischer Filme) ist ganz und gar gelungen – kurzum: „Cargo“ ist ein atmosphärisch sehr dichtes Machwerk, was wiederum sehr angenehm an Klassiker wie „2001 – A Space Odyssey“ und „Alien“ erinnert (böse Zungen mögen ja behaupten, dass man dieses ‚erinnern‘ lieber als ‚geklaut‘ verstehen sollte).

Ob nun Referenz an Klassiker oder eben da geklaut, wenn es um das Visuelle geht, so merkt man in jeder Sekunde die inszenatorische Kraft der Regisseure: sie haben den Mut ihre Spezialeffekte, die Aussenansichten der Raumschiffe und Planeten, lange zu zeigen, wissen genau, dass sie ihre Effekte mit stolzgeschwellter Brust vorführen können. Natürlich drosselt dies das Tempo des Filmes auch ordentlich aus, aber Science-Fiction-Fanatiker werden sicherlich nichts dagegen haben.
…und das wäre dann noch die Story.
Ivan Engler und Ralph Etter haben also geschafft, was keiner gedacht hätte: sie haben einen visuell brillanten Science-Fiction-Streifen aus der Taufe gehoben – leider versagen sie aber an anderen Ecken und Enden. Die Story des Filmes nämlich, obwohl sie gute Ideen vorweisen kann, will nicht mitreissen. Viel zu unspektakulär wird das Ganze erzählt, die Charaktere wirken hingeschludert und langweilig (definitiv nicht der Fehler der Schauspieler, die spielen gut) und überhaupt: nicht nur der Ärztin ist es im Frachter kalt, sondern auch der Zuschauer fühlt sich schnell unterkühlt, zu kalt die Figuren, zu kalt die Erzählweise, zu generisch die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Personen (was in aller Welt hat diese Pseudo-Liebesgeschichte da zu suchen?).
Die Inszenierung der Story kann nicht mit der Inszenierung der Bilder mithalten, was mehr als schade ist; hätte man nur ein wenig mehr Energie in die Geschichte gesteckt und versucht, den Zuschauer auch emotional zu involvieren, „Cargo“ hätte wahrlich gar mit dem genialen „Moon“ konkurrieren können. So bleibt jedoch nur ein schaler Beigeschmack – an den Bildern hat man sich nämlich bald satt gesehen, interessante Charaktere und eine mitreissende Story hätten „Cargo“ unvergesslich gemacht.
Trotzdem ist der Film ein grosser Schritt für die Schweiz: er beweist das man auch in unserem Land in der Lage ist, mit einer Vision Grosses, ja verdammt Grosses zu schaffen. Dafür möchte man sich vor den Regisseuren verneigen und ihnen danken, dass sie der Schweizer Filmindustrie endlich dieses Selbstbewusstsein für den Genrefilm geben.
Bleibt zu hoffen, dass die Regisseure mit ihrem nächsten Film, sei es nun in Hollywood oder in der Schweiz, zeigen können, dass sie nicht nur visuell stark sind, sondern auch das Herz des Zuschauers ansprechen können.
Seit dem 24. September 2009 im Kino.
Originaltitel: Cargo (Schweiz 2009)
Regie: Ivan Engler, Ralph Etter
Darsteller: Martin Rapold, Yangzom Brauen, Anna-Katharina Schwabroh, Noa Strupler, Maria Boettner
Genre: Science Fiction
Dauer: 120 Minuten
CH-Verleih: Ascot Elite
Im Netz
www.cargoderfilm.ch
Offizielle Homepage und Trailer
Durch die Bilderwelt im Innern der Kassandra ist in mir das Gefühl einer grossen Beklemmung entstanden, das Gefühl einer „désolation totale“. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich im Film „Stalker“ von Andrei Tarkovsky, den ich vor mehr als 20 Jahren gesehen hatte und der mir wie wenig andere atmosphärisch bis jetzt ganz stark in Erinnerung ist. – Das Besondere in diesem Film ist unter anderem, dass hier nicht ein blitzblankes, perfekt funktionierendes Raumschiff unterwegs ist, wie es sonst in solchen Filmen der Fall ist. Nein, es wird einem zu Bewusstsein gebracht, dass auch solche Vehikel altern und irgendwann mal zerfallen. Man wird an seinen eigenen Tod erinnert. Der Kontrast zwischen den schönen Bildern der Erde und diesem abgetakelten Raumschiff ist wuchtig, ein starkes Element des Films. Und dieser Kontrast löste in mir einmal mehr die Erkenntnis aus: ja, es gibt keine Alternative zu unserer guten alten Erde („immer noch schön“, sagt Laura einmal) und wir sollten wirklich Sorge zu ihr tragen. Und eine weitere Botschaft entnahm ich dem Film: leben wir das wirkliche Leben und nicht Simulationen! Das scheint mir ein ganz aktuelles Thema, angesichts all der virtuellen Welten, die sich im Internet auftun. Die Figur der Laura finde ich filmisch sehr gut eingefangen, sie bleibt einem haften. Einen der stärksten Moment des Films überhaupt finde ich den, wo sie ihre Schwester umarmt und dann ins Leere blickt, mit einem unglaublich intensiven Blick, der ihre widersprüchlichen Gefühle gleichzeitig zum Ausdruck bringt: die Freude, ihrer Schwester nahe zu sein, aber auch die Verzweiflung im Wissen, dass alles Simulation ist. Köstlich fand ich die beiden Handwerksgesellen, die in ihrer hemdsärmlig-proletarischen Art einen Kontrast ergeben zur Hightech-Umgebung. Und wie sie dann ihr Fest feiern, gleichsam an einem irdisch-gemütlichen Stammtisch: eine herzerwärmende, aber auch unwirklich anmutende Oase in dieser Umgebung! Also, mit diesem Film wurde mit beschränkten Mitteln etwas ganz Hervorragendes geschaffen, das viele Gedanken und Gefühle auslöst.