Ivna Zic „Abkommen“ (Theater Winkelwiese, Zürich)

Im Einheitsschritt ins Chaos

Ivna Zic „Abkommen“ | Theater Winkelwiese, Zürich | 29. Oktober 2009

Bild|Copyright: Theater Winkelwiese
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In ihrem ersten Theaterstück entwirft die junge Autorin Ivna Zic eine eigene kleine Welt fernab von hektischen und überfordernden Stadträumen, mit eigenen Regeln und Abläufen. Die utopische Miniaturgesellschaft wandelt sich aber bald ins Chaotische – und hüllt dabei den kleinen Theatersaal an der Winkelwiese in dichte Nebelschwaden.

Vier Menschen, die mit dem hektischen Leben in der modernen Welt nicht mehr klar kommen, haben sich zusammengeschlossen, um ihm in einem kleinen abgelegenen Häuschen entgehen zu können. Dort leben sie nach streng festgelegten Regeln: jeder Tag gleicht dem anderen in seinem Ablauf und niemand muss eigene Entscheidungen fällen. Was ein Anderer vielleicht als Monotonie und Langeweile empfinden würde, wiegt Agnes, Ruth, Bastian und Birger in Sicherheit und gibt ihnen eine Stabilität, die sie ausserhalb dieser Wände verloren hatten. Eine Zeit lang scheint dieses einfache Leben gut funktioniert zu haben, doch nur so lange, bis ihnen die Natur einen Strich durch die Rechnung machte. Denn bis vor kurzem war die kleine Gruppe noch zu fünft.

Das Verlangen, gleich zu sein
Das Grundgefühl, das dieses regelstarre Leben auf kleinem Raum mit sich bringt, ist der durchdringende Wunsch nach Gleichheit. Wenn sie alle gleich sind, gibt es keine Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten, die gelöst werden müssen. Das Musterbeispiel für Gleichheit waren Bastian und Ina. Ina war Bastians Zwillingsschwester; eine Krankheit hatte sie schon seit einer Weile zum Pflegefall gemacht und schliesslich ist sie in dem Häuschen am Rande der Gesellschaft gestorben. Dieser Zwischenfall hat die Stabilität in der Gruppe tief erschüttert. Immer wieder wird betont, dass etwas fehle; Inas Tod hat ein schwarzes Loch hinterlassen, das sich ausbreitet und an den Grundfesten der kleinen Welt zu nagen beginnt. Birger isst und spricht fast nichts mehr und die anderen beginnen langsam an ihrem Regelwerk zu zweifeln.

Bild|Copyright: Theater Winkelwiese
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Ein Fliegenleben
Mit bedrückender Überzeugung verkörpern die Schauspieler die Rolle derer, die der modernen Schnelllebigkeit und den unzähligen Sinneseindrücken mit Rückzug, Stagnation und Ablehnung begegnen. Nur schon beim Erscheinen der Möglichkeit eines Regelbruchs werden sie sichtlich nervös und wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Eine summende Fliege wird zum irritierenden Fremdkörper und gleichzeitig zum Spiegel. Wie die Fliege möchte Birger gerne sein, ohne Trauer oder Angst vor der Zukunft – aber auch ohne jegliche andere Emotion. Dass es aber nicht so einfach ist, seine Gedanken und Gefühle einfach abzustellen und sein Leben als entscheidungsfreies roboterähnliches Wesen zu führen, müssen die vier Aussteiger bald erkennen. Als ihr Häuschen schliesslich von Rauch und Flammen bedroht ist, droht auch der letzte Rest an Sicherheit, der ihnen geblieben ist, zusammenzubrechen und dem Chaos freien Lauf zu lassen.

Chaos und Dekonstruktion
In ihrem dramatischen Erstling schuf Ivna Zic ein komplexes Zusammenspiel von Weltflucht und dem Versuch, das Zusammenleben mit anderen Menschen so harmonisch wie möglich zu gestalten. Die Umsetzung hat der Regisseur Gian Manuel Rau mit überraschenden Details ausgestattet und er lässt das Bühnenbild den Weg der Figuren in die Dekonstruktion und das Chaos mitgehen. “Abkommen“ entstand im Rahmen des Autorenprogramms Dramenprozessor am Theater Winkelwiese, einer Werkstatt für junge Nachwuchs-Dramatiker. Für ihre literarischen Texte wurde Ivna Zic schon mehrfach ausgezeichnet, aber auch die Bühne scheint ihr natürliches Terrain zu sein. Man sei gespannt auf ihre zukünftigen Projekte.

Besprechung der Premiere am 29. Oktober 2009.
Weitere Vorstellungen bis am 14. November 2009.
Dauer: ca. 75 min (ohne Pause)

Besetzung:
Silke Geertz
Anja Tobler
Nikolaus Schmid
Samuel Streiff

Regie: Gian Manuel Rau
Bühne: Michel Schaltenbrand
Kostüme: Anne Hölck
Musik: Nikolaus Schmid, Lucas Jordan
Dramaturgie: Iva Sanjek
Technik: Stefan Marti, Michael Omlin
Regieassistenz: Petra Jenny
Produktionsleitung: Gabi Bernetta
Musiker: Lucas Jordan (Flöte), Julia Schwob (Violine), Franziska Bilger (Viola), Gaudens Bieri (Cello), Flurin Lanfranconi (Contrabass)
Kostümanfertigung: Heidi Mummenthaler
Koproduktion: Theaterproduktionen Gabi Bernetta, Theater Winkelwiese, Theater Roxy Birsfelden, Schlachthaus Theater Bern

Im Netz
www.winkelwiese.ch

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