Sasha Waltz & Guests „Körper“ (Schauspielhaus Zürich, Schiffbau)

Die Inventur des Menschen

Sasha Waltz & Guests „Körper“| Schauspielhaus Zürich, Schiffbau Halle

Bild|Copyright: Bernd Uhlig
Bild|Copyright: Bernd Uhlig

In Sasha Waltz Tanztheaterstück aus dem Jahr 2000, wird am Menschen Mass genommen. 13 Tänzerinnen und Tänzer stellen ihren Körper aus, zerlegen ihn, beschreiben ihn. Emotionslos und ohne Kommentierung. Wecken dabei allerdings allzu leicht vorgefertigte Assoziationen.

Mehrmals erzählen Darsteller Geschichten über ihren Körper, benennen dabei einzelne Körperteile, zeigen aber zugleich auf ganz andere Körperteile, ­ der Körper wird fragmentiert, verfremdet, sinnentleert. Doch diese Geschichten dominieren nicht das Stück, genauso wenig wie das Erzählende. Es bleiben die Assoziationen.

Organhandel und Tanztheater-Blabla
In einer Szene zu Anfang des Stücks umranden zwei Darstellerinnen an den entsprechenden Stellen die Organe auf ihre nackten Körper und kleben Preisschilder darauf­, der Körper wird so zum Material, zur Ware, die Assoziation ist ganz klar: „Organhandel“. Arnd Wesermann nennt diese Szene zu Recht „uraltes  Tanztheater-Blabla“. Überhaupt evozieren diese Szenen und davon gibt es leider reichlich viele, zu schnell Assoziationen. Da macht es Sasha Waltz den Rezipienten allzu leicht.

Selbst bei der wohl eindrücklichsten Szene des Stückes, als hinter einer Glasscheibe, in einem flachen, rechteckigen, senkrecht im Raum stehenden schwarzen Kasten sich die fast nackten Darsteller mit geschlossenen Augen im Zeitlupentempo richtungslos umeinander bewegen, schlängeln. Die Assoziation ist augenfällig und weist sofort auf „Objektträger“ und „Reagenzglas“.

Genauso geschieht dies in der Szene, in der aus zwei Körpern einer wird. Aus dem Unterleib des einen Tänzers, wächst verdreht der Oberkörper des anderen. Der Übergang ist durch schwarzen Stoff verhüllt. Die so zusammen gesetzten Körper bewegen sich wie Fabelwesen durch den Raum, setzen sich, verrenken sich. Der menschliche Körper ist zusammensetzbar, verformbar. Auch hier die Assoziation augenfällig: „Genmanipulation“.  Man weiss, auf was Sasha Waltz hinweisen will, das ist zu plakativ, eröffnet die Möglichkeit sich ablenken zu lassen und das ist schade. Unerträglich wird dies, als einem Akteur scheinbar Organe entnommen werden und er „entwässert“ wird. Das ist nicht eindrücklich, sondern schlicht langweilig. Einzig die körperliche Reaktion des Ekels – die durchschaubar evoziert werden soll – hält die Aufmerksamkeit des Publikums.

Die Tanzsequenzen, die Qualität des Stücks
Überragend wird das Stück erst bei den eigentlichen Tanzsequenzen. Da werden die Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr für eine (überstrapazierte) Gesellschaftskritik verbraucht, sondern im Raum und zu sich selbst in Beziehung gesetzt. Da verschmelzen sie zu Ketten, werden Knäule um sich gleich wieder zu entwirren und fast schwerelos den Raum auszuloten. Hier erkennt man Menschen und nicht mehr an Menschen dargestellte Themen.

Zur Halbzeit des Stückes ist die große Wand in der Mitte der Bühne umgefallen. Sie hat sich in einen schräg liegenden, rechteckigen Boden verwandelt, der die Mitte der Bühne beherrscht und auch die Choreographie der zweiten Stückhälfte prägt. Alle Tänzer sind bis auf eine weisse Unterhose nackt, wie bisher nur zu Beginn des Stücks. Minutenlang bewegen sie sich wie eine Masse von identischen Körpern: Sie rollen auf dem Boden entlang, stets in Tuchfühlung mit dem jeweils nächsten, sie bilden groteske Körperhaufen, bei denen man nicht mehr erkennen kann, welches Glied zu wem gehört, und sie bilden ordentlich gestapelte Körperhaufen, erinnern dabei an die dunkle Zeit jüngerer deutscher Geschichte. Das lässt eine Reaktion des Entsetzens zu, die ganz im Gegensatz zur Ästhetik der Bewegung steht. Intelligentes Tanztheater, jenseits des Plakativen.


Bild|Copyright: Bernd Uhlig
Bild|Copyright: Bernd Uhlig

Verweis und fallende Körper
Sasha Waltz verweist dabei mit den Tanzbewegungen auf den Beginn des Stücks. Zu Anfang sehen wir auf den Boden fallende Körper, die beim Aufprall zwar laute Geräusche verursachen, aber keinerlei Regung zeigen. So wird uns auf der einen Seite das Gewicht der Körper ins Bewusstsein gerufen, das aber auf der anderen Seite nicht besonders gross zu sein scheint, ­ sehen wir doch ständig akrobatische Hebungen und Sprünge, bei denen die Körper scheinbar leicht sind.

Im Gegensatz zu diesem zwiespältigen Eindruck steht die offensichtliche Schwere der fast nackten, nachgebenden Körper zu Beginn der zweiten Sequenz. Dadurch, dass etwa eine Tänzerin bei Hebungen keinerlei Körperspannung hält, sieht man deutlich, wie schwer ihr Körper für den Hebenden ist­ und dies ist eine ganz andere Schwere als die der unempfindlichen, steifen Körper der Tänzer, die sich zu Anfang gegenseitig heben und auf den Boden fallen lassen.

Regelmässigkeit und fremde Wesen
Die Regelmässigkeit, mit der die Tänzer in der ersten Sequenz ihre blitzschnellen kampfsportartigen Bewegungen ausgeführt haben, weicht in der zweiten Sequenz einer grösseren Varianz an Bewegungsqualitäten. Ein Tanzduett zeigt die fast nackten Körper der Tänzer als verletzlich, fast zärtlich, biegsam und emotional, während ein Duett  wenig später eine ausdifferenzierte Version der „Kampf“-Szenen aus der ersten Sequenz ausführen: Nicht mehr stur-maschinelle Regelmässigkeit prägt ihre Bewegungen, sondern die Tempi werden variiert, die Bewegungsstillstände länger, die Beleuchtung macht individuelle Eigenheiten sichtbar. Man kann sich plötzlich mit den „Kämpfenden“ identifizieren, und das ist um so wichtiger, als man zwischendurch erschrocken feststellen kann, dass viele Bewegungen denen der scheinbar fremden, unempfindlichen Wesen der ersten Sequenz analog sind, ­bei der ein distanzierter Blick noch zugelassen wurde.

Erfrischende Tanzsequenzen und die Materialität der Körper
Hier hat es Sasha Waltz geschafft, über die Wiederholung und leichte Veränderung von Bewegungen den Zuschauer zu provozieren, mehr als bei ihrem aufgesetzten „Gesellschaftsgetue“. Sie visualisiert nämlich gerade in den erfrischenden Tanzsequenzen die Konstruktion unterschiedlicher Körper-Materialitäten und nicht nur die tatsächliche Beschaffenheit der Körper. Sie versteht es damit die je eigene Körperlichkeit der Tanzenden selbst bewusst zu suggerieren. Auch deswegen, weil die Tanzakteure (fast) dieselben sind, wie bei der Uraufführung des Stücks an der Berliner Schaubühne am 22. Januar 2000. Sie sind älter geworden. Auch diese Qualität wird mitgedacht. Zufällig? Hoffentlich nicht.

Besprechung der Aufführung am 29. Oktober 2009.
Alle weiteren Vorstellungen ausverkauft.
Dauer: 90 Minuten ohne Pause

Im Juni 2010 besucht Sasha Waltz wieder den Schiffbau in Zürich, diesmal mit einer Uraufführung im Rahmen der Zürcher Festspiele.

Regie und Choreographie: Sasha Waltz
Musik: Hans Peter Kuhn
Bühne: Thomas Schenk, Heike Schuppelius, Sasha Waltz
Licht: Valentin Gallé, Martin Hauk
Tanz und Choreographie: Davide Camplani, Luc Dunberry, Annette Klar, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Nicola Mascia, Grayson Millwood, Virgis Puodziunas, Yael Schnell, Claudia de Serpa Soares, Xuan Shi, Takako Suzuki, Laurie Young, Sigal Zouk-Harder


Im Netz
www.schauspielhaus.ch
www.sashawaltz.de

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