Yasmina Reza “Der Gott des Gemetzels“ (Stadttheater Bern, Vidmar 1)
Von Hamstern und Menschen
Yasmina Reza “Der Gott des Gemetzels“ | Stadttheater Bern, Vidmar 1 | 6. November 2009

Regisseur Gabriel Diaz zeigt Yasmina Rezas Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ um das explosive Aufeinandertreffen zweier Elternpaare am Stadttheater Bern. Die Inszenierung auf der wunderbaren Bühne von Beni Küng bedient sich etwas zu viel der Ironie und der Überzeichnung und vermag den Spannungsbogen nicht immer zu halten.
Schon Paolo Contes Klassiker „Via con me“, der die Platzsuche des Publikum vor Aufführungsbeginn in der grossen Vidmar 1 begleitet, deutet auf den Modus des Stückes und der Aufführung hin: eigentlich könnte doch alles „wonderful“ sein, oder wenigstens sollte es. Denn der Ausgangspunkt des Geschehens ist die als friedvoll geplante Übereinkunft der beiden Pariser Elternpaare Houillé und Reille. Der 11-jährige Ferdinand Reille hat in einer Schulpause nämlich seinem Kameraden Bruno Houillé mit einem Stock zwei Schneidezähne herausgeschlagen – jetzt wollen die Eltern das Ganze auf vernünftige Art im Wohnzimmer der Houillés klären. Die beeindruckende Bühne von Beni Küng zeigt cleane, schneeweisse Möbel auf einem Boden aus Glas, wo Pflanzen wie Moos, Schilf und Farn Wände, Zimmer und nicht zuletzt eine von den Bewohnern beabsichtigte Natürlichkeit symbolisieren sollen. Und sie deutet bereits eine Doppelbödigkeit an, denn unter dem schicken Glasboden zeigt sich das gegenteilige Bild vom Wohnzimmer. Die braune Erde fungiert als Deponie für familiäre Spritzkannen oder Fahhradfelgen und bietet Platz für Unkraut und Bodennebel – es ist also alles nur auf den ersten Blick aufgeräumt, sauber und klar.

Vom Fall der Lebensmasken
Und so wird auch schon bald nach dem Aufeinandertreffen der beiden Paare relativ rasch klar, dass ihr Gespräch nicht primär ein vernünftiges werden wird, und dass es auch nicht primär um ihre Kinder gehen wird. Bald wird deutlich, dass alle vier in einem unbefriedigenden Leben sowohl als Individuen als auch als Paare gefangen sind. Es fallen immer mehr und immer deutlicher die ganz persönlichen Lebensmasken, die sich alle sorgfältig zugelegt hat. Sabine Martins Véronique Houillé ist schon von Beginn weg eine nervlich angespannte, tickende Zeitbombe, die sehr darauf bedacht ist, ihren literarisch-künstlerischen Intellekt und ihre gute Kinderstube hervorzustreichen. Deshalb bemüht sie sich zunächst beim Servieren von Kaffee und Clafoutis noch darum, die Contenance zu bewahren. Sie ist es auch, die immer wieder Fragen zu Ferdinand einwirft und diesbezüglich ihre hohen Moralvorstellungen an die Reilles bringen will – vergeblich. Denn die verkrampfte Vermögensberaterin Annette Reille (leider nicht immer verständlich gesprochen von Marianne Hamre), eigentlich “zuständig für Haus, Schule und Garten“, ist diesen Aufgaben gar nicht gewachsen. Dermassen angewidert von ihrem langweiligen Leben und ihrem karrieregeilen Mann Alain (Heiner Take), den sie als “zu nichts nutze“ nennt, übergibt sie sich über Véroniques geliebten Kunstband zum Werk Oskar Kokoschkas. Ihrem von Alain verpassten Kosenamen “Wauwau“ gerecht werdend, verbellt sie fortan weinerisch ihr Leben.
Alain ist dies und im Grunde auch Ferdinands “Tat“ ziemlich egal. Als erfolgreicher Jurist eines Pharmaunternehmens hat er einen grossen Medikamentenskandal abzuwenden, weswegen er auch ständig am Handy hängt. Mit Geld und Macht können für ihn alle Sammelklagen und „Kinderstreiche“ dieser Welt beseitigt werden. Erst als Annette sein Telefon in der Tulpenvase versenkt, regen sich bei ihm menschliche Gesichtszüge. Es ist die perfekte Rolle für Heiner Take, der diesen
Kotzbrocken Alain wirklich als solchen darzustellen vermag. Anders verhält es sich bei Ernst C. Sigrists Michel Houillé. Das Gehoppel über die Bühne, das er gegen Schluss der Aufführung immer mehr veranstaltet, kommt allzu unbeholfen daher und will auch nicht recht zum Ausbruch aus Michels adrett-korrekten Eisenwarengrosshändler-Daseins werden; dass dieser Mann aus Angst vor Nagetieren den geliebten Hamster seiner Tochter böswillig ausgesetzt haben soll, nimmt man Sigrist nicht ab.

Gemetzel-Overkill
Und so verhält es sich leider auch mit der Aufführung als Ganzes: Das von Yasmina Reza als eine Art “Huis clos“ angelegte Stück über die Blicke hinter die Fassaden von Gutmenschentum und Verständnis- und Toleranzbewusstsein ist generell einen Tick zu stark ironisiert und die Figuren stellenweise zu stark überzeichnet. Obwohl im Stück ein ja bereits im Titel angelegtes “Gemetzel“ gezeigt werden soll, ist es zu schnell zu klar, dass sich die Protagonisten gegenseitig fertigmachen werden und dass die Situation ausarten wird; eine Spannung erhält gar nicht erst die Chance, sich aufzubauen und allzu plötzlich, nachdem die Runde vom Kaffee zum Rum übergegangen ist, ist da nur noch Geschrei, nur noch grosse Gestik und nur noch Hysterie. Kunstbücher, Galle und Tulpen werden herumgeworfen, bis sich alle auf dem weissen Sofa sitzend wieder einigermassen besinnen und Véronique ihrer Tochter am Telefon vorlügt, dass es dem Hamster sicher gut gehen werde. Die Fassade beginnt sich wieder herzustellen, weshalb zum Schluss auch wieder Conte erklingt – aber richtig “wonderful“ war’s nicht, dieses Aufeinandertreffen der Houillés und Reilles, und auch der Theaterabend nicht. Und weshalb als Letztes wohl noch Regen fallen muss?
Besprechung der Premiere vom 6. November 2009.
Weitere Vorstellungen: siehe www.stadttheaterbern.ch
Darsteller: Sabine Martin, Marianne Mamre, Ernst C. Sigrist, Heiner Take
Inszenierung: Gabriel Diaz
Bühne: Beni Küng
Kostüme: Dorothee Brodrück
Dramaturgie: Karla Mäder
Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten. Keine Pause.
Im Netz
www.stadttheaterbern.ch
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