„Die Frau des Präsidenten“ von Curtis Sittenfeld

First Lady plaudert aus dem Nähkästchen

Curtis Sittenfeld: „Die Frau des Präsidenten“

Unter den mitteilsamen Politikergattinnen bildet sie die grosse Ausnahme: Laura Bush hat sich bisher geweigert, ihre Memoiren zu schreiben. Das hat Curtis Sittenfeld auf den Plan gerufen, das Leben von George W. Bushs Ehefrau aufs Papier zu bringen – als fiktiver Roman. In den USA sorgte sie damit für einen Skandal.

Von Stephan Sigg.

fraudespräsidentenDer 686 Seiten dicke Roman der amerikanischen Autorin Curtis Sittenfeld sorgte in den USA für mächtigen Wirbel. Denn in „Die Frau des Präsidenten“ erzählt Sittenfeld Laura Bushs Leben und lässt nichts aus: Ein selbst verschuldeter Autounfall, bei dem ein Mitschüler ums Leben kommt, eine Abtreibung, der Besuch beim Schönheitschirurgen, detaillierte Beschreibungen vom Sex mit Mr. Präsident …. „Die Frau des Präsidenten“ ist ehrlicher als jede Autobiografie dies sein könnte – selbst wenn es sich bei vielem nur um Fiktion handeln wird.

Die engagierte Schulbibliothekarin …
Alice, wie Laura im Buch genannt wird, wächst in beschaulichen Verhältnissen auf: Einzelkind, der Vater arbeitet bei einer Bank, die Mutter ist Hausfrau und kümmert sich um die Grossmutter, die bei ihnen im gemütlichen Einfamilienhaus lebt und der Enkeltochter die Liebe zur Literatur vermittelt. Einige Jahre später ist es Alice, die in einer beschaulichen Schule als Bibliothekarin weit über ihr Arbeitspensum hinaus die Lust aufs Lesen wecken will. Mit ihrem Leben scheint sie vollends zufrieden zu sein und sich bestens darin eingerichtet zu haben – bis eines Abends Charlie in ihr Leben stürzt.

… wird vom Republikaner vor den Traualter geführt
Schon bei der ersten Zufallsbegegnung auf einer Party funkt es zwischen den beiden. Charlie versteht wenig von Literatur, fesselt Alice aber durch sein forsches Auftreten und Charisma. Auch wenn der Republikaner und die Demokratin politisch alles andere als ein Herz und eine Seele sind, stehen sie schon bald vor dem Traualter. Alice schlägt als frischgebackenes Mitglied eines wohlhabenden Clans eine neue Richtung ein. Statt Schulbibliothekarin ist sie nun hauptberufliche Haus- und Ehefrau, die ihren Mann an Wahlkampfveranstaltungen begleitet. Und so trägt sie gegen ihren Willen dazu bei, dass ihr Mann auf der politischen Leiter einen Tritt nach dem anderen nach oben steigt.

Die Frage nach der eigenen Verantwortung
Einen grossen Teil des Reizes verdankt „Die Frau des Präsidenten“ dem Voyeurismus: Der neugierige Leser hofft, durch den Roman Einblicke in den privaten Alltag im Weissen Haus zu bekommen. Dass Sittenfeld bewusst Fiktion und Realität vermischt, sorgt für einen zusätzlichen Kick. Man muss selber entscheiden, was der Wahrheit entspricht. Doch Sittenfelds Roman bietet mehr als einen Blick durchs Schlüsselloch. Zentrales Thema ist die Frage nach der eigenen Verantwortung: Wie sehr hat man Einfluss auf die Taten seines Nächsten? Wie kann man wissen, ob man seiner Verantwortung vollends gerecht geworden ist? Für Alice entfaltet diese Frage angesichts des Irak-Kriegs ihre volle Schärfe. Hätte sie den Tod von tausenden Menschen verhindern können?

Mehr als ein Blick durchs Schlüsselloch
Statt einer Demontage des Bush-Ehepaars versucht Sittenfeld ein möglichst differenziertes Bild zu zeichnen. Im Zentrum steht natürlich ganz klar Laura Bush bzw. Alice Blackwell: Sie schildert ihr Leben, ihre Vergangenheit und die jetzige Gegenwart als Frau des Präsidenten, deren Alltag nun einem Leben in einem gläsernen Käfig gleicht. Auch wenn an manchen Stellen der Verdacht entstehen könnte, handelt es sich bei diesem Roman keineswegs um ein PR-Projekt für Laura Bush. Die Protagonistin ist sympathisch, weise und selbstkritisch. Man muss hier aber dagegen halten, dass Alice auch genügend Gelegenheiten erhält, sich ins rechte Licht zu rücken – zugegebenermassen ist dies das Problem von fast allen Autobiografien. Trotzdem ist es ein Schwachpunkt: Manches in Sittenfelds Roman wirkt zu abgeschliffen und geglättet, man hätte sich zuweilen, wenn die First Lady über Enkelkinder ihrer Cousinen und ähnlich weit Entferntes ins Plaudern kommt, etwas mehr Zurückhaltung und den Mut zur Lücke gewünscht. So hätte man zum Beispiel auf Alices Erinnerungen an ihre Schönheitsoperation und die darauf folgenden Komplimente ihre Freunde ohne weiteres verzichten können.


Aufbau-Verlag
686 Seiten, ca. CHF 39.90

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