„archiv.toten.heim – Ruhe in Frieden, liebes Theater“ (Schweizer Theatersammlung Bern )

Viel Theater um viel Theater

“archiv.toten.heim – Ruhe in Frieden, liebes Theater“ | Schweizer Theatersammlung, Bern

Bild | Copyright: Gregor Szyndler
Bild | Copyright: Gregor Szyndler

Wenn es etwas gibt, was die Schweizerische Theatersammlung nicht um sich macht, dann ist dies – Theater. Dies ändert sich nun dank muse:on mit der Inszenierung von «archiv.toten.heim – Ruhe in Frieden, liebes Theater».

Von Gregor Szyndler.

Nach einigem Warten auf den Beginn der szenischen Führung, während der man sich fragt, ob dies der uneigentliche Beginn der Sache ist, taucht die Flight-Attendant (Nadine Tutte) auf. Die Reiseflughöhe wird 542 Meter sein, anschnallen muss man sich nicht, auch Notausgänge und Schwimmwesten zeigt sie keine. Herrlich überdreht spielt sie, verweist immer wieder auf die unbefriedigende Bausituation der STS und leitet den Take-off ein.

Hostesse und Archivar
Man sieht dem Gebäude seinen Sammlungszweck an. Die Decke hängt niedrig, alles ist vollgestellt mit Kartons, Büchern, Zeitschriften, Exponaten. Zu den Letztgenannten gehören an diesem Abend ein Archivar (David Speiser), der mit der Sammlung verschmelzen will. Er will auch durch den Abend führen – auf dem Boden theatergeschichtlich verbürgter (verbrämter?) Fakten. Wir finden ihn im ersten Raum, den wir betreten. Er beugt sich über ein Diorama aus Karton. Es bildet ein Bühnenbild ab. Sofort wittert der Archivar Blut. Heftet sich an unsere Fersen. Wann sonst finden sich schon 17 Personen aufs Mal hier ein? – Eben.

Der Ball, das Publikum
Es entspinnt sich ein Hin und Her zwischen der Hostesse und ihm. Sie ist bestrebt, den Ball – das sind wir, das Publikum! – flach, genauer gesagt, niedrig, auf 542 Meter zu halten. Der Archivar hingegen, belesen wie er ist, braucht nur das geringste Stichwort, um zu einem Höhenflug über den Ländereien Theatralia und Dramaturgia zu starten. Die Hostesse will ihn stoppen und verweist auf die armen Zuschauer, denen seien solche Exkurse kaum zuzumuten. Viel Theater entwickelt sich um viel Theater. Der latent pathetische Archivar und die schnippisch-sachliche Hostesse beissen sich aufs Feinste.

Computer, wie zu 5.25-Zoll-Disketten-Zeiten
Raum für Raum entbrennt deren Uneinigkeit. So weiss man kaum, ob man auf die Zwei, die Exponate oder die Ausstellungsweise der Exponate achten soll. Die Räume fangen an bei griechischen Theatern, es hat Modelle aller möglichen Theatergebäude und Bühnen, Masken sind da, Stellwände und verborgene Regale, hölzerne Räder, mittels derer man einzelne Displays verstellen kann und PC-Bildschirme. Die sind ein Thema für sich, altertümlich grün-auf-schwarz flimmernd, Computer, wie zu 5.25-Zoll-Disketten-Zeiten. Man würde sich gerne an den Exponaten festlesen und rumschmökern, doch eilt die Hostesse von Raum zu Raum. So endet die szenische Führung allzu bald und wir werden zurück zum Eingang geschleust, wo ein Glas Prosecco auf uns wartet. Für eine Sekunde entsteht die Peinlichkeit, dass niemand weiss, ob jetzt die Zeit für den Applaus sei – solche Situationen nimmt man in Kauf, wenn man auf den Vorhang verzichtet.

Wermutstropfen und Prosecco
Aber dann kommt er, der Applaus. Er gilt einer gelungenen Aufführung, die sich geschickt weigerte, eine zu sein – und gerade dadurch ihre zugrunde liegenden Bedingungen auslotete. Die Sammlung bekommt ihr Fett weg, wird jedoch nie verlacht, sondern liebevoll belächelt. Der einzige Wermutstropfen, der auch vom Prosecco nicht ausgeglichen wird, ist die zu hohe Geschwindigkeit, mit der man durch die Sammlung geschleust wird, die keine Zeit lässt für die Betrachtung der Ausstellung. Das ist schade für den gelegentlichen Besucher, dürfte aber im Konzept der Sache liegen. Muss man halt wiederkommen. Es lohnt sich.

Besprochen wurde die Aufführung vom 20. Dezember 2009.

Weitere Vorstellungen je nach Nachfrage im Jahr 2010

Regie: Béla Riethausen
Produktionsleitung: Franziska Franz
Dramaturgie: Michael E. Graber
Text: Graber, Franz, Riethausen.
Spiel: Ana Castano Almendral
Nadine Tutte
Matthias Steiger
David Speiser

Im Netz
www.theatersammlung.ch

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Theater in der Schweizerischen Theatersammlung Bern
Die Bespielung der STS findet nach dem Pilot im Dezember voraussichtlich während einem Jahr je nach Nachfrage statt. Zusätzlich wird die Performance an der Berner Museumsnacht gezeigt. Weitere Projekte von muse:on sind ab Februar 2010 geplant.
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