Die Pfütze
Die Pfütze
Ein Text zum Bild
Bild: Christina Burkolter, Text: Catharina Graf
Sie gehört genau so zum Frühling wie die Bienen, Blüten und Schmetterlinge im Bauch: Die Pfütze. Auch wenn man es angesichts der sich aus der Erde reckenden grünen Köpfchen und der vor Kopulierlust zwitschernden Vögeln nicht wahrhaben möchte: In unseren Breitengraden regnet es in den Frühlings- und Frühsommermonaten März bis Juni mindestens so viel wie in den Herbstmonaten. Wenn nicht mehr.
Das ist auch gut so. Abgesehen davon, dass Flora und Fauna sich ohne Wasser nicht so hübsch aus dem Winterschlaf erwachen könnten, ist hoffentlich jedem klar, dass dauernder Sonnenschein Lebensräume in dürre Einöden verwandelt.
Die Pfütze steht für den Regen, der vorüber ist, das Hochwasser, das abgeklungen ist, die Sintflut, die man überlebt hat. Sie steht für das Leben: Angesichts dieses morastigen kleinen Sees, in dem ein temporärer Lebensraum für Dreck und Abfall, Würmer und Larven und schleimige grüne Pflanzen entsteht, macht es plötzlich Sinn, dass sich aus dieser urchigen Suppe das Leben überhaupt entwickelt haben soll.
Wie sie so in der Sonne liegt, offenbart sich die Pfütze als Zwischenwesen, als Wesen zwischen nass und trocken, zwischen feuchtem Regen und dörrender Sonne, zwischen sumpfiger Ursuppe und metaphysischen Höhen. Sie beherbergt das Morastige, eine Unterwelt, in der sich schleimige Viecher tummeln; sie lauert auf die unschuldigen Beine, die vom gepflasterten Weg abkommen, um sie mit ihrem urchigen Schleim zu beschmieren.
Sie nimmt die Welt spiegelnd in sich auf, dreht Häuser und Bäume auf den Kopf und lässt sie in die Tiefe wachsen. Sie nimmt das Grün von den Bäumen und das Blau vom Himmel, um der braunen Landschaft aus Dreck eine mysteriöse Schönheit zu verleihen.
Eine Pfütze verwischt die Grenzen zwischen oben und unten. Die Pfütze ist nicht tief. Aber unterschätzt. Also: Ein Hoch auf die Pfütze, die – von der Sonne beschienen – von belebenden Regenschauern zeugt, vom Verschwinden der winterlichen Kälte, und die einen auf seltsam melancholische Art auf den Sommer hoffen lässt.