Vom (Über-)Leben im Abgrund

2010 ist das Uno-Jahr der Biodiversität Aus diesem Anlass publizieren wir einen Artikel aus dem Archiv, der das Leben in der Tiefsee zum Thema hat.


Unbekannte Tiefsee

 

In leuchtenden Farben schweben Quallen durch die Tiefsee Foto: Doe100 - pixelio.de
In leuchtenden Farben schweben Quallen durch die Tiefsee Foto: Doe100 – pixelio.de

Die Erforschung der Tiefsee gleicht einem nächtlichen Erkundungsgang im Wald mit einer Taschenlampe. Nur Weniges wird vom suchenden Lichtstrahl erfasst.

Als die Kugel tiefer und tiefer sank und das Blau des Wassers immer intensiver wurde, blickten sich William Beebe und Otis Barton vermutlich nicht ganz ohne Unbehagen in die Augen. Denn sie waren auf dem Weg in die ewige Finsternis der Tiefsee, in die sie als erste Menschen vorstiessen – in einer Stahlglocke, die über ein Seil mit einem Schiff verbunden war. Dieser Tauchgang ereignete sich 1930. Vorher hatte man über die Abgründe der Weltmeere während Jahrhunderten nur spekulieren können, denn die Technik steckte noch in den Kinderschuhen und ein direkter Einblick war nicht möglich.

Immer schon weckte jedoch die Tiefsee Phantasien aller Art und war dementsprechend auch oft Gegenstand von Mythologie, Literatur und Kunst. Unzählige Legenden berichten von riesigen Ungeheuern und verführerischen Nymphen, denen die Seeleute zum Opfer fielen. Der renommierte britische Naturforscher Edward Forbes hingegen hatte die Tiefsee Mitte des 19. Jahrhunderts für unbelebt erklärt. Seit dem historischen Tauchgang von Beebe und Barton hat die Tiefseeforschung viel über den unwirtlichen Lebensraum ans Tageslicht gebracht. Ungeheuer und Nymphen wurden zwar nicht entdeckt, doch weit unterhalb der Wasseroberfläche tummeln sich zahlreiche aussergewöhnliche Lebewesen. Im Folgenden nun ein kleiner Einblick in die faszinierende Welt der Tiefsee.

Ewige Dunkelheit, eisige Kälte
Für die Wissenschaftler beginnt die Tiefseezone ab einer Tiefe von 200 Metern, weil dort die Wind- und Wärmeverhältnisse der Oberfläche die Wassermassen nicht mehr beeinflussen. Eisige Kälte, ewige Finsternis und massiver Druck sind die unerbittlichen Torhüter dieses Reichs.

Trotz ihrer Unwirtlichkeit sind diese Klüfte bis in die letzten Winkel bewohnt. Im Ocean Biographic Information System, einer frei zugänglichen Datenbank im Internet, sind heute 82’000 Tiefsee-Spezies dokumentiert. Schätzungen zufolge könnte sich die Gesamtzahl der in marinen Lebensräumen beheimateten Arten auf bis zu 10 Millionen belaufen. Damit wäre die Tiefsee, die rund 70 Prozent der Lebensräume der Welt ausmacht, auch der artenreichste bekannte Lebensraum überhaupt.

Wer hier aber hausen will, muss gerüstet sein. Die Tiefseefische, die Beebe und Barton sowie ihren Nachfolgern in den Lichtkegel schwammen, waren keine Bachforellen. „Wie in einer schimmernden Rüstung“ sollen sie „erstrahlt“ sein, notierte Beebe begeistert in sein Forschungstagebuch. Manchen der Kreaturen, die dort unten lauern, möchte man allerdings nicht unvorbereitet begegnen. Ihre bizarren Formen scheinen die extremen Lebensbedingungen auf entsprechende Weise auszudrücken. Tiere, die wie der Hochseegucker oder der Beilfisch in der Dämmerzone leben, bestehen fast nur aus riesenhaften Augen, mit denen sie die letzten Lichtreste einfangen. Ein besonders unliebsamer Genosse ist der Tiefseeangler. Er imponiert mit seinem furchteinflössenden, von messerscharfen Zähnen gesäumten Maul, auf dem ein rutenartiger Fortsatz steckt. Dieser ist mit einem Leuchtorgan versehen, mit dem der Räuber der Finsternis die Beute direkt vor seinen Schlund lotst.

Leuchtorgane zur Partnersuche und Abwehr
Die Fähigkeit, körpereigenes Licht zu erzeugen, ist allerdings nicht dem Tiefseeangler vorbehalten. Dieses in der Fachsprache als Biolumineszenz bezeichnete Phänomen ist eine weit verbreitete Eigenschaft vieler Tiefseebewohner. Es wird durch das Enzym Luciferin oder in Symbiose mit Leuchtbakterien möglich. Neben dem Ködern von Beute spielt die Biolumineszenz auch bei der Partnersuche eine wichtige Rolle. Mit Leuchtwolken und glimmenden Signalen locken paarungsbereite Exemplare ihre Geschlechtspartner an. Forscher vermuten, dass die Leuchtkraft und Frequenz der Signale den entscheidenden Wettbewerbsvorteil ausmachen.

Manche Tiefseefische besitzen auch ein Nachtsichtgerät. Sie produzieren rotes Licht, für das die meisten Tiefseelebewesen blind sind, um damit die Gegend in aller Ruhe unbemerkt nach Beute auszuleuchten. So pirschen sie sich bis in nächste Nähe an ihr Opfer heran. Weniger für Angriffe ausgestattet, wissen einige Tintenfische und Garnelen ihr Leuchtorgan zur Verteidigung zu nutzen. Naht ein Feind, wird er durch plötzliches Aufglühen für einen Moment geblendet, während sich der Angegriffene sekundenschnell in die Finsternis rettet.

Seit Beebes und Bartons beherztem Tauchgang haben zahlreiche Forscher weitere Expeditionen ins Tiefseereich unternommen. Heute wird mit ferngesteuerten Robotern getaucht, die oft Jahre lang über die Meeresgründe ziehen und einzigartiges Videomaterial mit nach oben bringen. Die Tiefsee ist aber dennoch vergleichsweise wenig erforscht. Bill Bryson vergleicht in seinem Buch „Eine kurze Geschichte von fast allem“ den Stand der Tiefseeforschung eindrücklich: „Das wäre so, als würden wir unsere Erfahrungen mit der Erdoberfläche auf die Arbeit von fünf Leuten stützen, die nach Einbruch der Dunkelheit mit Traktoren auf Erkundungsfahrt gehen.“ Tatsächlich lässt sich die Reise ins All heute offenbar technisch leichter bewerkstelligen als ein Tauchgang in 1000 Metern Tiefe. Oder einfach besser vermarkten.

Literatur
B. Bryson (2005): Eine kurze Geschichte von fast allem. Goldmann-Verlag, München.

R. D. Ballard (1998): Tiefsee. Die grossen Expeditionen in die Welt der ewigen Finsternis. Ullstein, München.

Im Netz
Das Ocean Biographic Information System findet sich hier:  http://www.iobis.org

One thought on “Vom (Über-)Leben im Abgrund

  • 30.06.2017 um 17:09 Uhr
    Permalink

    Grad wegen der grossen Umweltverbrauchs des Menschen , ist es unheimlich wichtig unsere Welt besser zu kennen. Dazu gehören bestimmt die riesigen Massen des Meeres. So hat man schon Süsswasser- Ströme gefunden im Salzmeer und ich bin sicher man wird noch mehr im Meer finden. Eines Tages wird die Menschheit um jedes Verwertbare das entdeckt wurde im Meer, mehr als froh sein.( Vielleicht heisst es deshalb Meeeeer?)
    Die Frage stellt sich nur :
    Haben wir bis dahin genug durch Defizite gelernt, um diese Ressourcen dann anständiger zu nutzen?
    Gemeint wäre auch hier fair traide unserer“ Mutter Erde mit Wasser „gegenüber anzuwenden. Fair traide uns selbst gegenüber, nenne ich es…

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