„Der einzige Mann auf dem Kontinent“ von Terézia Mora
Ein unbelehrbarer Optimist
„Der einzige Mann auf dem Kontinent“ von Terézia Mora
Eine Woche im Leben eines Informatikers; das tönt nicht gerade nach einem interessanten Thema für einen Roman. Wenn es sich beim besagten Informatiker aber um Darius Kopp handelt und bei der Romanautorin um Terézia Mora, belehrt das Ergebnis alle Voreingenommenen eines Besseren.
Von Lisa Letnansky.
Darius Kopp ist mehr als zufrieden mit seinem „durchschnittlichen“ Leben. Seine Ehe mit der Kellnerin Flora läuft gut; auch wenn es, wie in jeder anderen Ehe, Hochs und Tiefs gibt, lieben sie einander aufrichtig und geniessen ihr Zusammensein. Auch in seinem Job ist Kopp glücklich. Nach einer Informatikerlehre landete er nach mehreren Zwischenstationen in einer Firma namens Eloxim, die kurz danach verkauft wurde. Alle Mitarbeiter wurden entlassen, ausser Kopp, der die neu zu schaffende Geschäftsstelle für das deutschsprachige Europa und Osteuropa leiten sollte. Dass seine Kollegen ihren Job verloren haben und er nun ein Team mit sich selbst bilden soll, bedrückt Kopp nur wenig; bald wird der unbelehrbare Optimist von einem berauschenden Machtgefühl erfasst: „Ab heute bin ich der einzige Mann auf dem ganzen Kontinent“.
Die verschwundene Firma
Doch schon bald muss Kopp erkennen, dass das Leben, gerade wenn man mit dessen Geradlinigkeit am glücklichsten ist, für jedermann einige Überraschungen bereit hält. Sein Privatleben wird gestört von seiner hysterischen Schwester und seiner aufbrausenden, dauernd an allem herumnörgelnden Mutter, die mit einer Gefässkrankheit im Spital liegt und am liebsten sterben würde. Noch viel mehr nimmt Kopp aber ein Zwischenfall in seinem Berufsleben in Anspruch. Ein Kunde, der eigentlich Grieche ist, von Kopp aber nur „der Armenier“ genannt wird, hat nach längeren Zahlungsschwierigkeiten einen Teil seiner Schulden bei Kopp im Büro abgegeben, als dieser noch mit einem Kater im Bett lag. Nun liegen 40’000 Euro in einem kleinen Pappkarton in seinem Büro und weder sein Vorgesetzter in London, noch jener in den USA sind telefonisch erreichbar – es scheint, als hätte sich der Rest der Firma in Luft aufgelöst und nur Kopp ist noch übrig.
Einblick ins Innerste
Um einen tiefen Einblick in das Leben eines auf den ersten Blick durchschnittlich wirkenden Menschen zu geben, vermischt Terézia Mora verschiedene Erzählebenen miteinander. Direkte Reden gehen ohne sichtbaren Übergang in Kopps Gedankenwelt über und zwischendurch meldet sich immer wieder ein unabhängiger Erzähler zu Wort. Die Ebene der Fiktion wird von Zeit zu Zeit unterbrochen, wenn sich dieser Erzähler und manchmal auch Darius selbst direkt an den Leser wendet: „Und auf dem Heimweg sah ich das erste und – bislang letzte – Mal in meinem Leben die Autobahn doppelt, aber das sag keinem.“ Diese Vermischung der Erzählstrategien wirkt aber keinesfalls ermüdend oder unverständlich, wie man es vielleicht vermuten könnte. Vielmehr ermöglicht sie eine vollständige Einsicht in die Welt eines einzelnen Individuums. Bereits nach wenigen Seiten meint man, Darius Kopp gut zu kennen, zu wissen, wie er worauf reagieren würde und was er von den Dingen hält. Dass Kopp ein sympathischer und liebenswürdiger Typ ist, hilft dabei nur noch mehr.
Jedem seine Lebensstrategie
Er ist zwar nicht so faszinierend und eigenartig wie Abel Nema aus Terézia Moras erstem, mehrfach preisgekrönten Roman „Alle Tage“, aber doch noch eigensinnig genug, um den Leser zu fesseln. Die Dinge, die passieren, sind dabei nicht halb so unterhaltsam wie Kopps Gedankengänge, Fluchtiraden und pseudophilosophischen Theorien. Mehrmals täglich flüchtet er sich von seinem Berufsleben ins Private und umgekehrt, nur um sich kurze Zeit später wieder das Andere zu wünschen; und dauernd muss er sich selbst davon überzeugen, alles im Griff zu haben, nur um wenig später eines Besseren belehrt zu werden. Aber auch Flora, Darius’ hypersensible Frau ist eine liebevoll gezeichnete Figur, die ihre ganz eigenen Strategien entwickelt hat, um mit dem Leben und der Welt klar zu kommen.
Was das Reality-TV vormacht, besätigt „Der einzige Mann auf dem Kontinent“. Der Einblick in das Leben eines Durchschnittstypen kann mindestens so faszinierend und überraschend sein wie jede andere erdachte Geschichte.
Luchterhand
379 Seiten, ca. CHF 39.90