Jan Decker „Beelitz Heilstätten: Tragischer Monolog und komisches Nachspiel“

Jetzt Lektüre, bald Theater

Jan Decker „Beelitz Heilstätten: Tragischer Monolog und komisches Nachspiel“ | VAT Verlag André Thiele, Mainz am Rhein

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Ein Zeitgeschichtsstück liefert der Autor Jan Decker mit “Beelitz Heilstätten – Tragischer Monolog und komisches Nachspiel“ ab. Mit bewundernswerter Konsequenz treibt er seine künstlerischen Mittel auf die Spitze.

Von Gregor Szyndler.

Das Thema: Untergang der DDR. Der erste Teil besteht aus einem Monolog des “ersten Mannes“, also Honeckers, der sich vor einem imaginierten Gericht verteidigt für sein Leben. Das komische Nachspiel spielt in der Unterwelt und ruft ein Geisterpantheon auf den Plan.

Ein szenischer Zerfall
Im Monolog zieht ein deutsches Leben an uns vorbei. Honeckers Leben einerseits, Deutschlands Geschichte zwischen 1920 und 1989 andererseits. Hitlers Gefängnisse; Exil; Rückkehr; Montags-Demos in Leipzig. Das einzige äussere Zeichen des inneren Verfalls des “ersten Manns“ ist die Tatsache, dass er seine Verteidigungsrede an die “Genossen Bäume“ richtet. Sein Monolog kommt geordnet daher, alter Mann hält Rückschau. Einzig, wenn man sich das “Publikum“ vorstellt, die “Genossen Bäume“, bricht die Bodenlosigkeit hervor. Wie er in den Wald spricht, spricht es nicht mehr heraus. Seinen Rechtfertigungen, Erinnerungen, Umerinnerungen und Geständnissen stellt sich kein Widerstand, keine Reibungsfläche, entgegen. Es ist ein szenischer Zerfall; die Mauer zwischen der Figur der Zeitgeschichte und den Zuschauern fällt.

Kein Öl, kein Land
Der zweite Teil beginnt mit dem Einzug des Chors: Tatsachen gäbe es lediglich, sagen sie, Lehren oder aufbauende Handlungen keine. Ciao, ciao Brecht, unsere war eine schöne Zeit. Die Welt erschöpfe sich in Tatsachen, meint der Chor; davon liesse sich handeln. Tatsachentheaterhandlung. Verfremdende Recherche. “Ohne Öl ist heute kein Land mehr zu machen“, hört man. Hier wird Tacheles geredet. In Alexandrinern: “Der Widerspruch geht so. Wenn Öl die Welt regiert,/ Und das bezweifelt ja keiner, wurden Sie zur Macht verführt./ Ein grosses Ölleck sollte ihr Mauerbau aufhalten./ Sie wollten, mit Verlaub, den Mangel selbst verwalten.“

Unterminierte Form
So wird der ohnehin gewaltige Stoff auch noch auf die ganz hohe stilistische Ebene gehoben. Decker unterminiert diese Form souverän, datiert sie auf, stellt aus, karikiert und sublimiert sie. Schon holpert es im Silbengetriebe, wird hölzern, durchbricht urwüchsig das Korsett der Sprache. Wird Prosa. Kurz: die Formen mischen sich, das Augenzwinkern des Könners fehlt nicht, der seine Arbeit kritisch betrachtet und ironisch relativiert.

Ein Stück auf dem Weg
Decker weigert sich, vorschnelle Antworten, Dokumentationen oder Bilder zu geben und lotet stattdessen zwischen Verrat, Niedergang und Höllenfahrt alle Möglichkeiten aus. Dass er bei seiner Autorenarbeit die Aspekte der Bühnenarbeit vernachlässigt, zeugt von Konsequenz. Mit fast unheimlicher Resolutheit wird Handlung aufgegeben und das Spiel auf die innerliche Ebene verlegt. Man versteht die Theatermacher, die abwinken und sich bei aller Achtung fürs Stück fragen: Wie auf die Bühne bringen? Und was ist mit den Intrigen der letzten Tage der DDR, wo bleiben die Putschs im Politbüro, was ist mit Gorbatschows Agieren und Lavieren? Das sind kleinliche Kritiken, gewiss, aber man fragt sich halt, wie man das Stück dorthin bringen könnte, wo es hingehört.

Ab auf die Bühne!
Fazit: mutiges Theater. Als Lesestück eine Delikatesse. Chapeau für die Chuzpe und Konsequenz des Autors, das Ganze so unbeirrt seiner künstlerischen Vision entgegengeschrieben zu haben. Er verfolgt seine Idee jedoch so konsequent, dass das Stück sich wohl leider noch ein Weilchen mit den Kopfbühnen der Leser bescheiden muss. Aber Theater ist ja auch das, was die Leser daraus machen (und nicht ’nur‘ Regie und Zuschauer). Hier wird man als Leser zum Theatermacher und stellt sich gerade den zweiten Teil mit Vergnügen auf der Bühne vor. Jetzt noch Lektüre, hoffentlich bald schon Theaterereignis.

Im Netz
http://vat-mainz.de/index.php (Seite des Verlags)


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Zum Autor 
Jan Decker (*1977 in Kassel) studierte Germanistik und Philosophie, absolvierte eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler und studierte anschließend am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er schreibt Kurzprosa, Hörspiele und Theaterstücke. Seine Stücke werden vom Drei Masken Verlag, München, vertreten. Jan Deckers Hörspielarbeiten er.ich und Letzte Bilder wurden 2006 und 2007 beim Leipziger Hörspielwettbewerb ausgezeichnet.

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