„Das Grab ist erst der Anfang“ von Kathy Reichs
Erkenntnisse im Grab
„Das Grab ist erst der Anfang“ von Kathy Reichs
Als die erfolgreiche Anthropologin Temperance Brennan erwacht, ist es kalt, nass und dunkel. Ihre Hände und Füsse sind gefesselt. Sie ist lebendig begraben. Wie lange sie schon in dem unterirdischen Verlies liegt, weiss sie nicht. Ihre Gedanken rasen: Wer hat sie dorthin gebracht und warum? Während sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen, kommt die Erinnerung zurück. In Bruchstücken. Verwirrend. Und doch hilft ihr diese missliche Lage den aktuellen Fall zu lösen und den Mörder – der beinahe auch sie auf dem Gewissen gehabt hätte – zu identifizieren.
Von Fee Anabelle Riebeling.
Drei Frauen werden tot aufgefunden und schnell zeigt sich, dass sie alle ermordet wurden. Die Tat eines Serienmörders scheint es nicht zu sein, denn die Tatorte liegen weit auseinander, die Todesursachen unterscheiden sich deutlich und die Frauen haben ausser ihrem hohen Alter nichts gemeinsam. Doch Temperance Brennan sieht genau darin eine Verbindung und sucht nach Beweisen, die ihre These stützen und durch die sie den Fall lösen könnte. Anders als in ihren früheren Ermittlungen scheint sie dabei aber unkonzentriert und unaufmerksam. So übersieht sie wichtige Details und muss sich sogar vorwerfen lassen, eine Autopsie absichtlich manipuliert zu haben. Das bleibt nicht unbemerkt von ihren Kollegen. Und so muss die sonst so erfolgreiche Anthropologin mit ansehen, wie ihr zusehends die Fäden aus der Hand genommen werden und eine neue, weitaus unerfahrenere, aber ehrgeizige Mitarbeiterin die Ermittlungen vorantreibt.
Die Luft ist raus
Erst später bemerkt die ins Abseits gedrängte Brennan, dass ihre Arbeit von jemandem aus den eigenen Reihen sabotiert wird. Dafür gelingt ihr die Identifizierung des Übeltäters umso schneller. Lediglich an handfesten Beweisen mangelt es ihr. Und so ermittelt die Anthropologin nicht nur in dem Fall, mit dem sie ursprünglich betraut wurde, sondern auch in ihrem ganz eigenen. Tatkräftige Unterstützung aus den eigenen Reihen bekommt sie dabei zunächst nicht. Könnten sich aber Fiktion und Realität miteinander vermischen und Publikum und Protagonistin gemeinsame Sache machen, so würde jeder Hörer von «Das Grab ist erst der Anfang» der zusehends hilfloser werdenden Brennan unter die Arme greifen. Denn leider ist der Denunziant zu offensichtlich – und damit der Ausgang des Krimis vorhersehbar.
Das merkte Kathy Reichs vielleicht schon beim Konstruieren des Romans und hat sich deswegen – um die dringend notwendige Spannung zu generieren – für zwei Erzählstränge entschieden. So erlebt der Hörer, wie es Temperance Brennan in ihrem Grab ergeht, verfolgt auf der anderen Ebene die Ermittlungen in dem Fall, der sie in diese unschöne Situation gebracht hat. Es mag der gekürzten Fassung des Hörbuchs geschuldet sein, dass die Sprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit eher verwirren, denn zur Dramatik beitragen. Die Bemühungen, ihren Aufenthaltsort zu lokalisieren und dem unterirdischen Gefängnis zu entkommen, wirken fad. Beinahe lieblos zwischen die Passagen über den eigentlich Fall – den Mörder der drei Damen zu finden – gepresst, bremsen sie das Tempo, die Spannung, die Freude beim Publikum. Das kann auch die kleine Wendung am Schluss nicht mehr retten.
Aufs falsche Pferd gesetzt
Mit Simone Thomalla hat sich der Verlag für einen bekannten Namen und somit für eine verkaufsfördernde Stimme entschieden. Doch die «Tatort Leipzig»-Kommissarin ist nur aus marketingtechnischer Sicht eine gute Wahl. Hört man genauer hin, zeigt sich, dass die deutsche Schauspielerin ihre ganz eigenen Probleme mit Brennans neustem Fall hat: Teilweise stolpert sie über französische Begriffe und auch die Aussprache englischer Wörter ist – bei genauem Hören – nicht immer fehlerfrei. Selbst mit anthropologischen Fachbegriffen, die sie aus ihrem Fernsehalltag kennen sollte, steht sie auf Kriegsfuss. Sie klingen abgelesen und offenbaren das Bemühen der Vorleserin. Zu artikuliert, zu wenig lebhaft ist ihr Vortrag. Das Konzentrationsvermögen des Zuhörers wird strapaziert.
Doch der Vorwurf ist nicht ihr zu machen. Die Übersetzung aus dem Englischen mag zwischen zwei Buchdeckeln zwar ihre Existenzberechtigung haben, für das gesprochene Wort ist sie jedoch ungeeignet. Schwächen, die man niedergeschrieben – und den Text vor Augen – wohl noch verzeihen mag, brechen diesem Hörbuch das Genick. Viele Sätze sind zu lang, die Fachbegriffe und ihre Erklärungen werden beinahe schon runtergerattert: Genannt, erklärt und weiter. Doch Kathy Reichs-Fans sind keine Anthropologen. Sie brauchen Zeit, die ihnen unbekannten Ausdrücke zu verstehen – um das anschliessende Geschehen verfolgen zu können. In Kombination mit Thomallas nüchternem Vortrag vermutet der kritische Hörer, dass auch die Sprecherin selbst froh ist, die inhaltlich komplexen Passagen hinter sich gebracht zu haben.
In dem mittlerweile zwölften Temperance Brennan-Roman präsentiert sich Kathy Reichs als schriftstellernde Sadistin. Nicht nur lässt sie die Opfer äusserst qualvoll zu Tode kommen, sie quält auch ihre Protagonistin und – leider – auch ihr Publikum. Zumindest in dieser Hinsicht ist die Auswahl von Übersetzer und Sprecherin adäquat.
Random House Audio
6 CDs, 417 Minuten, ca. CHF 44.90