Überlegungen zum Zustand des Game-Journalismus

Genügend gute Gründe

Überlegungen zum Zustand des Game-Journalismus

3256866869_bbfbd67a4aHirn (links) im Kampf gegen Öffentlichkeit (rechts). Ausgang offen.

Der Fehdehandschuh ist geworfen, jetzt folgt die Begründung. Oder: Warum jemand, der jetzt noch über Games bloggen will, es eigentlich besser wissen sollte. Und warum er es dennoch nicht tut.

Von Christof Zurschmitten.

Die Motionen Allemann und Hochreutener schlummern in Lauerstellung unter einem Stapel ähnlicher Papiere auf einem Edelholzschreibtisch in irgendeinem Bundesratsbüro. Der vollmundige Schlachtruf, der von letztem Artikel noch herüberweht – Zu den Waffen! Hin zu einer erwachsenen Diskussion! – wird kaum genügend Wind aufwirbeln, um sie dort durcheinander bringen zu können. Es herrscht also die Ruhe nach dem Sturm, und wir können auf Worte weitere Worte folgen lassen. Denn – einiges behielt der letzte Beitrag ja durchaus für sich: Unter anderem die Frage, was genau denn kaputt sein soll in der Diskussion um das Videospiel, und die Antwort, die nahaufnahmen.ch darauf geben will.

Zur Antwort in einem späteren Artikel mehr. Für den Moment nur dies – wir sind ein Online-Magazin. Als solches glauben wir zwar nicht, dass der Federkiel mächtiger ist als das Schwert (und im Ernstfall mag die Querlatte eines Demonstrationsbanners einen Hieb auch besser auffangen als das brüchige Plastik eines Laptops), aber dennoch sind unsere Prioritäten klar: Wir stehen zum geschriebenen Wort (die folgenden Ausführungen konzentrieren sich darauf, selbst wenn sie auch für andere Medien Geltung haben). Wir schreiben also. Künftig auch über Games. Ist das denn tatsächlich nötig? Dies die Frage, die im Folgenden in aller Breite diskutiert wird. In aller Breite heisst natürlich auch: mit dickem Pinsel, der eine grobe Skizze malt, voller grober Generalisierungen. Ausnahmen, die die Behauptungen widerlegen, existieren natürlich und dürfen selbstverständlich auch gerne in den Kommentaren erwähnt werden.

Unendliches Halbwissen
Und nein, wir machen uns keine Illusionen: Die Zahl der produzierten, veröffentlichten und gelegentlich sogar gelesenen Texte über Computerspiele strebt bereits stetig gegen unendlich. (Ein Zyniker könnte behaupten, dass längst schon die schlechtere Hälfte von Unendlich erreicht sei. Ein mathematisch unbedarfter zumindest.) Sie finden sich, sehr ungleich verteilt, in Online-Publikationen (massig) und im Printjournalismus (sieht mageren Zeiten entgegen), in spezialisierten (zuhauf) ebenso wie (seltener) allgemeinen Publikationen. Es wird nicht zu wenig geschrieben. Aber zu wenig divers.
Und, offen gesagt, zu wenig gut. Wie bereits beanstandet, gelten die üblichen Qualitätsmassstäbe nicht mehr, wenn Games im Zentrum der Berichterstattung stehen, selbst bei Publikationen, die sich gerade über diese Massstäbe definieren. Ein Phänomen, das in den so genannten „Qualitätsblättern“ von links bis rechts anzutreffen ist. Man hört beim Lesen der entsprechenden Artikel die Zwickmühle förmlich knirschen, in der sich die Redaktionen befinden: Games sind zu bedeutsam geworden, als dass sie sich weiter totschweigen liessen. Aber es fehlt, in den tendenziell überalteten Redaktionen ebenso wie in den Lektoraten, schlicht an Fachkompetenz. Diese per Personalaufstockung oder -mutation einzuholen, erlaubt schon die miserable ökonomische Situation nicht – also bleiben wir vorerst geschlagen mit Halbwissen.
river1Das Gros der spezialisierten Medien pflegt dagegen Qualitätsmassstäbe, die Aussenstehenden exzentrisch erscheinen mögen: In sprachlicher Hinsicht steht Produktivität und Normgläubigkeit über Originalität und rhetorischer Geschliffenheit; in ideologischer ist kritisches Denken zwar nicht Mangelware, aber meist nur gefragt, wo es um technische Belange geht. Hier ist die Kompetenz dagegen gross, besteht das Tagesgeschäft doch in der mechanistischen Zerlegung einzelner, isoliert betrachteter Aspekte der Games. Aktualität ist das höchste Gebot und steht somit zwangsläufig über Vollständigkeit oder gar Traditionsbewusstsein. Die Rolle des Kritikers ist meist selbstverständlich die eines Insiders, der Konsumtipps gibt. Dazu passend gilt das Spiel als Konsumgut, dessen Wert sich am vagen Indikator „Spielspass“ und harten mathematischen Grössen wie der „Spieldauer je Dollar“ misst. Und die Abhängigkeit von der eigentlich kritisch zu beobachtenden Industrie wird zwar ungern, aber dennoch zwangsläufig in Kauf genommen.
Mit anderen Worten: Der Game-Journalismus wurde bereits mit jenen Zügen geboren, die für die Kritik anderer Medien (Literatur, Film etc.) als Degenerierungserscheinungen gelten. Mit dem Unterschied freilich, dass es dem Game-Journalismus an Möglichkeiten fehlte, diesen zu entwachsen, und eine Kritik auszubilden, die, nur so als Beispiel, etwa als einflussreiche Verteidigerin vor unreflektierten und absurden Vorwürfen dienen könnte.

Hirn, schreibend im Vakuum
Nicht, dass es andere Formen des Schreibens über Games nicht gäbe. Sie haben aber naturgemäss ihre eigenen Probleme. Eine der wichtigsten Formen ist selbst einem Problem entsprungen
, das vor fünf Jahren entdeckt und benannt wurde – von niemandem eloquenter als von Kieron Gillen, einer der klangvollsten Stimmen im Game-Journalismus. Gillen hat seine Problemdiagnose anno 2005 in ein Manifest gebannt, in dem er (in Anlehnung an Tom Wolfe) zum „New Games Journalism“ aufrief, dessen erklärtes Ziel es ist, verknöcherte Strukturen aufzubrechen, den Pseudo-Objektivismus zugunsten der eigenen Spielerfahrung abzulösen und damit ein Publikum jenseits des angestammten Klientels anzusprechen. Menschen, die keine Ahnung davon haben, was mit MMORPG, FPS oder RTS gemeint ist; Leser, denen es egal ist, wenn Spielkonsolen in Filmen immer noch fiepende Geräusche von sich geben, die verleugnen, dass Pacman je verliebt war und Kinder hatte.
jr__pac-manGillens Manifest trug Früchte – nicht zufällig primär im Internet, das auch in anderen Branchen die Printmedien als Ort der Kritik ablöst. In den letzten Jahren hat sich, aus und neben Gillens Erklärung, eine lose Gemeinschaft von Bloggern gebildet, die in ihren Anfängen halb-ironisch „Brainysphere“ genannt wurde (inspiriert vom Blog „The Brainy Gamer“ des Drama-Professors Michael Abott – einer der Knotenpunkte dieser Form des Dialogs über Games). Dieses Konglomerat von Hirnen mit diversen Interessen und Hintergründen folgte Gillens Weisung, neue Formen des Denkens und Schreibens über Games zu praktizieren, jenseits der Gattungen, die den Game-Journalismus dominieren und denen alle oben genannten Probleme integral eingeschrieben sind. Natürlich waren nicht alle Schritte in die neue Richtung auch Fortschritte; selbst aus den eigenen Reihen
wurden kürzlich Vorwürfe laut: Die guten Vorsätze seien verkommen zu einem esoterischen Abschottungsintellektualismus, die Idee, subjektiv zu erzählen, habe sich gewandelt zur Nabelschau, die über dem Blick auf die eigene Spielerfahrung alles übersehe, was sonst in der Welt noch passiere.
Dem zum Trotz lässt sich festhalten, dass sich die Blogosphäre als Schauplatz des avanciertesten und spannendsten Dialogs über das Videospiel installiert hat, einem Ort, an dem eine Vielzahl talentierter Leute diverseste Spiele aus zahlreichen unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Das Problem ist nur: All dies geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Paradise missed
Neue Wege wurden beschritten, aber die Marschrichtung war nicht die angestrebte. Gillen entwarf nicht nur Instrumente: die Idee ein Schreibens über Games, das dem Reisejournalismus ähneln sollte, ein Schreiben, das die Erlebnisse in der virtuellen Welt so anschaulich schildert, wie es den besten Reisereportagen gelingt – subjektiv, aber immer mit dem Blick auf weitere Horizonte gerichtet. Die Vision des „New Game Journalism“ war stärker noch eine Zielformulierung. Der Entwurf eines Schreibens, das, getragen von der persönlichen Begeisterung für die möglichen und tatsächlichen Erfahrungen in der virtuellen Welt, hinausreicht gerade auch zu jenen, die diese Erfahrungen nie gemacht haben. Um zu berichten, zu faszinieren, ein wenig vielleicht auch um zu missionieren.
Gerade dies gelang aber aus verschiedenen Gründen nur bedingt. Vorwürfe der Abschottung, der Kleingeistigkeit und des Narzissmus erklären vermutlich weniger als die Strukturveränderungen der Medienlandschaft in den letzten Jahren – allen voran die generelle Schwierigkeit, Aufmerksamkeit überhaupt noch bündeln und binden zu können. Man kann dennoch nicht umhin, sich eine Welt vorzustellen, in der Gillens Vision Realität geworden wäre. Eine Welt, in der sich die jüngst an verschiedener Stelle manifestierte eisige Ignoranz gegenüber dem Videospiel kaum vorstellen lässt.
world_map_redux_by_AnimeFTW00Müsste man dagegen eine Weltkarte des schriftgewordenen Dialogs über das Computerspiel anno 2010 skizzieren, sähe diese so aus: Irgendwo fände sich ein dunkler Fleck von bedrohlichem Ausmasse, die Lande der Hasser. Nah genug für eine feindliche Übernahme befindet sich das Land der kommerziellen Game-Presse, das sich vor allem darum bemüht, stets auf der Höhe der technischen und industriellen Entwicklung zu sein. Breit gestreut finden sich Zwergstaaten, die Heimat der Akademiker, aufgrund mangelnder eigener Rohstoffe von den grossen Nationen abhängig und deswegen berühmt-berüchtigt für ihre Opportunität und Neutralität. Die Vertreter der allgemeinen Presse wären eine Art fahrendes Volk, das sich gelegentlich über die Lage der internationalen Diplomatie informiert, aber sich selten einmischt. Und, irgendwo am Rand, findet sich eine winzige Nation mit einer beachtlichen Hochkultur, jedoch zu weit entfernt von der restlichen Welt, um gross Einfluss auf sie nehmen zu können: voilà, la Brainysphère.

Parlez-vous lingua franca?
Und, nicht zu vergessen: Amtssprache ist in fast allen Ländern Englisch. Das hat seine Gründe ebenso wie seine Tücken.  Tatsache ist: Während die spezialisierten Publikationen sich mit einiger Beharrlichkeit mehr schlecht als recht in vielen Sprachregionen installiert haben und die allgemeine Presse einen alt-angestammten Sitz in denselben hat, spricht der Rest der Welt über Games nur in Englisch. Es ist verständlich, dass selbst Autoren, die mehrere Sprachen beherrschen, sich der Gemeinsprache bedienen: Die meisten Blogger haben lange genug die Schulbank gedrückt, um ein wenigstens passables Englisch aufzuweisen. Dialog und Vernetzung gehören zu den Kronvorteilen der Online-Publikation. Und schliesslich erscheint es unklug, das ohnehin bereits schmale Zielpublikum noch zu verkleinern, indem man sich einer anderen als der im Web meistgesprochenen Sprache bedient. Dennoch ist der Unterschied zwischen einem „passabel“ und einem gut geschriebenen Text gewaltig und ein solcher Ansatz exklusiv und elitär; das Gegenteil also von dem, was der „New Game Journalism“ zu Recht forderte. Anders gesagt: vielleicht ist es Zeit für lutherische Massnahmen.

Damit ist ein Punkt gesetzt, ein vorläufiger Schlusspunkt, eine vorläufige Antwort: Ja, es gibt bereits zur Genüge Texte über Games. Aber dennoch nicht genug. Nicht genügend Kritik, die auf Fakten basiert, aber über diese hinausweist. Nicht genügend Kritik, die Games in grösseren Zusammenhängen und ein Game als einzigen grossen Zusammenhang sieht und verständlich macht. Nicht genügend Kritik, die sich Zeit nimmt und Zeit verlangt. Nicht genügend davon auf Deutsch. Es ist egal, dass diese Vorstellungen mancherorts als antiquiert gelten, egal, dass sie sich nicht immer werden umsetzen lassen, egal, dass auch auf ihnen fussende Texte nur schwer ein grösseres Publikum finden werden. Worum es geht, sind Schritte in die richtige Richtung.
Für diese schreiben wir. Künftig auch über Games.

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