„Ein herrlicher Flecken Erde“ von Radka Denemarkova
Die Neigung zum Bösen
„Ein herrlicher Flecken Erde“ von Radka Denemarkova
Mehrmals wird Gita von dem Ort, den sie Zuhause nennt, vertrieben. Jedes Mal kommt sie nur knapp mit dem Leben davon: Von den Nazis als Jüdin gequält, von den Tschechen als Kollaborateurin vertrieben, zuletzt von den Dorfbewohnern als habgierige Alte abgestempelt. Jahrzehnte später fordert sie den Familienbesitz zurück.
Von Stephan Sigg.
Der Titel klingt nach unbeschwerter Lektüre, doch schon nach den ersten paar Seiten wird dem Leser klar, dass er schärfster Zynismus ist: Der Roman erzählt die Geschichte von einer Frau, deren Schicksal es ist, jeweils auf der falschen Seite der Gesellschaft zu stehen. Zunächst wird die Tochter deutschsprachiger Eltern als Jüdin von den Nazis ins Konzentratrationslager gesteckt. Als sie nach Ende des Krieges nach Hause zurückkehrt, ist der Familienbesitz konfisziert und unter der Bevölkerung aufgeteilt. Gita wird als Kollaborateurin der Nazis von der Dorfbevölkerung vertrieben. Viele Jahre ziehen ins Land, bis Gita die dritte Rückkehr nach Puklice wagt. Nun will sie, die mittlerweile pensionierte Ärztin aus Prag, den Familienbesitz zurückfordern und ihre Familie rehabilitieren.
Abwehr des Eindringlings
Doch auch die letzte Rückkehr ins Dorf ihrer Kindheit wird zur psychischen und physischen Tortur. So viel Feindseeligkeit schlägt ihr entgegen – genau wie damals, als wäre die Zeit stehen geblieben: Das Dorf hält zusammen, bildet einen festen Wall gegen den Eindringling und schreckt vor nichts zurück, um diesen so schnell wie möglich in die Flucht zu schlagen. Aber dieses Mal hat Gita die Justiz, einen Anwalt und ihre Enkeltochter an ihrer Seite und will sich erst zufrieden geben, wenn die Täter von damals ihren Tribut gezahlt haben.
Auch ohne äussere Gegebenheiten
In „Ein herrlicher Flecken Erden“ geht es nicht um Rache, nicht einmal der Wunsch nach Genugtuung steht im Raum. Diese wäre auch kaum möglich, bei all dem Leid, das Gita zugefügt worden ist. Im Vordergrund steht die Entlarvung des Bösen im Menschen: Die Nazis waren brutal, die Kommunisten waren brutal, aber auch in der Gegenwart ist Brutalität anzutreffen. Gitas Schicksal zeigt: Menschen sind zum Brutalen fähig, auch ohne dass politische oder andere äussere Gegebenheiten sie dazu antreiben.
Die Autorin mutet dem Leser mit ihrem Roman einiges zu: Sie schildert das Ausgeliefertsein und die Einsamkeit so plastisch, dass man es schon beinahe körperlich nachempfindet. Der Roman entfaltet von Anfang an einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann und über den man auch lange nach der Lektüre noch nachdenkt.
DVA
304 Seiten, ca. CHF 38.90