„Away we go“ von Sam Mendes

Skurrile Reise ins Glück

„Away we go“ von Sam Mendes

THE LIMITS OF CONTROL

Es mag einen wundern, dass ausgerechnet ein britischer Regisseur die Lizenz zur gnadenlosen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft erhalten hat. In „American Beauty“, „Jarhead“ und „Revolutionary Road“ dekonstruierte Sam Mendes das amerikanische Selbstverständnis förmlich, und wurde dafür mit Preisen überhäuft. „Away we go“ mag leisere und versöhnlichere Töne anschlagen – bleibt aber dennoch unglaublich bissig.

Von Lukas Hunziker.

Burt und Verona sind dreissig, unverheiratet und leben in einer Bruchbude im Wald. Als Verona schwanger wird, müssen sie sich der Frage stellen, was sie mit ihrem Leben anfangen und wo sie sich niederlassen wollen. Als Burts Eltern den beiden aus heiterem Himmel mitteilen, dass sie für eine Weile nach Europa ziehen werden, entschliessen Burt und Verona, die nun nichts mehr in ihrem Nest hält, ihre Freunde und Verwandte in verschiedenen Staaten zu besuchen, in der Hoffnung, ein neues Zuhause zu finden. Doch jede Station auf ihrer Reise zeigt ihnen, dass Eltern sein eine der schwierigsten Herausforderungen im Leben zu sein scheint, und dass keiner ihrer Bekannten ein wirkliches Vorbild für eine glückliche Familie abgibt.

Schrecklich nette Familien

Burt und Verona sind ein denkbar untypisches amerikanisches Paar, selbst für einen Independentfilm. Burt ist ein hagerer, bärtiger Brillenträger mit mehr Humor als Vernunft, und die hochschwangere Verona entspricht ebenfalls nicht gerade dem hollywoodschen Schönheitsideal. Obwohl die beiden ein Kind haben, sind sie unverheiratet, und das nicht etwa, weil ihnen das Geld für eine Mädchentraum-Hochzeit fehlt, sondern weil Verona von Heiraten ganz einfach nichts hält. Ehen führen bei Sam Mendes generell nur ins Verderben, und so verwundert es nicht, dass sein Vorzeigepärchen ohne Ringe glücklich wird. Ehepaare in „Away we go“ sind unheimliche Gestalten; das Treffen mit Veronas hysterischer Freundin lässt Abgründe und Verzweiflung hinter deren Ehe erahnen, das Treffen mit Burts Jugendfreundin Ellen (Maggie Gyllenhaal), die als New Age Mom bis ins Schulalter stillt und vor ihren Kindern Sex hat, parodiert herrlich die Absurditäten des Erziehungsratgebertums.

THE LIMITS OF CONTROL
© Ascot Elite

Burt und Verona sind fast die einzigen Figuren im Film, deren Lächeln nicht aufgesetzt, sondern ehrlich und authentisch ist. Wenige Filmcharaktere wachsen einem so ans Herz wie diese beiden sympathischen Verlierer, von deren Sorte es auf der Welt viel zu wenige zu geben scheint. Was Frank und April in „Revolutionary Road“ nicht gelang, nämlich das Ausbrechen aus gewohnten Strukturen, gelingt Burt und Verona, und das obwohl sie am Schluss ihrer Reise doch irgendwie an den Anfang zurückkehren.

„Away we go“ ist ein Auf und Ab von rührenden, traurigen, romantischen, urkomischen und bitterbösen Episoden einer skurrilen Reise durch ein Amerika, wie es selten auf der Leinwand zu sehen ist. Untermalt von einem der schönsten Soundtracks des letzten Jahres, den sanften, folkigen Tönen von Alexi Murdoch, und getragen von den zwei tief sympathischen Darstellern Maya Rudolph und John Krasinski, reiht es sich nahtlos in die Rolle von Mendes‘ eindrücklicher Reihe von Meisterwerken ein. Einer der skurilsten, schönsten und befreiendsten Filmen des letzten Kinojahres.

Ausstattung DVD

Die DVD enthält ein durchaus sehenswertes „Making of“, welches praktisch alle Darsteller und die wichtigsten Crewmitglieder zu Wort kommen lässt und einen interessanten Einblick in die Entstehung des Films gewährt. Das kurze deutsche Featurette hingegen zeigt wenig, ausser wie armselig die Synchronfassung ist (unbedingt auf Englisch schauen!). Sehr spannend und sympathisch hingegen ist das zweite Featurette zu „Green Filmmaking“. „Away we go“ war ein Pionierprojekt in Sachen umweltfreundliches Filmemachen; was das genau heisst, zeigt dieses Featurette.


Seit dem 1. April 2010 im Handel.

Originaltitel: Away we go (USA 2009)            
Regie: Sam Mendes
Darsteller: John Krasinski, Maya Rudolph, Maggie Gyllenhaal, Melanie Lynskey, Allison Janney, Jeff Daniels, Catherine O’Hara, Chris Messina, Josh Hamilton
Genre: Komödie
Dauer: 98 Minuten
Bildformat: 16:9
Sprache: Englisch, Deutsch
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Audiokommentar von Sam Mendes, Dave Eggers und Vendela Vida, Making of, Featurette „Green Filmmaking“, B-Roll, Deutsches Featurette, Trailer
Vertrieb: Ascot Elite

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Trailer und offizielle Seite

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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