„Coco Chanel & Igor Stravinsky“ von Jan Kounen

Tasten, Jersey und Parfüm

„Coco Chanel & Igor Stravinsky“ von Jan Kounen

Coco Stravinsky 1

Die Liebesgeschichte zwischen einer Frau, die ein Modeimperium erschafft, und einem Pianisten, der ein Orchesterwerk von revolutionärem Charakter komponiert. Regisseur Jan Kounen inszeniert auf gekonnte, wenn auch etwas langatmige Weise ein Stück Kunstgeschichte, ohne dabei – was angesichts der Modethematik eine naheliegende Gefahr darstellt – in die Gefilde des Kostümepos zu verfallen.

Von Simon Wottreng.

Paris, 1913: Im Théatre des Champs-Élysées versammelt sich die Pariser Oberschicht, um der Premiere von „Le sacre du printemps“ des russischen Komponisten Igor Stravinsky beizuwohnen. Unter ihnen befindet sich auch die Modeschöpferin Coco Chanel, mit welcher der Musiker einige Jahre später eine Liaison haben sollte. Schon die ersten ungewohnten Harmonien wecken im Publikum Skepsis, doch als die Tänzerinnen des Russischen Ballets zum wütenden Rhythmus der Streicher und Pauken in ekstatische Verrenkungen ausbrechen, macht sich in den Zuschauerrängen schnell Empörung breit: So etwas hatte man bis anhin weder gehört noch gesehen. Auf Pfiffe und Buh-Rufe folgen Handgreiflichkeiten, die Polizei kreuzt auf, und der Saal muss geräumt werden. Die Uraufführung Stravinskys wichtigsten Werks endet in einem Eklat.

Mit diesen Bildern führt uns Regisseur Kounen in die Geschichte Chanels und Stravinskys ein; es war eine weise Entscheidung, jenes denkwürdige Konzert nicht in einer verkürzten Montage abzuhandeln, sondern als viertelstündige Anfangssequenz in seiner vollen Länge zu zeigen. Dieses vermittelt nämlich auch dem musikhistorisch ungebildeten Zuschauer die Intensität jenes modernen Werks, mit welchem Stravinsky die Welt brüskierte.

Emanzipation

In Folge der russischen Revolution kehrt Stravinsky mit seiner Familie 1920 als Flüchtling nach Paris zurück. Während er daran ist, sein Werk zu überarbeiten, kann Chanel bereits auf eine glanzvolle Karriere zurückblicken: Dem Erfolg mit Hüten sind schlicht gehaltene Kleider gefolgt, und sogar ein eigenes Parfüm ist in Planung. Coco greift in ihren Entwürfen auf Elemente der Männermode zurück, wie etwa Seemannspullover, Shirts, Hosen oder Pyjamas. Denn aus ihrer Sicht muss Mode zwei Kriterien erfüllen: Sie muss schlicht aussehen und bequem zu tragen sein. Damit leistete Coco einerseits einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung der Frau von den Kleidungskonventionen des 19. Jahrhunderts. Andererseits entwarf sie mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg das gesellschaftlich neuartige Bild einer unabhängigen Frau, die sich von der Männerwelt nichts sagen lässt.

Moralisches Dilemma

Die eigentliche Geschichte von „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ ist schnell erzählt: Als Coco Igor und seine Familie, welche bisher in einer Pension gehaust hat, auf unbestimmte Zeit in ihre Villa einlädt, entwickelt sich eine sexuelle Beziehung zwischen den beiden Künstlern. Catherine, Igors Gattin, entgeht die Affäre ihres Mannes nicht, doch ist sie – an Tuberkulose erkrankt – nicht in der Verfassung, ihrer Rivalin entgegenzutreten. In einer der stärksten Szenen des Films bleibt ihr lediglich, an die persönliche Moral der Gastgeberin zu appellieren.

 Studio / Produzent
Studio / Produzent

Die Inszenierung dieser problematischen Dreiecksbeziehung lebt von der schauspielerischen Leistung der Hauptdarsteller. Anna Mouglalis ist die Rolle der selbstbewussten, eleganten und kühlen Coco auf den Leib geschrieben. Cocos Souveränität scheint nicht einmal dann antastbar, wenn sie all ihre Hüllen fallen lässt. Mads Mikkelsen spielte schon in grösseren Produktionen wie „Torremolinos 73“, „Adam’s Apples“ oder „James Bond Casino Royal“. Wenn er als schweigsamer und ehrgeiziger Igor Stravinsky nur deswegen nicht an seiner ungeheuren Komposition scheitert, weil ihm seine Frau Catherine Sicherheit gibt und Coco Leidenschaft in ihm entfacht, so vermag er uns sein moralisches Dilemma mit grosser Intensität vor Augen führen.

Dissonanzen

Es ist eine undankbare Aufgabe, für einen Film über einen Musiker die Filmmusik zu schreiben. Gabriel Yared nahm diese Herausforderung an und komponierte einen subtilen Soundtrack, der Stravinskys dissonanten Harmonien aufgreift und manchmal erstaunlich nahtlos in die Originalmusik übergeht. Einen Oscar, wie Yared ihn mit „The English Patient“ gewann, wird dieser für die Musik von „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ trotz ihrer Klasse aber nicht erhalten.

Jenes thematischen Aspekts der Musik entbehrt der von Anne Fontaine im selben Jahr gedrehte Coco avant Chanel, welcher eine frühere Phase aus Cocos Leben behandelt. Nicht die Beziehung zu Igor, sondern Cocos Jugend und die ersten modeschöpferischen Schritte stehen im Zentrum. Fontaines Film ist von einer entsprechenden Leichtigkeit, welcher sich Kounens Fassung verwehrt; ein hierarchisierender Vergleich der beiden Werken ist aber aufgrund deren unterschiedlichen Blickwinkels nicht angebracht.

„Coco Chanel & Igors Stravinsky“ besticht mit seinen Schauspielern und seiner historischen Authentizität. Was man sich jedoch wünscht, ist exakt das, was im Théatre des Champs-Élysées für Furore sorgte: Das Überraschende, das Unbekannte.


Seit dem 6. Mai 2010 im Kino.

Originaltitel: „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ (Frankreich 2009)
Regie: Jan Kounen
Darsteller: Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen, Elena Morozova, Anatole Taubman
Genre: Drama
Dauer: 119 Minuten
CH-Verleih: Frenetic

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