Prince of Persia: The Sands of Time

Die Geschichte dreier Bettler, die zum Prinzen wurden

„Prince of Persia: The Sands of Time“ von Mike Newell

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„Prince of Persia: The Sands of Time“ ist ein ordentlicher, ambitionsloser Blockbuster, in dem ein Gassenjunge sich zum Retter der Welt aufschwingt. Das ist weder im Guten noch im Schlechten sonderlich der Rede wert. Gute Geschichten bietet er dennoch – man muss bloss etwas tiefer blicken.

Von Christof Zurschmitten.

Dieser Film bemüht sich so sehr darum, über ja keine Stränge zu schlagen, dass man mit dem Resultat Bewertungsskalen auf den Mittelwert eichen könnte. Das ist nicht per se schlecht; alle Elemente eines erfolgreichen Blockbusters sind vorhanden und solide umgesetzt: Screwball-Kabbeleien, ein Hauch züchtiger Erotik und Exotik, einige Spannungselemente und Plotwendungen, der handelsübliche Comic-Relief und natürlich  haufenweise unblutige Kämpfe und Moneyshots, die Interesse wecken, ohne nachhaltig zu beeindrucken – die Sets sind üppig, die Spezialeffekte auf der Höhe und wo es der Action an originellen Einfällen fehlt, holt die Akrobatik parkour-erprobter Stuntmen den Staunfaktor wieder ein. Dem steht nur wenig wirklich Ärgerliches entgegen – der aufgesetzte britische Akzent, einige wüste ethnische Stereotypen, das gelegentlich unschöne Aufblitzen des 21. Jahrhunderts in den Dialogen, sowie sagenhaft plumpe Anbiederungsversuche an den politischen Zeitgeist. Nichts davon ist der Aufregung wirklich wert.

Freilich war der Film bereits auf gehobenes Mittelmass programmiert, als die Crew um ihn versammelt wurde: Jerry Bruckheimer ist einer der erfolgreichsten Produzenten aller Zeiten, ein Titel, der sich nicht mit Experimentierlust erringen lässt. Eher schon mit einem wundersamen Händchen zur Risikominimierung – Bruckheimer ist das, was man eine „sichere Bank“ nennt (was ihm nicht zuletzt die Banken und andere Investoren zu danken wissen). Mit Mike Newell hat er ein Pendant im Regiestuhl gefunden. Einen Mann, der sich seit „Four Weddings And A Funeral“ derart zum Inbegriff des soliden Handwerkers entwickelt hat, dass man ihn sogar anheuert, um ausscherende Franchisen wieder auf das Gleis des unaufgeregten Mittelmasses zurückzubringen – siehe „Harry Potter“. Die beiden konnten kaum anders, als unter dem gestrengen Auge Disneys einen Film zu produzieren, den man weder wirklich lieben noch hassen muss, der unterhält bis zur letzten Einstellung – und keine Minute darüber hinaus.

Die Geschichte des ersten Bettlers, der zum Prinzen wurde: What makes you think I’m not?
Damit ist eigentlich alles gesagt. Der Rest sind Akzidenzien, tagesaktuell anfallende Versatzstücke, die Bruckheimer-Newell ihrem gewohnten Schema nach Belieben aufpropfen können: Diesmal spielt die immerselbe Geschichte also im Orient, wo ein Gassenjunge einem König sein edles Herz beweist und darum in seine Familie aufgenommen wird. Fünfzehn Jahre darauf beteiligt sich der Bastard-Prinz an der Eroberung einer Stadt, die ihm einen geheimnisvollen Dolch und eine widerborstige Prinzessin einbringt. Einen Verrat später ist der Prinz samt Prinzessin und Dolch auf der Flucht vor seinen eigenen Brüdern, einer Flucht in Kreisform, muss der Verrat doch aufgeklärt und der Verräter zur Strecke gebracht werden. Ein wenig 1001 Nacht also hier, ein wenig Hollywood-Drehbuchnormalität dort. Das  Alleinstellungsmerkmals des Plots sind die mystischen Kräfte des Dolchs, der die Zeit zurückdrehen kann (und wie jedes derartige Artefakt in den falschen Händen natürlich fatale Folgen haben würde – weshalb die falschen Hände umso gieriger danach schnappen). Eine ordentliche Geschichte also, die nicht mehr will, als von einer Einstellung zur nächsten zu führen.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Wer wirklich gute Geschichten will, findet sie andernorts. „Prince of Persia – The Sands of Time“,  das ist nämlich auch die Geschichte dreier Aufsteiger, die dem Schicksal spektakulär ein Schnippchen geschlagen und sich über ihre Bestimmung hinausgeschwungen haben. Wohlgemerkt: nicht einer von ihnen ist Dastan, Prinz von Persien.
Die erste Geschichte ist vielmehr die von Jake Gyllenhaal, der diesen Prinzen spielt. Man lachte noch, als Gyllenhaal in seiner Durchbruchrolle als Donnie Darko die Bemerkung, sein Name klinge wie der eines Superhelden, quittierte mit „What makes you think I’m not?“ Zwar hätte niemand, der den Film sah, bezweifelt, dass dem Mann eine grosse Karriere bevor stand. Dennoch hätte kaum jemand darauf gewettet, dass sie tatsächlich zum Quasi-Superhelden in einem Action-Blockbuster führen sollte. Gyllenhaals charakteristische Tiefäugigkeit und sein verschmitzter Charme sind ihm nicht auszutreiben. In „Prince of Persia“ strafen sie seine bemerkenswerten Muskelpakete Lügen, die wie die ungeschickten Versuche eines sensiblen Jungen wirken, seine Schüchternheit zu verstecken. Allerdings ist Gyllenhaal ein zu guter Schauspieler, als dass er diesen Widerspruch nicht aushalten und zu seinem Vorteil wenden könnte – sein potentiell eindimensional angelegter Charakter wird allein kraft seines zwischen Zerbrechlich- und Schlitzohrigkeit pendelnden Charismas vielschichtig. (Womit er ziemlich allein dasteht, obwohl auch die restliche Besetzung des Films grundsolide ist: Alfred Molina setzt seine mässigen Pointen gut getimed um; Gemma Artertorn lässt das Drehbuch nicht viel mehr als ihren Körper und einige eher zame denn schneidge Bemerkungen, mit denen sie sich profilieren könnte; und Ben Kingsley in Eyeliner und Action-Szenen zu stecken, ist ein Verbrechen an sich). Die Aussicht, Gyllenhaal erneut in dieser Rolle zu sehen, ist der einzig wirklich gute Grund, den Film zur Franchise auszubauen.

Prince of Persia (1989) von Jordan Mechner
Prince of Persia (1989) von Jordan Mechner

Die Geschichte des zweiten Bettlers, der zum Prinzen wurde: Elegance incarante
Der zweite Aufsteiger wider alle Wahrscheinlichkeit ist Jordan Mechner. Sein Aufstieg wirkt noch märchenhafter als der Gyllenhaals: von den einsamen Anfängen als Schlafzimmerprogrammierer hin zum Ideengeber eines millionenschweren Sommerblockbusters – der American Dream umgeschrieben für das 21. Jahrhundert. Auch im Falle Mechners überrascht weniger die Tatsache, dass er Karriere machte, als die Bahn, die diese Karriere nahm.

Sein Talent war bereits in seinem ersten, noch zu Studentenzeiten entwickelten Spiel „Karateka“ (1984) unverkennbar. Vollständig zur Entfaltung kam es aber erst 1989 mit dem ersten Auftritt des „Prince of Persia“, der die Stärken Mechners wie in einem Prisma bündelte. Die wichtigste davon: Eleganz. Einerseits bewegte sich der Ur-Prinz in einer Anmutigkeit durch die tausendfachen Gefahren seines Kerkers, wie sie bis dato unvorstellbar gewesen war. Mechner benutzte wie in „Karateka“ das Verfahren der Rotoskopie, bei dem er Bewegungsabläufe anhand seines jüngeren Bruders studierte und schliesslich in die Animationen des Prinzen übertrug – das Ergebnis war spektakulär, die vielleicht erste Spielfigur, deren Bewegungen allein ausdrucksstark genug waren, dass sie einen Charakter vollständig definieren konnten. Eine Eleganz des Minimalismus prägte auch die Hintergrundgeschichte, die sich punktgenau auf das Notwendigste beschränkte – einen Bösewicht, einen Helden und eine Prinzessin, die es zu retten galt.

Der Ur-“Prince of Persia” ist bis heute beliebt genug, dass zig Websites das Spiel als Flash-Version jederzeit zugänglich halten. Dennoch weckt es mittlerweile primär historisches Interesse, das verschleiert, wie immens einflussreich das Spiel einst war. Einen Einfluss, den nicht zuletzt Mechner selbst anfangs des 21. Jahrhunderts erneut aufnahm um (diesmal an der Spitze eines massiven Entwickler-Teams) sein Meisterwerk zu schaffen: „Prince of Persia: The Sands of Time“ (2003), dem auch der gleichnamige Film alles verdankt. Erneut diente Eleganz als Leitfaden: Die Geschmeidigkeit der Bewegung wurde aufgenommen und – vom Aufkommen des Parkour-Sports nachhaltig beeinflusst – buchstäblich in die nächste Dimension gehoben. Der Prinz wandelte sich im 3D-Raum zum Hasardeur, Tänzer und Zirkusakrobaten, für den in den Händen eines geübten Spielers scheinbar nichts mehr unmöglich, allenfalls einiges noch schwierig ist (ein Leitsatz, den zu wiederholen der Film nicht müde wird). Die Besetzung ist erneut auf die Trias Prinz-Prinzessin-Bösewicht reduziert, aber mit einem Twist: Zum einen wartet Farah, die Prinzessin, nicht mehr in ihrer Kammer auf die Ankunft des Prinzen – sie wird vielmehr aktiv und kämpf an seiner Seite, quasi ein Love-Interest in der Post-Buffy-Zeit. Zum anderen bemühte sich das Team um Mechner ausdrücklich auch darum, die Beziehung der Charaktere nicht nur in Cutscenes zu erörtern, sondern durch die Spielmechanik zu vertiefen – mit dem Resultat, dass die emotionale Bindung zum königlichen Paar im Verlauf des Spiels enger wird, als es im gleichnamigen Film je gelingt.

Der eleganteste Coup des 2003er-Prinzen war allerdings die Sublimierung einer vordergründig reinen Komfortfunktion – das Umgehen der ermüdenden Speichern-Sterben-Laden-Routine durch die Möglichkeit, die Zeit zurückzuspulen. In einem Geniestreich wurde das Gimmick ins Zentrum der Handlung erhoben, und die Mythologie des „Sands der Zeit“ war geboren. Was „Sands of Time“ zum Meisterwerk macht, das ist seine komplette Kohärenz, in der alles seinen Platz hat, nichts zu viel ist, und alles aufeinander verweist. So formen die mystischen Kräfte des Sands gemeinsam mit der mündlichen Erzähltradition nach Scheherazade auch die Struktur der Geschichte – samt ihrem herz- und plotzerreissenden Finale, das der Film in einer versöhnlich-disneyfizierten Form imitiert, ohne jedoch dieselbe emotionale Wucht zu erreichen.

Im Nachhinein, und nur im Nachhinein, scheint der Weg vom Schlafzimmer hin zum Hollywood-Set konsequent und folgerichtig zu sein. Mechner hegte erkennbar und erklärtermassen bereits bei seinem ersten Spiel cinematische Ambitionen, den Wunsch, Geschichten zu erzählen – ein Wunsch, der ihn einen Karrierenebenpfad als Drehbuchschreiber einschlagen liess (eine Funktion, die er auch für die Film-Adaption seines Spiels übernahm). Mechner, der immer wieder beteuert wie wichtig es sei, seine Einflüsse möglichst von überall her zu holen, induzierte in jedes seiner Spiele eine spürbare Sensiblität für eine durchaus hollywood-geschulte Dramaturgie – die er, und das ist entscheidend, mit den Mitteln des Computerspiels zu transformieren versteht.

Was unsere dritte Geschichte eröffnet.

"Prince of Persia: The Sands of Time" (2003)
„Prince of Persia: The Sands of Time“ (2003)

Die Geschichte des dritten Bettlers, der zum Prinzen wurde: Slayer of Kings
Es ist eine Geschichte der Angst. Eine Angst, die die Kinosäle des 21. Jahrhunderts heimsucht, eine Angst, die sich zu verstecken sucht hinter Staffagen und Taschenspielereien. Das aufmerksame Auge entdeckt sie dennoch, zumal  an einem Ort wie der Wüste Persiens, die zum Versteck kaum taugt.

Es ist die Angst des Films, seinen Thron neuen Anwärtern räumen zu müssen. Zwar wäre es naiver Irrglaube, zu denken, dass der Film je vollständig durch das Computerspiels ersetzt werden könnte; dass gewisse Genres aber unter dem Konkurrenzdruck erheblich leiden werden, erscheint durchaus wahrscheinlich. Kein Genre scheint gefährdeter als der Sommer-Blockbuster, der die exakt selben Bedürfnisse bedient (Schaulust, Adrenalin, die gesunde primitive Freude an spektakulär Kaputtgehendem) und in denselben Disziplinen schwächelt (generische Handlung und Charaktere, mangelnde Psychologisierung). Auch der Prinz von Persien fürchtet sich, und zwar zu recht. Zwar nimmt er an der Flucht in 3D nicht teil, aber er ist dennoch voller Insignien der Furcht, Szenen, die verraten, dass die Angst längst in Panik und die Panik in Kopflosigkeit umgeschlagen ist: Der Film versteht auf der ästhetischen Ebene nicht das Geringste vom anderen Medium, und er lässt sich von dieser Ignoranz infizieren.

Das geht häufig gerade noch gut, weil „The Sands of Time“ – das Spiel – in Sachen Ästhetik ohnehin viel vom Film gelernt hat: der punktuelle Einsatz von Zeitlupen- und Montageffekten zur Unterstreichung besonders spektakulärer Momente, der Zoom zur Aufmerksamkeitslenkung, das Gewicht auf einer einheitlichen mise-en-scene. Bei all diesen Elementen fällt es nicht sonderlich ins Gewicht, dass Newell – sei es in vorauseilendem Gehorsam den Fanboys gegenüber, sei es aus einem eklatantem Mangel an eigenen Ideen – sich beinahe sklavisch orientiert an der Vorlage. Auch wäre es verfehlt, die Isoliertheit der einzelnen Action-Szenen und die zahlreichen Kämpfe gegen immer gewaltigere Gegner auf den Game-Charakter der Vorlage zurückzuführen – diese Elemente sind typisch ebenfalls für das altehrwürdige Genre des Abenteuerfilms, von „The 7th Voyage of Sinbad“ (1958) bis hin zur „Indiana Jones“-Reihe.

Allerdings gibt es ästhetische Momente, die im Spiel eine rein mechanische Funktion haben. Etwa der Schwenk zu den wichtigsten Punkten im Raum, der dem Spieler zeigt, wohin er sich seiner Freiheiten zum Trotz zu bewegen hat.  Der Moment am Anfang von „Prince of Persia“, an dem der Film just jenen Effekt reproduziert, ist zu gleichen Teilen haarsträubend wie bemittleidenswert. Diese kurze Einstellung hat im Film keine Funktion, keine Sinn, nicht einmal den des Spektakels. Der Film probiert in diesem Moment so schmerzhaft angestrengt, zum Konkurrenten aufzuschliessen, dass er darüber vergisst, was er eigentlich ist.

Es ist müssig, darüber zu debattieren, ob das Spiel „Prince of Persia: The Sands of Time“ oder der gleichnamige Film nun „besser“ seien. Sie stehen nicht eigentlich in einem Konkurrenzverhältnis. Keines von beiden ist die definitivere Erzählung der Geschichte, allenfalls Varianten, denen der Schöpfer dieser Geschichte gleichermassen den Segen erteilt hat. Und beide buhlen nicht um die Gunst derselben Zuschauer – das Spiel ist bereits vor 7 Jahren erschienen und kaum jemand dürfe heute noch mit der Entscheidung ringen, wo er seine Zeit und sein Geld investieren soll. Fest steht lediglich, dass „The Sands of Time“ – das Spiel – als Spiel entschieden besser ist als „The Sands of Time“ – der Film – als Film.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Antwort auf die Frage, wie der Film hätte besser werden können, im Spiel zu finden ist. Wenn der Film seinen Thron behalten will, ist dies die erste Lektion, die er zu lernen hat.


Ab dem 20. Mai im Kino.

Originaltitel:  Prince of Persia: The Sands of Time (USA 2010)            
Regie: Mike Newell
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Emma Arterton, Ben Kingsley
Genre: Action, Adventure, Jump n Run
Dauer: 116 Minuten
CH-Verleih: Frenetic Films

Im Netz
Das übliche PR-Tohubawu zum Film findet man hier. Oben bereits verlinkt wurde eine nur minimal aufgebohrte Flash-Version des Ur-Prinzen. Das Spiel „Sands of Time“ war Gegenstand grosser Zuneigung, aus der einige exzellente Artikel hervorgegangen sind – allen voran die Retrospektive von Edge-Magazine, die die Stimmung des Spiels besser einfängt als jeder andere gedruckte Text.  Sehr interessant ist ausserdem ein relativ aktuelles Interview mit Jordan Mechner, in dem er gemeinsam mit der verwandten Seele Eric Chahi („Another World“) zu seiner künstlerischen Vision, Game-Entwicklung in  den 80er-Jahren und vielem anderen Auskunft gibt. Unverzichtbar ausserdem Mechners eigener Bericht zur Entwicklung des Spiels „Sands of Time“, in dem er die Prinzipien guten Game Designs Punkt für Punkt erläutert.



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