„Glaube Liebe Hoffnung. Geschichten von hier“ | AUAWIRLEBEN-THEATERTREFFEN, Schlachthaus Theater Bern

Was geglaubt, geliebt, gehofft wird

„Glaube Liebe Hoffnung. Geschichten von hier“  | AUAWIRLEBEN-FESTIVAL, Schlachthaus Theater Bern, 14.05.10

Der deutsche Theaterwissenschaftler Frank Abt inszeniert mit „Glaube Liebe Hoffnung – Geschichten von hier“ eine dokumentarische Suche nach persönlichen Antworten auf die grossen Fragen im Leben – zusammen mit dem herausragenden Schauspielerduo ist ihm ein berührend feiner und sehr persönlicher Theaterabend gelungen.

Von Sabrina Glanzmann.

Auch wenn der Name der Inszenierung die Vermutung zulässt, geht es bei „Glaube Liebe Hoffnung“ des Deutschen Theaters Berlin nicht um Horváth, sondern um „Geschichten von hier“, aus dem Leben also, wie der Untertitel erklärend ergänzt. Das Projekt um Regisseur Frank Abt will dabei den „Blick auf das Besondere im Normalen“ lenken und zeigen, „welche Poesie dem Alltäglichen innewohnt“ – dafür hat Abt zusammen mit dem Journalisten Dirk Schneider Menschen interviewt und diese aus ihren Leben und von ihren Erfahrungen erzählen lassen. Gleich vorneweg sei gesagt, dass die Intention gänzlich gelungen ist. Der persönliche Text, der aus den Interviews entstanden ist, ermöglicht es den beiden Schauspielern Natali Seelig und Alexander Khuon aus dem Vollen zu schöpfen und ihre Talente auf fesselnde Art und Weise auszuspielen. Ob als konvertierter orthodoxer Jude, als Liebespaar aus dem world wide web oder ob als an Alzheimer erkrankte ältere Frau – als Zuschauer ist man mittendrin in deren Geschichten, man ist und wird sehr direkt berührt – auch unmittelbar mit dem eigenen Glauben, der eigenen Liebe, der eigenen Hoffnung.

Orthodoxie und Pseudoglück
Jeder der drei christlichen Tugenden „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ ist eine Grossszene gewidmet, deren Inhalt jeweils auf das betreffende Schlagwort referiert. So erzählt als erstes Khuon als Urenkel eines polnischen Juden seine Weg vom Katholizismus zum orthodoxen Judentum. Das Wohnzimmer auf der mobilen Holzbühne ist mit einfachem Tisch und Stuhl, abgewetztem Cordsofa und Hirschbild beinahe protestantisch karg ausgestattet, um beim Glaubensbild zu bleiben – doch das Kruzifix darf nicht fehlen, auch wenn der orthodoxe es für seine Erzählungen abnimmt und auf dem Sofa zwischenlagert. Fokussiert erzählt der Konvertit, was ihn am orthodoxen Judentum fasziniert: die völlige Hingabe, die man darin erfahren kann, den Halt, das Rituelle. Und wenn er von den für ihn unsicheren Teilen dieses Weges erzählt, vom Missverständnis der Eltern, von der Beschneidung, von den verlorenen Freunden, dann verleiht Khuon seiner Stimme ein Mass an scheuer Unsicherheit, die von den doch vorhandenen Zweifeln am Glauben zeugen. Die Zweifel an der Liebe schimmern auch im der zweiten Szene durch, wenn das Pärchen Selma und Frank gezeigt wird, die sich auf einer Online-Partnervermittlung gefunden haben. Das Publikum wird hier zugetrasht mit einer Beziehung, die aus Dauerschmusen, -grabschen und -grinsen zu bestehen scheint, obwohl laut Selma doch eine „reflektierte Humorebene“ dahinter stecke – mitnichten. Faszinierend, wie Alexander Khuon, eben noch zarter, ruhiger abgeklärter Mann, Falk als glitschiges Ekel mit ebensolcher Mimik gibt, und Natali Seelig eine Selma zeigt, die vor lauter aufgezwängtem Pseudoglück nicht sehen will, dass ihrer Liebesbeziehung null Substanz und schon gar keine Reflexion zu Grunde liegt. Als Falk am Schluss der Szene alleine auf der Bühne ist, wird endgültig klar, wieso: „Also, alles Verliebtsein hat ja mit Projektion zu tun, und mit Fetisch. Und am Computer kannst du das haben.“ Der Chat war geil, aber das Treffen im realen Leben ein „Absturz“.

Die Essenz am Ende
Die „Hoffnung“ der dritten Szene gibt die Gedanken einer älteren, an Alzheimer erkrankten Frau preis. Sie hat viel gesehen und erlebt, den Krieg, den sehr frühen Krebstod der Tochter, den ebenfalls frühen Krebstod des Mannes. Wie bei Khuong der Wechsel vom Konvertit zum Grüsel Falk ist es auch der Wechsel von Natali Seelig von der hibbeligen Selma zur abgeklärten, würdevollen Dame, der hier erstmal beeindruckt – daneben aber auch die Erzählung selbst, die gespickt ist von alten Erinnerungen, von denen die Frau angesichts der fortschreitenden Demenz immer mehr zehrt. Trotz ihrer Krankheit fährt sie noch immer Auto, trotz den Krebserkrankungen ihrer Liebsten raucht sie viel, und widersprüchlich ist auch ihre Haltung zum Glauben: Ihre sterbende Tochter habe ihr Schicksal in die Hände Gottes gelegt, „aber das nützt ja alles nichts“, und „den Alltag, den muss man ja selber bewältigen, da kann einem der Pastor auch nicht helfen.“ Trotzdem könne sie ohne ihren Glauben auch nicht ganz sein, und sie hoffe, dass es immer irgendwie weitergehe – der Psalm „Meine Seele ist Stille zu Gott, der hilft“, war ihr Konfirmandenspruch und seither lebenslanger Begleiter gewesen. Der Glaube ist Hoffnung, und die Liebe zeigt sich in Form von sehnsüchtigen Erinnerungen – am Ende eines Lebens sind die drei Begriffe die Essenzen davon, was sie einst ausgemacht haben.

Der Abend, den das Deutsche Theater Berlin am AUAWIRLEBEN-Festival gezeigt hat, berührt, wühlt auf, und lässt den Zuschauer mit grossen Fragen im Kopf nach Hause gehen: Woran glaube ich, wen oder was liebe ich, was hoffe ich? Und warum?

Das ist wahrlich Poesie des Alltags, in deren Lyrikbändchen wir unsere eigenen Kapitel suchen müssen.

Premiere: 6. Dezember 2009, Deutsches Theater, Berlin. Besprochen wurde die Aufführung am 14. Mai 2010 im Schlachthaustheater Bern im Rahmen des AUAWIRLEBEN-Theaterfestivals.


Darsteller: Natali Seelig, Alexander Khuon
Regie: Frank Abt
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Katharina Kownatzki
Dramaturgie: Meike Schmitz
Interviews: Dirk Schneider

Dauer: 1 Stunde 15 Minuten

Im Netz
www.auawirleben.ch
www.deutschestheater.de

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