„Memory Lost – Eine Explosionszeichnung“ schützwolff | AUAWIRLEBEN-THEATERTREFFEN, Tojo Theater Bern
Irritierende Ausweitung der Kampfzone
„Memory Lost – Eine Explosionszeichnung“ schützwolff | AUAWIRLEBEN-THEATERTREFFEN, Tojo Theater Bern, 18.05.10

Die Gruppe „schützwolff“ aus Basel und Biel setzt sich mit „Memory Lost – Eine Explosionszeichnung“ mit den Erinnerungen an (eine) Beziehung auseinander, verzichtet dabei mehrheitlich auf Worte und lässt viel performative Symbolik sprechen. Das Gezeigte hinterlässt etwas ratlose Zuschauer, die aber immerhin in den Genuss von grosser musikalischer Begleitung kommen.
Von Sabrina Glanzmann.
Das Programmheft von AUAWIRLEBEN erklärt bezüglich „Memory Lost“: „Ein Mann. Eine Frau. Suchen offensiv sich im Anderen, beide wissen, es ist ein Versuch und der ist es wert! Jeder von ihnen bringt eine eigene Vergangenheit mit, eigene Erinnerungen und Geheimnisse. Und jeder gemeinsam gelebte Moment lebt nach in der subjektiven Erinnerung der beiden, führt dort sein Eigenleben aus Wirklichkeit, Wahrnehmung und Wunsch.“ Dabei wollen „schützwolff“ unter anderem „verschiedene Lebensgeschichten und charakterliche Aspekte“ miteinander kombinieren und „auf verschiedenen Ebenen, theatralisch und musikalisch, verschachtelt, geschichtet und nicht chronologisch geordnet“ erzählen. Das klingt nach Collage, nach Aneinanderreihung einzelner Fragmenten und Puzzelteilen, die die Erinnerung(en) einer Frau-Mann-Beziehung thematisieren wollen. So wird es dann irgendwie auch, aber irgendwie auf eine sehr irritierende Art und Weise.

Performative Symbolik
Denn schon zu Beginn der Aufführung fällt es schwer, die oben beschriebene Intention von „schützwolff“ irgendwo zu erkennen respektive für sich zu interpretieren. Obwohl das starke Bühnenbild (Guillaume Cousin) – bestehend aus versetzt von der Decke baumelnden, mobilen Plastikfolien – gute Möglichkeiten für das gegenseitige „Suchen im Anderen“ bietet, dauert die Anfangssequenz beinahe unerträglich lange. Da waten Julia Schmidt und Graham F. Valentine eine gefühlte Ewigkeit hinter, vor und neben dem Irrgarten aus beleuchteten Plastikwänden, tonlos, wortlos, physisch. Dabei entsteht eine schöne Metapher für das nebulöse Erinnerungsvermögen, denn der Kunststoff wird durch das Licht milchig-verschwommen und unklar – eigentlich ein guter Einstieg für einen Abend, der sich „Memory Lost“ nennt, und doch hätten dieser Szene einige Minuten weniger gut getan.
Am linken Bühnenrand dient die grösste aller Plastikfolien als Projektionsfläche für die Gesichter und deren Mimik, für die Annäherungs- und Umarmungsversuche des Frau-Mann-Paares Schmidt/Valentine – eine intensive, unmittelbare und gelungene Demonstration von Gefühl der Schlagwörter “ Wirklichkeit, Wahrnehmung und Wunsch.“
Lange, lange, sehr lange wird überhaupt nicht gesprochen, sondern mit exzessiv betriebener performativer Symbolik gearbeitet. Da zieht sich Julia Schmidt beispielsweise langsam und bedächtig eine weisse Bluse über die andere an, „same procedure as every day“ scheint es zu bedeuten: jeden Tag in denselben Trott einsteigen, jeden Tag dieselbe weisse Bluse anziehen, jeden Tag dieselbe verkorkste Beziehung führen. Mit jeder Bluse steigt offenkundig auch die Frustration ob dieser Situation, wenn Schmidt mit geballter Faust in die Plastikwand mit dem überdimensional gross projizierten Kopf Valentines schlägt.

Zaghaft-irritiert und etwas ratlos
Dann endlich, ein Wort! „Julia..?“ ruft Valentine suchend, und fortan beginnt eine physisch und psychisch gewalttätige Auseinandersetzung, die Bühne wird zur erweiterten Kampfzone für das Ringen um und in der dargestellten Beziehungskonstellation. Schmidt stülpt Valentine eine Strumpfhose über den Kopf und hält die Enden der Beine wie Zügel in der Hand, doch der Mann wehrt sich und wirft ihr in der nächsten Szene die verbale Retourkutsche „Du spinnst“ an den Kopf. Später wird sie ihm sagen, dass er dick und krank sei, später wird er ihr sagen, dass er seine Gründe habe, warum er ihr aus dem Weg geht. Da fallen Sätze wie „Du bist ein potenzieller Irrer“ oder „Du bist wie die letzten Tage des Osmanischen Reiches.“ Ja, diese Beziehung ist offensichtlich am Ende, es werden noch andere szenische Beiträge für die Untermauerung davon gezeigt, bis sich am Schluss alles in einem plötzlich anrührenden und deshalb, trotz seiner Schönheit, völlig unpassenden Dialog auflöst. Die Protagonisten danken sich gegenseitig für die Erinnerungen, wie zum Beispiel die „memory of summer by the sea, down by Waikiki“, „How easy it was, since our break-up (…), and still I miss you sometimes.“ Aha. Beziehung – Probleme – Streit – Trennung – melancholische Reminiszenz, ist es das also, was gezeigt werden will? Naja.
Das wirklich Erhellende an diesem Abend ist die musikalische Begleitung von Martin Schütz und Beni Weber, die dem Abend in einem abermals aus Plastik gefertigten Häuschen der Irritation immerhin den passenden Sound verleihen. Und wie sonst bei Marthaler ist Graham F. Valentine auch hier Garant für very british und very cosy vorgetragene Geräusche und Songs. Einer davon könnte dank Valentines Stimmfertigkeit und den passend-minimalen Klängen von Schütz/Weber genialerweise glatt als Portishead durchgehen. Beth Gibbons auf der Bühne wäre den Zuschauern, die vorzeitig die Aufführung verlassen, vielleicht lieber gewesen. So irritierend die Aufführung war, so zaghaft-irritiert und etwas ratlos ist auch der Applaus.
Premiere: 12. Mai 2010, Kaserne Basel.
Besprochen wurde die Aufführung am 18. Mai 2010 im Tojo Theater Bern im Rahmen des AUAWIRLEBEN-THEATERTREFFENS.
Darsteller: Julia Schmidt, Graham F. Valentine, Martin Schütz, Beni Weber
Konzept, Dramaturgie, Inszenierung: Markus Wolff, Martin Schütz
Musik: Martin Schütz
Video: Max Philipp Schmid
Bühne, Licht: Guillaume Cousin
Kostüme: Božena Civic
Dramaturgische Mitarbeit: Suzanne Zahnd
Dauer: 65 Minuten
Im Netz
www.auawirleben.ch
www.memorylost.ch