Kein Wald ohne Pilze, ohne Pilz kein Wald
Mykorrhizae –
Rege Tauschgeschäfte im Waldboden
Kein Wald ohne Pilze, ohne Pilz kein Wald
Im Jahr der Biodiversität 2010 wollen wir den Scheinwerfer auch auf Arten richten, die sonst ein unbemerktes Schattendasein führen. Ein solches Beispiel ist die weitgehend unbekannte Mykorrhiza. Diese Verbindung von Pflanzenwurzel und Pilz, die im Wald wichtige Funktionen übernimmt und zum gegenseitigen Nutzen beider besteht, wird neben anderem im Pilzreservat La Chanéaz erforscht.
Von Stephanie Santschi
Gehen wir gemeinsam auf einen Waldspaziergang. Über uns rauschen die Baumwipfel im Wind. Gerade erst sind wir dem hektischen Stadtalltag entflohen, und lassen uns vom aufkommenden Gefühl der Naturverbundenheit tragen. Doch während wir so unseren Gedanken nachhängen, laufen unter unseren Zehen Tauschgeschäfte ab, die es mit einem Wochenmarkt aufnehmen könnten.
Dieser Handel wird ermöglicht durch die Mykorrhizae: Eine enge Partnerschaft von Pilzwurzelgeflechten, sogenannten Mycel, mit den Wurzeln der Waldpflanzen. Oft sind diese Pilzwurzeln spezifisch an bestimmte Pflanzenarten gebunden. Ein Beispiel dafür sind die Mykorrhizae des Birkenröhrlings, der fast ausschliesslich in der Gegenwart von Birken zu finden ist.
Geben und Nehmen
Eine der wichtigsten Aufgaben der Mykorrhiza ist der Nährstoffaustausch zwischen Pilzen und Pflanzen. Letztere sind im Gegensatz zu den Pilzen fähig zur Fotosynthese. Dabei entstehen Sauerstoff und Traubenzucker. Dieser und die daraus aufgebauten Kohlenhydrate liefern dem Pilzmycel die Energie zum Leben. In dieser Hinsicht sind die Pilze dem Tierreich ähnlich: Pilze wie Tiere sind auf externe organische Kohlenstoffquellen angewiesen.
Als Tauschprodukt für den erhaltenen Traubenzucker leiten die Pilzgeflechte Nährstoffe wie Phosphor oder Stickstoff an die Pflanze weiter. Diese im Erdreich vorkommenden Stoffe kann der Pilz mittels seiner dünnsten Pilzfäden auch aus den kleinsten Bodenporen gewinnen, was für Pflanzen nur schwer möglich ist.
Schadstoffe reichern sich an
Des Weiteren sind die Pilzgeflechte Puffer gegen toxische Substanzen. Stoffe wie Seifenreste, Herbizide oder Metallionen stellen eine grosse Belastung für die Natur dar. Viele dieser Stoffe können von Pflanzen nicht abgebaut oder ausgeschieden werden. Sie reichern sich in ihnen an, und bedrohen damit zunehmend die Pflanzen sowie auch die Tiere, die sich von ihnen ernähren.
An dieser Stelle kommen wieder die Pilze zum Einsatz: Im Pilzmycel werden die schädlichen Stoffe abgefangen und eingelagert. Deshalb dringt nur ein kleiner Teil des Schadstoffes überhaupt zur Wurzel durch. Was praktisch für die Pflanzen ist, stellt ein kleines Ärgernis für uns dar: In den Speisepilzen finden sich so häufig erhöhte Konzentrationen an Schwermetallen und Giftstoffen sowie Stoffen, von denen ein gefährliches Mass an radioaktiver Strahlung ausgeht. Der Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl führte zu einer extremen Belastung: Weil sich radioaktives Cäsium, das eine sehr lange Halbwertszeit hat, in den Pilzen anreicherte, durften hierzulande jahrelang keine Pilze gegessen werden. Selbst heute wird in den Pilzen immer noch Strahlung nachgewiesen.
Das Pilzreservat
Nicht nur Schadstoffe kann die Mykorrhiza abwehren, die Pflanzen werden durch sie auch vor Frost und Befall durch Krankheitserreger geschützt. Mykorrhizae unterstützen das Pflanzenwachstum zudem durch die Mitarbeit an der Bildung pflanzlicher Hormone. Auch umgekehrt ist dies der Fall. Nachgewiesen wurde dies an Bäumen im freiburgischen Pilzreservat La Chanéaz, in dem Waldpilze genau inventarisiert und beobachtet werden. Den einzelnen Bäumen standen nach einer Durchforstung plötzlich mehr Platz und Nährstoffe zur Verfügung, worauf sie vermehrt zu wachsen anfingen. Das schlug sich auch auf das Wachstum des Pilzgeflechts und der gebildeten Fruchtkörper nieder: Die Anzahl Pilze an der Oberfläche explodierte förmlich.
In dem seit 1975 bestehenden Naturschutzgebiet wird weltweit einmalige pilzökologische Forschung betrieben: Der Pilzbestand wird wöchentlich genau inventarisiert, was langfristige Erkenntnisse ermöglicht. Sie sollen helfen, die Biodiversität der Waldpilze zu fördern.
Vegetation ohne Pilz?
Pflanzen und Pilze sind via Mykorrhizae voneinander abhängig. Ohne diese Symbiose fehlt den Pilzen die Nahrungsgrundlage und ohne Mykorrhizae wäre die Nährstoffversorgung der Pflanze kaum gewährleistet.
Vermutlich wurde die Entstehung der Pflanzenwelt auf der Erde überhaupt erst ermöglicht, indem Pilze die Nährstoffe in erster Instanz erschlossen haben.
So oder so, die unsichtbaren Pilzgeflechte tragen viel dazu bei, wie die Umgebung unseres Waldspaziergangs aussieht und sie sind sicher einen Gedanken wert, wenn Sie das nächste Mal den Wald geniessen.
Im Netz
http://www.pilzreservat.ch
Pilzreservat La Chanéaz
Definition der Pilz-Wurzel Mykorrhiza (griechisch: mukês = Pilz, rhiza = Wurzel)
Bezeichnen wir die beim Pilzsammeln gepflückte Frucht als Pilz, werden wir der faszinierenden Daseinsform nicht ganz gerecht. Ein Pilz besteht nicht nur aus einem Stamm mit Hut. Seit wichtigster Teil befindet sich unter dem Waldboden, und wird Pilzmycel genannt. Eine Mykorrhiza ist eine von Pilz besiedelte pflanzliche Wurzel, die sich langsam unter dessen Einwirkung verändert: Umhüllt von dünnen Pilzfäserchen gehen die feinsten Wurzeln der Pflanze mit dem Mycel eine Symbiose ein.