„The Young Victoria“ von Jean-Marc Valée
Verirrt zwischen Palast und Wolke Sieben
„The Young Victoria“ von Jean-Marc Valée
In einer ästhetisch überaus ansehnlichen Produktion versucht „The Young Victoria“ dem Kinopublikum ein Stück Epochengeschichte zu vermitteln. In all den erzählerischen Defiziten rund um „wahre Liebe“ zwischen der jungen Thronfolgerin Victoria und ihrem Prinzen Albert auf dem Sprungbrett in ein wahrlich königliches Eheleben geht dies jedoch beinahe unter.
Von Tom Messerli.
Der Titel ist Programm, “The Young Victoria” zeigt das frühe Leben der jungen Prinzessin, Thronfolgerin und später Königin, und lässt dabei wenig aus: weder die klassenpolitischen (männlichen) Einflüsse, denen sich die werdende Regentin tagtäglich entgegengesetzt sieht, noch die jugendlichen Fehler, die sie beinahe zum Spielball der Mächtigen werden lassen, noch ihre bewundernswerte – historisch notabene durchaus glaubwürdige – Fähigkeit, sich diesem Machtspiel anzupassen um es schliesslich für bemerkenswerte 63 Jahre des Regierens selber zu beherrschen, fehlen.
Ein königlicher Genuss
Emily Blunt besticht dabei als Idealbesetzung der Rolle, ihr zuzusehen ist ein wahrer Genuss. Es gelingt ihr, der nebst Elizabeth I wohl berühmtesten aller englischen Königinnen Elan und gesellschaftliche Durchschlagskraft, gelegentlich und überraschenderweise sogar einen Hauch Sexappeal zu verleihen – allesamt Attribute, die der, in ihrem zugeknöpften Trauergewand späterer Tage oft prüde wirkenden, kollektiv erinnerten älteren Victoria kaum zugeschrieben werden. Gelegentlich etwas an den Rand gedrängt, findet Rupert Friend daneben ziemlich genau die richtige Mischung aus Mauerblümchen und Draufgänger, der lernt, in der zweiten Reihe zu stehen. Blunt und Friend erfassen dabei perfekt die echt wirkende Wohligkeit zweier junger Menschen, die erkennen, dass ihre selbstgewählte gegenseitige Achtung etwas ganz Privates und aussergewöhnlich Eigenes ist, während ihre Schicksale von anderen vorherbestimmt und Entscheidungen seit jeher für sie gemacht worden sind. Die beiden harmonieren in ihren Rollen so gut, dass man sich gelegentlich wünscht, der Filmtitel lautete „The Young Victoria and Albert in Love“.

Doch, auch für nichtromantische Spannung wäre fürwahr ausreichend gesorgt. Tatsächlich ist die Partie auf dem Schachbrett der Weltpolitik, mit Victorias erdrückend herrischer Mutter und ihrem hinterhältigen und machthungrigen Berater auf der einen, sowie der königliche Allianz zwischen dem sterbenden König William und Victorias Onkel König Leopold von Belgien auf der anderen Seite, mit Victoria und Albert irgendwo in der Mitte, bisweilen tolles Politdrama zum geniessen.
Weder Fisch noch Vogel
Allerdings gerät in ebendiesem Hin- und Her zwischen Liebe und Politik das Unternehmen „The Young Victoria“ ins wanken. Während die Geschichte nun einerseits darzustellen versucht, wie sich Königin und König in spe in diesem Wirrwarr von manipulativem erwachsenen Getue als Seelenverwandte erkennen und ihre gegenseitige Annäherung sich flux in tief verbundene Freundschaft und schliesslich in ein aufregendes Liebesabenteuer entwickelt (ohne wenigstens ein bisschen beiderseitige Hingabe hat man schliesslich nicht neun Kinder), wird der Fokus gleichzeitig auf all die anderen Figuren gelenkt, die zur Zeit auch noch am Hof ein und ausgingen: Da sind der Streit zwischen König William und Victorias Mutter ein Erzählstrang, ist der Einfluss eines engsten Vertrauten Viktorias, Premierminister Lord Melbourne, Thema, ebenso wie ihr erster grösserer politischer Ausrutscher während der so genannten „Bedchamber Crisis“ vom Mai 1839, der vorübergehend zu innenpolitischen Unruhen führte.
Eine Art Teaser für zwei Filme
Irgendwo in diesem pendeln zwischen Liebesgeschichte und Politdokumentation verliert sich der Film derart, sodass dem Publikum bisweilen nicht mehr klar ist, was der Streifen schlussendlich wirklich will. Am Ende verlässt das Publikum den Kinosaal etwas zerzaust, wobei die einen sich wünschen werden, dass der Filmtitel tatsächlich „The Young Victoria and Albert in Love“ lauten würde, während die anderen sich enervieren dürften, dass der Film nicht wirklich von „The Young Victoria“ handelte. Vielleicht wäre es besser gewesen, das etwas merkwürdig anmutende Produktionspaar Martin Scorsese (immerhin Schöpfer von „Godfellas“, „The Aviator“, „Gangs of New York“ und „Departed“) und Sarah „Fergie“ Ferguson (immerhin Herzogin von York) zwei Filme drehen zu lassen – einmal Politschmiere, einmal königliche Romanze. Immerhin soviel verrät „The Young Victoria“: beides hätte Potential zum Klassefilm.
Seit dem 17. Juni 2010 im Kino.
Originaltitel: „The Young Victoria“ (USA 2009)
Regie: Jean-Marc Valée
Darsteller: Emily Blunt, Rupert Friend, Paul Bettany, Miranda Richardson, Jim Broadbent, Thomas Kretschmann, Mark Strong
Genre: Drama, Liebesfilm
Dauer: 105 Minuten
CH-Verleih: Ascot Elite
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