NIFFF 2010 – Freitag

Pelzige Aliens, schweigsame Vikinger und entführte Schönheiten

NIFFF 2010 – Freitag

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Auch für Aliens sind Trüffel eine Delikatesse – diese Erkenntnis brachte am Freitag einer der schrägsten und amüsantesten Filme des diesjährigen Festivals. Weniger begeistert war das Publikum von Nicolas Winding Refns „Valhalla Rising“, in welchem Mads Mikkelsen als schweigsamer Krieger eine Gruppe Kreuzritter durch die Hölle führt. Dafür folgte mit „The Disappearance of Alice Creed“ anschliessend ein Highlight des diesjährigen Open-Air Programms.

Von Lukas Hunziker.

Montreal in der nicht allzu fernen Zukunft. Der Klimawandel hat den Boden der kanadischen Stadt zu einem der fruchtbarsten Flecken Erde für Trüffel gemacht. Wie einst beim Goldrush in Kalifornien werden viele Bewohner der Stadt zu Trüffelgräbern, und legen unter ihren Häusern Stollen an, an deren Boden sie entlang schnüffeln, um die wertvollen Delikatessen auszugraben. Doch da es in Montreal Trüffel bald wie Kartoffeln gibt, sinken die Preise und das lukrative Geschäft wird zur Knochenarbeit, die einen kaum noch ernährt. Selbst Charles, der erfolgreichste Trüffelsucher der Stadt, kann das kleine Restaurant seiner Frau Alice mit seinen Trüffeln kaum noch über Wasser halten.

Als sich eines Tages ein Pelzgrosshandel für das Trüffelgeschäft zu interessieren beginnt und die besten Trüffelschnüffler der Stadt für ein saftiges Gehalt rekrutiert, scheint Alice‘ und Charles‘ Existenz gesichert. Charles steigt bald zum Oberschnüffler der Firma auf, wodurch er zwar genug verdient, aber nicht mehr Zeit hat, selber Trüffel zu suchen, weswegen Alice ihren Kunden Gerichte mit Dosentrüffel servieren muss. Je länger Charles für die Firma arbeitet, desto weniger bekommt Alice ihn zu sehen und desto verschlossener wird er ihr gegenüber. Als er schliesslich gar nicht mehr nach Hause kommt, beschliesst Alice, sich in seiner Firma ein bisschen umzusehen. Es geht nicht lange, bis sie feststellt, dass die Arbeitgeber ihres verschollenen Mannes nicht so menschlich sind, wie sie aussehen…

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Yep, die Story von „Truffe“ ist reichlich abgedreht und absurd – und erntete wohl gerade deshalb grossen Applaus vom NIFFF-Publikum. Während bei anderen Filmen – gerade jenen im internationalen Wettbewerb – das Element des Fantastischen oft etwas fehlte, war der frankokanadische Film von Kim Nguyen, der auch das Drehbuch dafür geschrieben hat, ein „film fantastique“ im besten Sinn. Doch nicht nur die groteske Story ist gelungen, auch die beiden Hauptdarsteller Céline Bonnier und Roy Dupuis sind fantastisch und geben ein herrliches Leinwandpaar ab – vielleicht weil sie auch im richtigen Leben eines sind. Gedreht wurde der Film in schwarz-weiss, was die gelungenen Licht-Schattenspiele wunderbar zur Geltung kommen lässt. Der Soundtrack schliesslich besteht vor allem aus einer kultigen Coverversion von Screamin‘ Jay Hawkins‘ „I put a spell on you“.

„Truffe“ ist eine Art uneheliches Kind von David Lynch, Jean-Pierre Jeunet und Jim Jarmush – eine absurde, urkomische, herrlich gespielte und klasse gefilmte schwarze Komödie, und damit wohl einer der coolsten Filme des Festivals. Auf DVD ist der Film leider nur schwer erhältlich – wer ihn dennoch haben will muss das Internet nach kanadischen Anbietern abklappern oder über amazon.com aus zweiter Hand bestellen. Lohnt sich aber.

Hölle statt das Heilige Land

Was erwartet man von einem Wikingerfilm? Harte Sitten, Trinkgelage, blutige Schlachten, wilde Fahrten in Drachenboten auf hoher See, Schwert, Äxte und gehörnte Helme? Bei einer Hollywoodproduktion würde man mit diesen Vermutungen wohl richtig liegen – nicht jedoch beim neuen Film des dänische Regisseurs Nicolas Winding Refn, der durch die „Pusher“-Trilogie, die von Drogendealern im Untergrund Kopenhagens erzählt, bekannt wurde. „Valhalla Rising“ erzählt die Geschichte des geheimnisvollen Kriegers One-Eye, der aus der Gefangenschaft eines Wikingerclans entkommt und eine Gruppe Kreuzritter auf ihrem Weg nach Jerusalem begleitet. Auf der Fahrt kommt jedoch dichter Nebel auf und das Boot strandet an einem unbekannten Ufer. Bald zeigt sich, dass die Streiter Gottes in der Hölle gelandet sind.

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In „Valhalla Rising“ wird wenig geredet – und noch weniger als Dialoge gibt es eine Handlung. One-Eye, gespielt von Mads Mikkelsen sagt über die gut 90 Minuten hinweg kein Wort, und es wird nie ganz klar, ob er Gott, Dämon oder Mensch ist, ob er die Ritter in die Hölle führte oder ob er nur mehr Talent zum Überleben hat. Wer in der Geschichte einen tieferen Sinn erkennen will, wird sich mit „Valhalla Rising“ wohl nie anfreunden können. Wer akzeptieren kann, dass es hier mehr um Atmosphäre und eindrückliche Bilder (gefilmt wurde vor atemberaubenden Kulissen in Schottland) geht, und dass die Reise, auf die man als Zuschauer hier mitgenommen wird, eine metaphorische Reise ist, der dürfte an „Valhalla Rising“ jedoch Gefallen finden. Das Freitagspublikum am NIFFF konnte mit dem Film mehrheitlich nur wenig anfangen – mehrere Zuschauer verliessen den Saal vor dem Ende, es wurde geseufzt, gegähnt und in den Bart gejammert, was es den geneigteren Zuschauern schwer machte, den stimmigen Vikingertrip so richtig zu geniessen.

Entführung mit Hindernissen

Mehr zu begeistern wusste der Open-Air Film vom Freitag Abend: „The Disappearance of Alice Creed“ ist der viel gelobte Erstling des Britischen Regisseurs J. Blakeson, in welchem zwei Ex-Knackis eine junge Frau entführen, um von ihrem reichen Vater Lösegeld zu erpressen. Bereits die ersten zehn Minuten, in welchen nur ein einziges Wort gesprochen wird, sind stark inszeniert: Vic (Eddie Marsan) und Danny (Martin Compston, bekannt aus Ken Loachs „Sweet Sixteen“) bereiten die Entführung minutiös vor, indem sie die Wohnung, in welcher sie ihr Opfer gefangen halten, zu einer schalldichten Zelle unfunktionieren. Die Entführung läuft genau nach Plan, die attraktive Alice Creed (Gemma Arterton) wird ans Bett gefesselt und die Lösegeldübergabe vereinbart. Alles deutet auf einen Erfolg des minutiös vorbereiteten Verbrechens hin, bis …

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„The Disappearance of Alice Creed“ kommt mit gerade mal drei Schauspielern aus, welche den Film aber über seine 100 Minuten hinweg tragen. Die Story ist nicht umwerfend, aber gut inszeniert und spannend bis zum Schluss. Die Twists im Plot sind gelungen und sorgen zwischendurch für den einen oder anderen Lacher. Blakesons Film wird in der Schweiz wohl leider trotzdem nicht ins Kino kommen, obwohl ein packender Thriller das sonst bitter enttäuschende Sommerprogramm sicher bereichert hätte. Dies gilt jedoch für einige Filme, die am NIFFF zu sehen waren, weshalb man umso dankbarer ist, dass es solche Festivals gibt, und nicht nur den Schrott, den uns die Kitag momentan vorsetzt.


Im Netz
Trailer zu „Truffe“
Trailer zu „Valhalla Rising“
Trailer zu „The Disappearance of Alice Creed“ (Achtung: Spoiler!)

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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