NIFFF 2010 – Freitag 2

Psychologische Kriegsführung und Schweigegelübde

NIFFF 2010 – Freitag

djinns

Am Freitag schickt Frankreich einen Trupp Soldaten in die Wüste – wo sie einen der besten und stillsten Horror-Trips des NIFFFs 2010 erleben. Stille gebietet auch der Film „Murderer“, über den man nicht viel sagen darf, ausser: Er ist, einer verschrobenen Logik folgend, der konsequente nächste Schritt für den Hong Kong-Thriller.

Inmitten des alljährlich stattfindenden Blutbads am Neuenburgersee steht „Djins“ da als Insel der Stille – oder besser gesagt: des stillen Schreckens. Der französische Film erinnert vor dem Hintergrund eines unverbrauchten Szenarios daran, dass auch die psychologische Ebene für einen Horror-Film genutzt werden kann – sogar zu einem richtig guten. Tatsächlich greift das Ettiket „Horror“ etwas zu kurz für das Erstlingswerk des Ehepaars Hugues und Sandra Martin: Gut eine Stunde lang versteht es sich als Renaissance des beinahe in Vergessenheit geratenen Genres des Wüstenkriegfilms, wo die Kargheit der Landschaft ebenso zum Feind wird wie die gegnerischen Soldaten.

Psychologische Kriegsführung als Horrortrip

Der Film spielt anno 1960 im südlichen Algerien, wo ein Trupp Franzosen ausgeschickt wird, um ein abgestürztes Flugzeug wiederzufinden. Das Flugzeug wird tatsächlich auch gefunden; doch ein Guerilla-Angriff sowie ein Sandsturm zwingen die Soldaten, in einem Wüstendorf Zuflucht zu nehmen. Bald schon stellt sich heraus, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht – geisterhafte Kreaturen, die der arabischen Mythologie entnommenen Djins, treiben die Soldaten in den Wahnsinn und in den Tod.

Für beinharte Gore- und Genre-Fans ist das allerdings kein Freudenfest: Zerfleischt wird hier niemand, stattdessen spielen die schattenhaften Kreaturen mit den Phobien, Schuldgefühlen und Rivalitäten der Soldaten. Das von Sandra Martin geschriebene Drehbuch macht aus der Schreckensnacht ein Kammerspiel, das mehr zu sagen hat über den Horror des Krieges und der explosiven Spannung des Zusammenlebens in einer Extremsituation als über die pittoreske Qualität von spritzendem Blut. Dank einer atmosphärischen Inszenierung und eines starken Ensemble – besonders Thierry Frémont als verhärmter Indochina-Veteran spielt gross auf – bleibt dies bis zum Schluss überaus spannend.

Die Qualitäten von „Djins“ sind vermutlich zu subtil, um sich unter den lauteren Kollegen im Wettbewerbs behaupten zu können – dessen ungeachtet ist es klar einer der besten bislang gezeigten Filme am NIFFF.

Sound of Silence

…und dann war da noch „Murderer“. Der Erstlingsfilm von Chow Hin Yeung Roy hat die vielleicht beste Anfangsminute der jüngeren Kinogeschichte. Er übertrifft selbst die schlimmsten Exponenten des unsäglichen Hollywood-Trends, die Farbpalette zu reduzieren auf nichts als grelles Orange und unterkühltes Blau. Er hangelt sich entlang an allen einschlägigen Gemeinplätzen des Hard boiled-Thrillers. Und Aaron Kwok war nie expressiver und lamoyanter als in der Rolle des Cops, der auf der Suche nach einem Serienkiller sein Gedächtnis verliert und bei der Ermittlung auf Hinweise stösst, dass er selbst der Mörder sein könnte.

murderer

Das alles hat, wie man irgendwann merkt, System. „Murderer“ ist nichts weniger als die logische Konsequenz und der nächste Stufe des Hong Kong-Thrillers, wie er seit „Infernal Affairs“ um die Welt gegangen ist. Dass er sich dabei sehr direkt an einer unwahrscheinlichen und fragwürdigen Inspirationsquelle bedient, wird durch das Resultat wettgemacht: Ein Film, der keine Erwartung erfüllt, aber alle übertrifft. Ein Debütwerk, das seinem Regisseur einen Platz in der Hall of Fame der Männer-mit-Mumm sichern dürfte. Ein Film, wie man ihn nur am NIFFF zu sehen bekommt. Allerdings auch ein Film, über den zu sprechen elend gefährlich ist. Darum belassen wir es hiermit: Anschauen. Einzigartig ist er mit Bestimmtheit, ob im Guten oder Schlechten darf jeder für sich selbst entscheiden.

Im Netz
Trailer zu „Djins“
Trailer zu „Murderer“

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