Christiane Neudecker: „Das siamesische Klavier. Unheimliche Geschichten“

Spannung? Ja. Gruseln? Nein.

Christiane Neudecker: „Das siamesische Klavier. Unheimliche Geschichten“

Ein sonderbares Klavier taucht mitten im Urwald auf. Jemand spielt Schach gegen einen Toten. Ein Freefighter bestreitet einen kaum gewinnbaren Kampf. Und sechs junge Mädchen rufen – aus Langeweile – Geister. Christiane Neudecker veröffentlicht in “Das siamesische Klavier” sieben Kurzgeschichten, welche inhaltlich wenig Neues bringen, aber trotzdem sehr spannend sind.

Von Andrea Müller-Schmuki.

siamesische klavierEin merkwürdiges Doppelklavier wird in einer verfallenen Villa im tiefsten Urwald gefunden; auf dem Bett daneben liegt das Skelett des ehemaligen Besitzers, das scheinbar anklagend auf das Instrument zeigt. Man soll es in einen Konzertsaal bringen, doch es kann nicht aus dem Urwald entfernt werden. Also wird ein Konzertsaal um das sonderbare Instrument herum gebaut. Dieses wird als siamesisches Klavier bezeichnet, ist also ein Klavier, das zwei Klaviaturen und zweimal die Pedale besitzt, jedoch nur einen Resonanzkörper, ähnlich dem Pleyel Double Grand Piano. Alle bewundern dieses eigenartige Musikinstrument – alle ausser einem: dem Erzähler. Der Ich-Erzähler dieser Kurzgeschichte fungiert als Notenumblätterer beim ersten Konzert, und ihm gefällt weder das Instrument noch das Spiel des Duos. Er hat eigene, ganz andere Pläne. Doch auch das Klavier scheint Pläne zu haben.

Kreativ?

Die sieben Kurzgeschichten sind thematisch sehr unterschiedlich, sodass die Autorin mit ihrem breiten Detailwissen beeindrucken kann. Dabei wirken die Geschichten thematisch überzeugend, gleichgültig ob es sich um die Beschreibung eines Freefights handelt, um die Technik des Klavierspiels oder um die Darstellung eines sehr speziellen Schachspiels. Dennoch: Das Gefühl, etwas wirklich Neues zu lesen, kommt in keiner der vorliegenden Kurzgeschichten auf. Immerzu erinnert es einen an schon einmal – oder gar an schon oft Dagewesenes. Auch fehlen unerwartete Wendungen, welche die Geschichten noch spannender gemacht hätten. So ist auch das Ende einer jeden Geschichte mehr oder weniger voraussehbar. Zugute zu halten ist Christiane Neudecker aber, dass sie auf gängige Klischees aus dem Horror- und Mysterygenre verzichtet. Genauso verzichtet sie jedoch auch weitgehend auf das Gruseln des Lesers.

Unheimlich?

Unheimliche Geschichten? Da denkt man an E.T.A. Hoffmanns “Sandmann”, an Edgar Allan Poes “Der Untergang des Hauses Usher” oder an Daphne du Mauriers “Die Vögel”. Mit diesen fantastischen Werken hat Christiane Neudeckers Kurzgeschichtensammlung “Das siamesische Klavier” nur wenig gemein. Zu keiner Zeit kommt ein Gefühl des Schauderns oder Grauens auf. Vielmehr erscheinen die Geschichten, besonders gegen ihr Ende hin, unsinnig oder einer etwas zu lebhaften Fantasie entsprungen zu sein. Dennoch ist das Buch – wenngleich es auch einige sprachlichen Schwächen enthält – zu empfehlen: Die einzelnen Geschichten haben zumeist einen guten Spannungsaufbau: Die Spannung steigert sich von etwas langatmigen – wenn auch durchaus poetischen – Beschreibungen zu Beginn bis zum Schluss fortwährend.

Christiane Neudeckers „unheimliche“ Kurzgeschichten sind spannend, jedoch weder geheimnisvoll, noch furchterregend oder beklemmend. Thematisch sind die Geschichten mässig kreativ, obwohl die Autorin auf gängige Klischees verzichtet.

Luchterhand
220 Seiten, CHF 31.90

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