„Wo die wilden Kerlen wohnen“ von Spike Jonze

Das Kind im Kerlpelz

„Wo die wilden Kerlen wohnen“ von Spike Jonze

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Maurice Sendaks „Where the Wild Things Are“ wurde trotz Skepsis und Kritik (von Erwachsenen) bald zu einem der grössten Bilderbuchklassiker aller Zeiten. Dass Spike Jonzes Verfilmung dasselbe Schicksal widerfährt, ist unwahrscheinlich – und das obwohl einen die wilden Kerle auch auf der Leinwand in ihren Bann ziehen.

Von Lukas Hunziker.

Die Verfilmung von Sendaks Bilderbuch, das bis heute weltweit über 19 Millionen mal verkauft worden ist, war eine Zangengeburt. Bereits Anfang der 90er Jahre gab es Pläne für eine Filmadaption, und Regisseur Spike Jonze wurde für das Projekt noch vor seinem Erfolg mit „Being John Malkovich“ engagiert. Doch aus der 385 Wörter langen Geschichte ein Drehbuch für einen abendfüllenden Spielfilm zu machen, erwies sich als gewaltige Herausforderung. TriStar Pictures stoppte die Arbeit an der Verfilmung schliesslich und erst 2004, als Warner Bros. das Projekt übernahm, kam der Stein ins Rollen. Jones und Sendak waren wieder mit an Bord und brachten „Where the Wild Things Are“ 2009 in die Kinos – 46 Jahre nachdem das Buch erschienen war.

Ein kleiner König mit einer grosser Aufgabe

Die Geschichte ist schnell erzählt: Der neunjährige Max ist noch ganz Kind und kann nicht verstehen, dass seine ältere Schwester plötzlich lieber mit ihren Freunden zusammen unterwegs ist, anstatt mit ihm zu spielen. Also versucht er seine Mutter als Spielkameradin zu gewinnen – dummerweise gerade dann, als diese einen neuen Mann kennengelernt hat und mit diesem allein sein möchte. Max, der nicht verstehen kann, warum seine Mutter wütend auf ihn ist, rennt aus dem Haus, rennt durchs Quartier, und landet schliesslich auf einem Boot, mit welchem er auf eine Insel zusegelt. Dort wohnen die wilden Kerle, starke, pelzige Kreaturen, die Max zu ihrem König krönen. Vor allem der temperamentvolle Carol, der bald zum Max‘ bestem Freund wird, erhofft sich von diesem, dass er die Konflikte zwischen den pelzigen Freunden lösen kann.

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Je mehr Zeit Max mit den wilden Kerlen verbringt, desto klarer wird, dass deren Konflikte genau jene sind, die in Max‘ Familie in letzter Zeit entstanden. Genauso wie Max nicht verstehen kann, was seine Schwester an ihren Freunden so toll findet, kann Carol nicht verstehen, warum seine beste Freundin KW (jep, die heisst so) lieber Zeit mit zwei Eulen verbringt als mit ihm und dem Rest der Clique. Die Reise zu den wilden Kerlen ist also eine Reise in Max‘ Pelz gewordene Gefühlswelt. Max wird als König dieser Welt die schwere Aufgabe zuteil, den Erwachsenen zu spielen, denn genau dafür haben ihn die Kerle zum König gemacht. Und Max weiss, wenn die Kerle einen König nicht mehr mögen, dann wird er gefressen.

Indiekino ist nichts für Kiddies

Wie einst Literaturkritiker das Kinderbuch, kritisierten Eltern und Erzieher beim Release des Films, dass die Geschichte der „Wilden Kerle“ zu furchteinflössend für Kinder sei. Die weitaus häufigere Reaktion von Kindern dürfte jedoch eine andere gewesen sein: Langeweile. Spike Jonzes Verfilmung ist nämlich weniger ein Film für Kinder, als vielmehr eine Art psychologisches Märchen über die widersprüchliche Gefühlswelt von Kindern. Die Handlung ist dünn, im Zentrum stehen viel mehr die eigenwilligen Persönlichkeiten der sieben Kerle und die verworrenen Beziehungen zwischen ihnen.

Da Kinder an Sendaks Bilderbuch vor allem die Kerle selbst und nicht die ohnehin kaum vorhandene Geschichte lieben, müsste der Film für sein jüngsten Publikum eigentlich ein voller Erfolg sein. Allerdings haben Kinder, ebenso wie Erwachsene, unterschiedliche Ansprüche an Literatur und Kino. Jonzes Film folgt nun mal nicht der Ästhetik und Dramaturgie von Disney, sondern ist wie seine bisherigen Produktionen ein Indiefilm – und Sechsjährige haben eher selten ein Flair für das Indiekino.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

„Wo die wilden Kerle wohnen“ ist ohne Zweifel eine gelungene und kompromisslose Adaption ganz im Geiste seiner Vorlage. Nur dass sich der Film nicht wirklich an Kinder richtet, sondern an Erwachsene, die schon verstehen, wer diese wilden Kerle denn sind. Dies scheint man in der Schweiz nicht verstanden zu haben, als man die Kinoversion vielerorts nur in deutscher Fassung im Vorabendprogramm zeigte: Hierzulande war das melancholische Märchen nur kurz auf der Leinwand zu sehen, da man es an Kinder zu vermarkten versuchte. Schade, aber immerhin können nun Erwachsene, welche beim Anblick einer selbstgebauten Festung immer noch glänzende Äuglein bekommen, den Film auf DVD erstehen.

Ausstattung der DVD

Diese hat abgesehen vom Hauptfilm aber nicht wirklich viel zu bieten. Die vier kurzen Features zeigen zwar amüsant die Stimmung am Set, auf dem es so viele Kinder hatte wie wohl noch nie in einem Studio, über die Adaption des Drehbuchs, die Erschaffung der wilden Kerle oder die Arbeit mit Sendak erfährt man aber leider nichts.


Seit dem 23. April 2010 im Handel.

Originaltitel: Where the Wild Things Are (USA 2009)
Darsteller: Max Records, Catherine Keener, James Gandolfini, Paul Dano, Catherine O’Hara, Forest Whitaker, Chris Cooper
Genre: Psychologisches Märchendrama
Dauer: 97 Minuten
Bildformat: 2.40:1
Sprache: Englisch, Deutsch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Portugiesisch, Spanisch, Deutsch und Englisch für Hörgeschädigte
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: 4 kurze Features zu den Dreharbeiten
Vertrieb: Warner

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Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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