Amélie Nothomb: „Der japanische Verlobte“

Zarte Bande, volle Wirkung

Amélie Nothomb: „Der japanische Verlobte“ (Roman)

Amélie Nothomb ist die erfolgreichste französischsprachige Autorin der Gegenwart. Mit Recht, wie auch ihr neuster, endlich in deutscher Sprache erschienener Roman beweist. In „Der japanische Verlobte“ gibt die Belgierin tiefe Einblicke in ihre eigene Geschichte: In ihre erste Liebe – die Liebe zu dem sensiblen Japaner Rinri, zu einer ihr aus der Kindheit bekannten und doch fremden Kultur und in die immerwährend tief im Innern schlummernde Sehnsucht nach der Heimat.

Von Fee Anabelle Riebeling.

derjapanischeverlobteEnde der 80er Jahre kehrt die 21-jährige Amélie in das Land ihrer Geburt zurück. Um in Japan heimisch zu werden und in Vorbereitung auf eine Festanstellung in einem japanischen Unternehmen macht sie sich auf die Suche nach einem Sprachpartner. Über eine Kontaktanzeige im Supermarkt lernt sie den jungen Rinri kennen. Doch statt wie geplant nur Vokabeln auszutauschen, kommt es bald zu ersten zaghaften Annäherungen. Aus dem Schüler wird bald Amélies japanischer Verlobter.

Statt sich in platten Platitüden zu verstricken, gelingt es der in Erinnerungen kramenden Autorin ihre Leser mit auf eine Reise in das wahre Asien zu nehmen. Auf eine Reise, die dank Nothombs zurückhaltender und doch intensiver Sprache tief in das Innerste des Landes, der Kultur und der Menschen eindringt. Im Wechsel zu Tode betrübt und Himmel hoch jauchzend und doch stets wie es scheint von einer neutralen Warte aus werden die Anfänge einer nicht ganz leichten Beziehung beschrieben. Der Leser fühlt nicht nur mit, nein, er scheint förmlich dieselbe Luft wie die Protagonistin zu atmen.

Der etwas andere Kulturführer

Dabei werden scheinbar nebensächliche Routinen im Tagesablauf in dieser 176-seitigen Erzählung zu wichtigen Markern. Während Amélie und Rinri einander in zunehmendem Masse entdecken, zeigen die ebenfalls ansteigenden kleineren und grösseren Meinungsverschiedenheiten des Liebespaars die kulturellen Unterschiede zwischen der asiatischen und der westlichen Welt auf. Und somit trifft hier Lovestory auf Kulturführer. Gemeinsam bilden die beiden eine Symbiose, der sich der Leser nur schwerlich entziehen kann.

Frei nach der berühmten Feststellung „Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft“ steht die Liaison der ungleichen Liebenden für das grosse Ganze. Intelligent und pointiert erzählt, weiss Amélie Nothomb auch über längere, im klassischen Sinne unspektakuläre Passagen, in denen der Tag nur so dahin plätschert, dem Leser etwas Neues  zu vermitteln. Und dies nachhaltig: Selbst als die Ich-Erzählerin schliesslich sehnsuchtsgetrieben vor Land und Liebe flieht, bleibt das Gelesene  präsent.

Amélie Nothomb gelingt mit „Der japanische Verlobte“ erneut ein grosser Wurf und untermauert mit dem aussergewöhnlichen Roman ihren guten Ruf. Ein Muss für Literaturliebhaber.


Titel: „Der japanische Verlobte“
Autorin: Amélie Nothomb
Übersetzerin: Brigitte Große
Verlag: Diogenes
Seiten: 176
Richtpreis: CHF 33.90

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