„Barfuss in Manhattan“ von Colin Beavan
Grün genug, ein Held zu sein
„Barfuss in Manhattan“ von Colin Beavan
Ist es möglich, in der Konsummetropole New York zu leben, ohne die Umwelt zu belasten? Colin Beavan, ein New Yorker Sachbuchautor und Blogger, gab sich ein Jahr, um diese Frage zu beantworten. Im November 2006 begann er ein Leben als „No Impact Man“ – und wurde damit zum Ökoheld der Vereinigten Staaten.
Von Lukas Hunziker.
Wie in Europa hat das Bewusstsein um den Klimawandel und die Erderwärmung in den letzten Jahren auch jenseits des Atlantiks stark zugenommen. Auf die Politik nahm die Erkenntnis, dass der enorme CO2-Ausstoss und Energieverbrauch mittelfristig in eine humanitäre Katastrophe führen wird, allerdings lange keinen Einfluss. Enttäuscht davon, dass Politik und Wirtschaft das Problem ignorierten, um ihre kurzfristigen und kurzsichtigen Ziele weiterverfolgen zu können, entschloss sich der New Yorker Autor und Familienvater Colin Beavan als leuchtendes Vorbild voranzugehen, indem er Pionierarbeit leistete. Ein Jahr lang wollte er mit seiner Familie versuchen, sein Leben zu leben, ohne dabei auch nur den geringsten Teil zum Klimawandel beizusteuern. Um seine Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen und dadurch das Bewusstsein für umweltverträgliches Leben zu steigern, führte er einen Blog. Dessen immenser Erfolg führte zum vorliegenden Buch, welches chronologisch von den Stationen seines Ökojahres erzählt.
No Garbage Man
Die erste Phase des Projekts „No Impact Man“ erforderte die Reduzierung von Abfall auf, na ja, Null. Was sich schon für uns nach einer kaum zu bewältigenden Herausforderung anhört, ist in New York aber noch eine Runde anspruchsvoller. Je nach Familie sind ein bis drei Mahlzeiten am Tag verpackte Take-Away Gerichte, Kaffee wird fast überall in Styroporbechern serviert, was immer man kauft, steckt in einer Verpackung, die man nicht recyceln kann. Colin und seine Frau Michelle vergrössern ihre Müllmenge zudem mit den Wegwerfwindeln ihrer Tochter Isabella, deren Anteil nicht zu unterschätzen ist: in den USA werden jährlich über 25 Milliarden Wegwerfwindeln verbraucht, was 4% des gesamten Hausmülls ausmacht. Der schlimmste Müll ist jedoch nach wie vor Plastik. Jährlich werden weltweit vier bis fünf Billionen Plastiktüten weggeworfen, was diese gleichzeitig zum meistbenutzten und meistweggeworfenen Konsumprodukt macht. Wie viele andere Plastikprodukte landen viele der Tüten im Meer, so dass heute ein Quadratkilometer Meerwasser rund 18’000 (teils natürlich winzig kleine) Plastikteile enthält.
Für Colin bedeutete dies, Tochter Isabella ab sofort nur noch in Stoffwindeln zu wickeln, einen Haushaltskompost anzuschaffen, nicht mehr auswärts zu essen und nur noch Nahrungsmittel einzukaufen, die nicht verpackt waren. Während der Windelwechsel erstaunlicherweise zeigte, dass Isabella sich wesentlich wohler fühlte ohne Pampers, und während das Take-Away Verbot nur bei Pizza und Kaffee wirklich weh tat, entpuppte sich die Verpackungsklausel als eine der grössten Herausforderungen des Projekts. Schon nur einen Laden zu finden, wo es beispielsweise Pasta zum selber Abpacken gibt, ist in New York keine einfache Aufgabe. Wenn man dennoch einen findet, ist das Problem aber auch nur halb gelöst, denn irgendwie muss man die Penne, die man sich aussucht, ja auch nach Hause bringen. Colins Lösung: Frischhaltegläser gleich in den Laden mitnehmen und die Transportverpackung damit komplett vermeiden. Dann bleibt nämlich nur noch ein Problem, der Transport.
No Emission Man
An Thanksgiving 2007 fuhren die Amerikaner weit über 30 Milliarden Autokilometer. Das neben Weihnachten grösste amerikanischen Fest verursacht einen CO2-Ausstoss, der den jährlichen Treibhausgasemissionen von Finnland und Irland zusammen entspricht. Klar also, dass Colin Thanksgiving – sehr zum Missfallen seiner Mutter – sausen liess, und statt dessen Zugkilometer für Weihnachten sparte. Der öffentliche Verkehr war für ihn und Michelle ebenso tabu wie das Taxi, New Yorks Verkehrsmittel Nummer Eins. Statt dessen wurde Fahrrad gefahren, oder in Michelles Fall, Tretroller. Als ultimatives Verkehrsmittel, welches auch das Einkaufen wesentlich einfacher macht, entpuppte sich aber die Rikscha.
Diese hat sich Beavan aber nicht etwas gekauft, sondern aus Gebrauchtteilen anfertigen lassen. In einer fortgeschrittenen Phase des Projekts galt es nämlich auch, nichts Neues zu kaufen, um etwas zur Rohstoffreduzierung der weltweiten Produktherstellung beizutragen. Wer glaubt, Secondhandshops und Brockenhäuser seien da die einzigen Lösungen, ist allerdings nicht mehr up to date; Tausch- und Geschenkbörsen für gebrauchte Produkte gibt es mittlerweise zu Hauf, wie z.B. freecycle.org. Die Änderung des Konsumverhaltens ist aber nicht nur deswegen eine der inspirierendsten Entscheide Beavans, sondern auch weil er hier die anregendsten Anekdoten zu erzählen weiss. Ein Fazit, welches er aus seinem Jahr ganz klar ziehen konnte, ist, dass zwischen Konsum und Glücklichsein kaum ein Zusammenhang besteht.
No Electricity Man
In der letzten Phase des Projekts wurde es in Colins und Michelles Wohnung dunkel. Da es nicht möglich war, Strom aus erneuerbaren Energien direkt in die Steckdose zu bekommen, entschied sich Colin auf Elektrizität zu verzichten. Das Licht ist dabei aber nicht das Hauptproblem, sondern der Kühlschrank. Zwar gibt es auch für diesen eine Ökovariante, bestehend aus zwei Tontöpfen und nassem Sand, doch so richtig funktionieren tat die nicht. Das erste, was Colin am Ende des Projekts daher tat, war, den Strom wieder anzuschalten.
100% umweltverträglich kann man in New York also nicht leben. Allerdings gibt es Möglichkeiten, sich bei der Natur für kleine Missetaten zu revanchieren. Wirklich als Ökoheld fühlte sich Colin erst, als er in gemeinnützigen Organisationen mithalf, Müll aus dem Hudson River fischte, Bäume pflegte und seine umweltpolitischen Ideen seinem Abgeordneten erzählte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits ein riesiges Publikum und erste Auftritte in den amerikanischen Medien.
No Toilet Paper Man
Der erste Bericht über Colin Beavan war allerdings nicht ganz so schmeichelhaft, wie er sich das wohl erhofft hatte. „Welcome to Walden Pond, Fifth Avenue style“, schrieb Penelope Green in ihrem Bericht in der „New York Times“, und versuchte eine Erklärung für das Phänomen radikal grüner Grossstädter zu geben. Weh tat vor allem der Vorwurf, das Projekt sei „negativ betrachtet eine ethisch fragwürdige Variante der Selbstdarstellung“, sowie der Titel: „Das Jahr ohne Klopapier“. Auch dieses musste im Rahmen der Müllreduzierung jener Variante des Hinternputzens Platz machen, welche die Mehrheit der nicht amerikanisch-europäischen Weltbevölkerung betreibt: sich den Hintern mit Wasser sauber machen. Obwohl dies nicht nur ökologischer, sondern auch effizienter ist, stürzten sich zahlreiche Reporter sensationshungrig immer wieder auf die Klopapierfrage.
Der Artikel in der „Times“ war aber erst der Anfang. Die Medien und das ganze grüne Amerika stürzten sich auf Colin Beavan und sein Experiment, sein Blog wurde überall im Land gelesen und er bekam zahlreiche Anfragen, Anregungen und Tipps. Das Buch, welches im Amerikanischen den (viel passenderen) Titel „No Impact Man“ trägt, war ein Erfolg, kurz darauf folgte der Film. Zwar war nichts, was der New Yorker während dem Jahr gemacht hatte, wirklich neu; Radfahrer, Müllvermeider, Markteinkäufer und Kühlschrankausschalter hatte es auch vor ihm gegeben. Alles auf einmal zu machen, und noch dazu in Manhattan – das war neu. Und heldenhaft.
(No) Preacher Man
„Barfuss in Manhattan“ erzählt amüsant und süffig von einem Experiment, vor dessen Konsequenz man tatsächlich den Hut ziehen muss. Glaubt man zu Beginn der Lektüre noch, Colin Beavan würde sich mit Recyceln und Sparlampen zufrieden geben, ist man bald erstaunt ob dem Mut des Autors, sein Leben so radikal umzukrempeln – wenn auch nur für ein Jahr. Die Mischung aus autobiographischem Erzählen, Reflektion über umweltpolitische Themen und erstaunlichen bis erschreckenden wissenschaftlichen Fakten ist gut gelungen und die beste Voraussetzung für eine breite Leserschaft. Beavan wählt seinen Ton geschickt und wird dank seinem persönlich-essayistischen Stil nie dogmatisch. Bis zum letzten Kapitel.
Die Erwartungen an dieses steigen während der Lektüre zunehmend. Wie viele Leser seines Blogs möchte man am Schluss wissen: was genau ist machbar, was nicht, was hat er nach Ablauf des Jahres beibehalten, worauf war es zu schwer zu verzichten? Die Antworten auf diese Fragen bleiben sehr vage. Statt dessen beginnt Beavan im letzten Kapitel mit dem, was er eigentlich eben nicht tun wollte: predigen. Die Zen-Meister Anekdoten, welche er dabei anführt, sind gut gemeint, aber um Teilnachahmer seines Projekts zu gewinnen, wäre ein konkretes, aussagekräftiges Fazit weit hilfreicher gewesen.
Nichtsdestotrotz ist „Barfuss in Manhattan“ ein Buch, das sich zu kaufen lohnt – und das nicht nur, weil die Druckfarbe aus nachwachsenden Rohstoffen produziert wurde, das Papier CO2-zertifiziert und die Einschweissfolie recyclebar ist. Viel mehr, weil es reich ist an Anregungen, wie man sein Leben umweltschonender gestalten und dabei seine Lebensqualität steigern kann. Wer nicht glaubt, dass Verzicht zu Glück führen kann, der sei zum Schluss nicht nur auf Zen-Meister, sondern auf die New Economics Foundation in London verwiesen. Diese hat Länder nach dem so genannten „Happy Planet Index“ (HPI) bewertet, welcher, einfach gesagt, das Glück und die ökologische Bilanz der Wirtschaft eines Landes misst. Von 178 waren 150 Länder sowohl ökologischer als auch deutlich glücklicher als die Amerikaner.
Kiepenheuer
256 Seiten, 39.90
Im Netz
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„No Impact Man“ Blog
Organisation „No Impact“
Artikel in der New York Times
Artikel in der FAZ