„Nostalghia“ von Andrej Tarkowskij
Wiederentdeckung der Langsamkeit
„Nostalghia“ von Andrej Tarkowskij
Der erste seiner zwei Filme, die Andrej Tarkowskij ausserhalb Russlands und in einer anderen Sprache drehte, erzählt vom komplexen Gefühl der Nostalgie, welche einen entwurzelten Russen in Italien nicht glücklich werden lässt.
Von Lukas Hunziker.
Als Andrej Tarkowskij 1982 Russland verliess, um in Italien seinen sechsten Film, „Nostalghia“, zu drehen, verliess er seine Heimat für immer. Das Filmedrehen in der UdSSR war zu mühsam für ihn geworden, trotz oder vielleicht sogar wegen des internationalen Erfolges. Mit „Nostalghia“ versuchte Tarkowskij einen Film über das Gefühl zu machen, welches er beim Verlassen seiner Heimat hatte. Einer italienischen Journalistin erklärte er 1983 in Cannes, mit „Nostalgie“ verbänden Russen kein zartes Gefühl wie die Italiener, für sie sei es viel mehr eine tödliche Krankheit. Dieses Gefühl verkörpert in „Nostalghia“ der russische Schriftsteller Andrej, den Tarkowskij selber als sein „alter ego“ bezeichnete, als sein „Porträt im Spiegel“.
Andrej, der Schriftsteller, begibt sich in Italien auf die Spur eines russischen Komponisten, der trotz seines Erfolgs in Italien nach Russland zurückkehrte, wo er Selbstmord beging. Seine Begleiterin und Dolmetscherin in Italien ist Eugenia, die einer Affäre mit ihm nicht abgeneigt wäre. Andrej jedoch ist melancholisch und Eugenia gegenüber ablehnend; er interessiert sich viel mehr für den alten Sonderling Domenico, welchem die beiden beim Besuch im Bagno Vignoni in der Toskana begegnen. Domenico gilt im Ort als verrückt, seit er sich und seine Familie sieben Jahre in einem Haus eingeschlossen hat, wo sie auf das Ende der Welt warteten. Verständnislos, dass Andrej sie zurückweist und seine Zeit mit einem wirr philosophierenden Verrückten verbringt, reist Eugenia zurück nach Rom, wo es einige Zeit später zu einem erschütternden Wiedersehen zwischen ihr und Dominco kommt.
Ein Gefühl in Bildern
Obwohl der Film in Italien spielt, bezeichnete Tarkowskij „Nostalghia“ als seinen „russischsten Film“. Tatsächlich ist dem Protagonisten Andrej seine Heimat immer präsent, und die Handlung wird immer wieder von in Sepiatönen gehaltenen Rückblenden unterbrochen, welche Bilder seiner Kindheit zeigen. In der letzten und wohl einprägsamsten Szene des Films verschmilzt die Szenerie dieser Erinnerungen mit der Ruine der Abbazia San Galgano, einer Kirchenruine in der Toskana. Diese letzte Einstellung spricht für sich: wo immer Andrej hingeht, seiner Heimat wird immer Russland bleiben.
Die Handlung ist in „Nostalghia“ sekundär, das Gefühl der Nostalgie steht im Zentrum. Wiedergegeben wird dieses vor allem über die Schauplätze des Films, vorwiegend Ruinen, welche gleichzeitig unglaublich schön wirken und dabei die Heimatlosigkeit der darin agierenden Figuren eindrücklich unterstreichen. Dass Tarkowski „Nostalghia“ als jenen Film bezeichnete, der ihm am besten gelungen war, ist kein Zufall: „Nostalghia“ versammelt fast alle Stilelemente, für welche der Regisseur bekannt ist: tropfendes Wasser, Regen in Innenräumen, Feuer, Spiegel und endlose, langsame Kamerafahrten.
Solche gibt es eine ganze Menge, passend zum extrem langsamen Erzähltempo des Films. Auf dieses muss man sich einlassen, wenn man „Nostalghia“ geniessen will. Tarkowskij ist ein langsamer Erzähler, doch die sorgfältige Komposition jeder einzelnen Einstellung entschädigen einen mehr als genug für diese Langsamkeit.
Ausstattung der DVD
Die bei Praesens Films erschienene DVD enthält den 90minütigen Dokumentarfilm „Meeting Andrej Tarkowskij“ vom russisch-amerikanischen Jungregisseur Dmitry Trakovsky, der sich anlässlich des 20. Todestages seines Lieblingsregisseurs auf dessen Spuren in Europa begab. Auf seiner Reise interviewt er unter anderem auch Domiziana Giordano, welche Eugenia spielt, sowie Erland Josephson, dem Darsteller von Dominico in „Nostalghia“ und Alexander in Tarkowskijs letztem Film „Offret“. Die Dokumentation ist für Tarkowskijfans sehr interessant, wer sich mit dem Werk des Regisseurs jedoch noch nicht so auskennt, wird sich eher verloren vorkommen.
Seit dem 30. April 2010 im Handel.
Originaltitel: Nostalghia (Italien, UdSSR 1983)
Regie: Andrej Tarkowskij
Darsteller: Oleg Yankovsky, Domiziana Giordano, Erland Josephson
Genre: Drama
Dauer: 121 Minuten
Bildformat: 1.66:1
Sprache: Italienisch, Deutsch
Untertitel: Deutsch
Audio: Dolby Digital 2.0
Bonusmaterial: Dokumentarfilm „Meeting Andrej Tarkowskij“
Vertrieb: Prasesens Film
Im Netz
Tarkowskij Information Site