„Nach dir die Sintflut“ von Andrew Kaufman
Anders als alles andere
„Nach dir die Sintflut“ von Andrew Kaufman
Normal ist anders: Rebecca kann ihre Gefühle vor niemandem verbergen, ihr Schwager Lewis erblindet nach dem Tod seiner Frau und Aberystwyths Haut schimmert grün, aber für eine Aquatikerin wie „Aby“ ist das ja Alltag. Gemeinsam haben die drei Protagonisten wirklich rein gar nichts. Trotzdem kreuzen sich schliesslich ihre Lebenswege. Die Reise zu diesem Ziel ist abgründig, abgedreht und einfach wunderschön.
Von Fee Anabelle Riebeling.
Die Handlung ist viel zu komplex, als dass man sie in nur wenige Worte fassen könnte. Selbst der begabteste Schreiber würde auch nach vielen Stunden der Sprachpfeilerei „Nach dir die Sintflut“ niemals gerecht werden können. Autor Andrew Kaufman, der bereits mit seinem Debütroman weltweit für entzücktes Raunen unter den Literaturkritikern gesorgt hat, ist ein zweites fesselndes Meisterwerk gelungen.
Wie er auch im richtigen Leben seine Jobs als Autor, Filmemacher und Radioproduzent erfolgreich und mühelos unter einen Hut bringt, schafft er es mit erfrischender Leichtigkeit bizarre Charaktere, schräge Szenerien, Menschen und fantastische Lebewesen miteinander zu verbinden und dabei trotzdem glaubwürdig zu bleiben – egal wie absurd die einzelnen Erzählstränge auch sein mögen. Zwischen den Zeilen werden hier ernste Aussagen transportiert.
Absolute Suchtgefahr
Andrew Kaufman verbindet auf geradezu kafkaeske Weise realistische Passagen mit fantastischen Darstellungen und zaubert so eine ungewohnt sinnliche Welt, ganz ohne dabei kitschig zu wirken. Aby, die junge Frau vom Volk der Aquatics, den Menschen ähnliche, aber unter Wasser lebende Wesen, ist das alles miteinander verbindende Glied. Die Schilderung, wie sie das Leben derjenigen, denen sie begegnet, durcheinander bringt, berührt und zieht den Leser augenblicklich an. Ein Entkommen ist kaum mehr möglich.
Wer „Nach dir die Sintflut“ in die Finger nimmt, wird fortan von Zweifeln geplagt: Weiterlesen, obwohl einem beinahe die Augen zu fallen, oder eine Pause einlegen, um das auf Seite 288 drohende Ende hinauszuzögern? Der Roman ist eine aussergewöhnliche Familien- und Liebesgeschichte über den Zwiespalt zwischen Loslassen und Halten. Ein Buch, welches beweist, dass es durchaus lohnt, mit Konventionen zu brechen und dem Herzen zu folgen.
Nach dem Regen folgt immer Sonnenschein
Wir begegnen Rebecca, Lewis und Aberystwyth an einem Tiefpunkt in ihrem Leben. Während die jedermann ihre Emotionen mitteilende Rebecca nach dem Tod ihrer Schwester keine Trauer oder ein anderes Gefühl verspürt und dadurch aus der Bahn geworfen wird, verliert Lewis erst den Seh-, dann den Hörsinn. Aby hingegen ahnt einen drohenden Verlust und entsteigt ihrer nassen Umgebung, um in der menschlichen Welt ihre Mutter zu finden, die vor vielen Jahren „entwässert“ und die Tochter im Meer zurück gelassen hat.
„Nach dir die Sintflut“ ist ein herzergreifender Roman mit einem – man mag es kaum glauben – Happy End, das selbst die kritischsten Leser mit einem guten, wenn auch durchgeschüttelten Gefühl zurücklässt.
Sie müssen mir das nicht glauben, denn wie gesagt: Keine Besprechung wird dem Buch gerecht.
Luchterhand Literaturverlag
288 Seiten, ca. CHF 16.90