Rebecca Goldstein: „36 Argumente für die Existenz Gottes“
Der lange Weg des grossen Zweiflers
Rebecca Goldstein: „36 Argumente für die Existenz Gottes“ (Roman)
Gibt es einen Gott? Dieser Frage widmet nicht nur Rebecca Goldsteins Hauptfigur ihr Leben, sondern die Schriftstellerin auch ihren Roman. Wie der Religionspsychologe Cass Seltzer dabei vorgeht, welche Hürden und Zweifel er bei seiner Suche überwinden muss und was dabei herauskommt, ist in dieser delikaten Mischung zwischen Roman und philosophischer Abhandlung nachzulesen.
Von Lisa Letnansky.
Zu Beginn des Romans steht Cass in einer eisigen Nacht auf einer Brücke, schaut auf die Stadt hinaus und sinniert über den Wandel, den sein Leben unlängst erfahren hat. Dieses Leben hat er der Erforschung religiöser Erfahrung gewidmet, vor allem jenen Erfahrungen, die mit der Religion selbst nicht mehr viel zu tun haben. Die Frage einer attraktiven Kollegin, was ein Religionspsychologe überhaupt mache, hat ihn ins Schleudern und zum Nachdenken gebracht, woraus dann sein mittlerweile viel gerühmtes Werk „Die Vielfalt religiöser Illusion“ entstand. Was das Buch und mit ihm Cass aber so berühmt gemacht hat, ist vor allem der Anhang, in dem 36 Argumente für die Existenz Gottes mitsamt Widerlegungen aufgelistet sind. Auf einmal kriegt der früher eher belächelte Cass nicht nur Einladungen an Streitgespräche mit berühmten Persönlichkeiten, es folgt auch bald der Ruf nach Harvard.
Das unterdrückte Wunderkind
Um zu begreifen, wie es zu seiner gegenwärtigen Situation kam, muss Cass seine Vergangenheit Revue passieren lassen. Sein Weg begann, nach einem kurzen Auftritt als Medizinstudent, bei einem gewissen Professor Jonas Elijah Klapper, einem eigensinnigen, seltsamen und sehr autoritären Professor, der von den Studenten entweder gehasst oder verehrt wird, und bei dem noch nie jemand seine Dissertation abgeschlossen hat. Die Begegnung mit diesem Professor und die Vergangenheit seiner eigenen Mutter führen ihn schliesslich in ein kleines amerikanisches Schtetl namens New Walden, wo streng gläubige orthodoxe Juden ein abgeschirmtes, scheinbar harmonisches Leben führen. Eigentlich verbindet Cass nichts mehr mit diesem Teil seiner familiären Vergangenheit, doch der Sohn des dort ansässigen Rebbe zieht sein Interesse auf sich und spielt schliesslich eine wichtige Rolle für seine Zukunft. Dieser zum Nachfolger seines Vaters bestimmte kleine Junge, Azarya genannt, ist nämlich das Paradebeispiel eines Wunderkinds, dessen Fähigkeiten nicht gefördert werden. „Seinen eigenen Platz im Stammbaum kannte er genau. Aber er wusste nicht, dass das Land, in dem er lebte, Vereinigte Staaten von Amerika hiess.“ Azarya zu fördern und ihn dabei zu unterstützen, von dieser gut behüteten, aber naiv unwissenden Gemeinschaft wegzukommen, ist Cass zukünftig ein grosses Anliegen und führt ihn schliesslich weg von Professor Klapper auf seinen eigenen Weg.
Die Stiftung Unsterblichkeit
Trotz dieser potentiell interessanten Ausgangslage bleibt das Lesen des Romans aber eine anstrengende Sache. Dies liegt einerseits sicher daran, dass sowohl die Hauptfigur als auch die anderen Figuren bis zum Schluss nur Figuren bleiben. Mit wenigen Sätzen sind ihre Charaktere umrissen, die meisten Personen sind stereotyp gezeichnet und in irgendeiner Weise ausgefallen. Cass selbst ist der personifizierte Zweifel, Professor Klapper hat einen Genie- und einen Mutterkomplex, Azarya ist ein Wunderkind, Cass’ Freundin Lucinda eine egoistische Karrierefrau. Nur Cass’ Jugendfreundin Roz bringt etwas Leben in die Geschichte. Nachdem sie einige Jahre als Anthropologin bei einem kleinen Stamm im Südamazonas verbracht hat (der übrigens immer wieder mit der kleinen Gemeinschaft im Schtetl verglichen wird), hat sie das Ziel gefasst, Unsterblichkeit für sich und die Menschheit zu erlangen. Mit ihren wissenschaftlichen Kollegen der Stiftung Unsterblichkeit versucht sie, das Altern aufzuhalten. Ihre Schlagwörter sind auch mithin das Komischste am Roman: „Altern ist einfach barbarisch. Vergleichbar mit Beulenpest.“ „Jeder, der unter fünfhundert Jahren stirbt, stirbt zu früh.“ Und schliesslich: „Wenn wir uns nicht der Beseitigung von unnötigem Sterben widmen, ist das gleichbedeutend mit Beihilfe zum Mord!“
Theorie und Praxis
Dennoch: Roz lockert die ganze Geschichte zwar etwas auf, das Lesen ist und bleibt aber ein strapazierendes Unterfangen. Die zum Teil doch sehr akademische Sprache, die ellenlangen Abschweifungen über philosophische Grundfragen und seitenlange Schachtelsätze tragen nicht gerade zur Spannung bei. Manche Passagen wirken gar wie perfekte Beispiele dafür, wie man mit möglichst vielen Worten (am besten Fremdwörtern) möglichst wenig ausdrückt. Und auch die 36 Argumente, die auch diesem Buch als Anhang dienen, erfüllen die Erwartungen nicht, denn den ultimativen Beweis für die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes findet der Leser natürlich auch hier nicht. Das meiste hat man schon irgendwo gehört oder wäre auch selbst darauf gekommen. Einen Gläubigen bringen die Widerlegungen wohl eher nicht zum zweifeln, aber einen Zweifler überzeugen sie auch nicht. Dennoch sind sie eine nette Zusammenfassung der Pro- und Kontra-Beweisführung und als solche zum gelegentlichen Schmökern recht unterhaltsam.
Was bleibt, ist ein langer Roman mit einer kurzen, aber amüsanten Geschichte voller Skurrilitäten des Alltags, aber mit zu grossem Schwerpunkt auf der Theorie.
Karl Blessing Verlag
560 Seiten, ca. CHF 39.90