Niwagekidan Penino „Frustrierendes Bilderbuch für Erwachsene“ | Theater Spektakel Zürich, Landiwiese
Alles nur ein Traum
Niwagekidan Penino „Frustrierendes Bilderbuch für Erwachsene“ | Theater Spektakel Zürich, Landiwiese

Mit ihrem „Frustrierenden Bilderbuch für Erwachsene“ bringt die Theatergruppe Niwagekidan Penino am diesjährigen Theaterspektakel ein verstörendes Albtraumspiel auf die Bühne, das den Zuschauer so schnell nicht mehr loslässt.
Zu Beginn des Stücks ist es erst mal einige Sekunden lang stockdunkel in der Aktionshalle der Roten Fabrik. Man hört, wie jemand auf die Bühne kommt, aber erst als die Person eine Deckenlampe langsam heller dreht, kann man sie und das Bühnenbild um sie herum allmählich sehen. Wie in einem Traum werden die Umrisse nur langsam erkennbar. Und traumähnlich ist auch das Bild, das sich einem bietet. In einem sehr niedrigen Raum aus Holz, mit kleinen, von aussen mit Pflanzen zugewachsenen Fensterchen an der hinteren Wand, wächst ein abgeschnittener Baumstamm mitten aus dem Boden und ein gleicher aus der Decke in das Zimmer. Zwei niedrige Stühle stehen in den Ecken. Die Gestalt auf der Bühne ist in schwarze Tücher gehüllt und trägt einen merkwürdigen, den Hinterkopf verlängernden Hut. Es handelt sich um eine Frau, aber ob sie so gebückt geht, weil sie alt ist, oder weil die Decke so niedrig ist, bleibt unklar.
Baummilch gewinnende Tierfrauen
Bald kommt eine zweite Frau hinzu, die diesmal einem Schwein ähnlich sieht. Jeder scheint einer der Baumstämme zu gehören; aus diesen gewinnen sie eine weisse Flüssigkeit, die sie ihrer Milch beimischen, um jedesmal eine andere Geschmacksrichtung zu erhalten. Sie leben zurückgezogen und verbringen ihren gesamten Alltag damit, ihre Bäume zu pflegen und mit einander zu diskutieren, ob Bootsverleiher ein gewinneinbringender und angenehmer Beruf ist. Diese Szenen wirken wie Episoden aus einem Traum, die Handlungen der beiden Frauen scheinen sinnvoll und gleichzeitig grotesk und absurd. Der beengende Raum und einige unheimlich anmutende Zwischenfälle tun dabei ihr Übriges.
Die Welt unter der Hütte
Im zweiten Akt erhält die Geschichte eine Wendung. Unter dem Haus der beiden Frauen liegt ein gefesselter Student, der anscheinend eingeschlafen und hier wieder aufgewacht ist. Der „Gulliver-Mann“ sieht sich von einer Miniaturlandschaft umgeben, mit Bergen, kleinen Häusern und Bäumchen, und sogar einer Dampfeisenbahn, die um ihn herum ihre Runden zieht. Der Student ist verzweifelt, müsste er doch eigentlich für seine Aufnahmeprüfungen lernen, kann sich aber von seinen Fesseln nicht befreien. Schliesslich macht er sich den beiden Frauen bemerkbar, die ihn gütig bei sich aufnehmen, ihm zu essen machen und langsam ihren Gefallen an ihm finden.
Der Regisseur und Psychiater
Für den Student geht aber der Albtraum erst los. Eine skurrile Szene reiht sich an die andere und seine Stimmung schwankt zwischen Akzeptanz, Wohlbefinden, Angst und hysterischer Verzweiflung. Das Albtraumhafte an diesem „frustrierenden Bilderbuch für Erwachsene“ ist unübersehbar, und aus dem Infozettel, das vor Beginn des Stücks auf allen Stühlen ausgelegt war, geht hervor, dass genau dies die Absicht des 1976 geborenen Regisseurs Kuro Tanino war. Tanino ist nur nebenberuflich Regisseur und Theatermensch, tagsüber geht er seinem Beruf als Psychiater nach. „Das Stück ist der wahre Traum eines 18-jährigen Patienten, den ich als Psychiater in einer Klinik getroffen habe“ erfährt der Zuschauer. Diesem Traum versuchte er möglichst objektiv nachzuempfinden, was ihm hervorragend gelang.
Uchida meets Freud
Das fantastische, bedrückende Bühnenbild, das von Stimmungsschwankungen und grotesken Eingaben geprägte Spiel der Schauspieler lassen den Traum real erscheinen und dennoch traumhaft bleiben. Die unzähligen Anspielungen an die Psychoanalyse, vom männlichen Geschlechtsorgan, das in einen Baumstamm übergeht, bis zum immer wieder auftauchenden Wunsch, seine Mutter zu sehen, stammen wohl eher vom Psychiater Tanino, als vom jungen Patienten, haben aber durchaus nicht die Wirkung eines Fremdkörpers im Stück. Eher könnte man vermuten, dass sich Hyakken Uchida, der Grossmeister der japanischen fantastischen Literatur, mit Sigmund Freud einmal zusammengesetzt hat und man nun das Ergebnis dieses Treffens erblickt.
Nach einer Stunde ist der ganze Zauber vorbei, nach einigen Sekunden der Dunkelheit herrscht wieder Licht in der Aktionshalle. Die gesehenen Bilder werden dem Zuschauer aber wohl noch einige Tage lang im Kopf herumspuken.
Besprechung der Aufführung am 21. August 2010
Weitere Vorstellungen am 22. bis 24. August 2010
Besetzung
Prüfungsvorbereitender Schüler: Ikuma Yamada
Frau ähnlich einem Schaf: Taeko Seguchi
Frau ähnlich einem Schwein: Momoi Shimada
Anderer prüfungsvorbereitender Schüler: Mame Yamada
Regie: Kuro Tanino
Dauer: 60 Minuten
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