Mass & Fieber „Geld und Gott. Superhelden-Komödie nach Dante“ | Theater Spektakel Zürich, Landiwiese

Something is happening here…

Mass & Fieber „Geld und Gott. Superhelden-Komödie nach Dante“ | Theater Spektakel Zürich, Landiwiese

Bild|Copyright: Zürcher Theater Spektakel | Christian Altorfer
Bild|Copyright: Zürcher Theater Spektakel | Christian Altorfer

Mass & Fiebers Aufführungen von „Geld und Gott“ am Zürcher Theaterspektakel waren im Nu ausverkauft. Alle wollten sehen, wie der Madoffschen Finanz- und Kapitalismuswelt der Spiegel vorgehalten wird. Dieser Spiegel ist bunt, ideenreich, fantasievoll – und lebt trotz der Länge des Abends von einem toughen, singstarken Schauspielteam.

Es war eine der sehnlichst erwarteten Inszenierungen des diesjährigen Zürcher Theater Spektakels. Mass & Fieber, der Zürcher „Verein zur Förderung von anonymen Fiktionen, Kunstspielereien und Vernetzungen aller Art“ um Regisseur Niklaus Helbling und Musiker Martin Gantenbein, hat sich mit Inszenierungen wie  „Bambifikation“ (1999) oder „Houdini“ (2006/2007) als grosser Geschichtenerzähler einen Theaternamen gemacht. Die Gruppe sagt von sich selbst, sie sei zwar nicht gegen die „einfachen Geschichten“, aber sie wolle diese „einfach nicht erzählen. Sie entsprechen nicht der Welt wie wir sie wahrnehmen. Unsere Welt ist eine der Assoziation, der Informationsflut, der unsichtbaren Netze zwischen Bildern, Texten, Körpern, Klängen.“ Auch „Geld und Gott“ ist keine einfache Geschichte und vernetzt sehr viel sehr dicht miteinander – nichts Geringeres als Geld, Gott und die Hölle, als die Kritik am globalen Finanz- und Kapitalismussystem und der völligen Selbstüberschätzung derer Protagonisten. Alles schon mal gesehen und gehört, in letzter Zeit? Mit Sicherheit nicht in der Form, wie von Mass & Fieber dargestellt.

Bild | Copyright: Zürcher Theater Spektakel | Christian Altorfer
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Bessere und schlechtere Welt
Da gibt es zum Beispiel Juan, ein melancholischer lonesome Cowboy in zu grossen Kleidern (Miguel Abrantes Ostrowski), der aus Resignation Omelettenkoch geworden ist: „Ich hatte mein Physikstudium abgebrochen, weil mir der Glaube an die Mathematik abhanden gekommen war.“ Dantes „Divina Commedia“ wird zitiert, wenn Juan von einem „Mann, der aussah wie Bob Dylan“, durchs kapitalistische Inferno der Finanzhaie geleitet wird. Sein Freund, der Stuntman Horst, stürzt sich aus dem Fenster des Gotham Palace-Hotel; Gotham City, Metropole des DC-Universums, Metapher für New York, Heimat Batmans -und Dreh- und Umschlagplatz des Supermarktgiganten Otto Gott (ebenfalls Miguel Abrantes Ostrowski).  Juan und „Bob Dylan“ werden irgendwann zu Kidnappern des ausbeuterischen Kotzbrockens Otto Gott, unterstützt von einer Polizistin am Rande des Nervenzusammenbruchs (Nicole Steiner), von der naiven Schauspielerin Betty (Mareike Sedl) und dem Looser-Anwalt Max (Sivester von Hösslin), der das schlüpfrigen Geld einer reichen Genfer Witwe (sehr hübsch überzeichnet à la française von Nicole Steiner) an irgendeinen Enzo übergeben soll und womit irgendwie Libyen geschadet werden soll: Der Gaddafi-Skandal brachte ihr „die Lust, böse zu sein.“ Mit Geld will sie „die Welt zu einem besseren Ort machen“, und mit Geld macht Otto Gott die Welt zu einer schlechteren. Die Paradoxie dessen zeigt sich in den schnellen Wechseln und in der gewagten Mischung aus Comic-, Musical-, Film Noir-Parodie gewagt – aber es funktioniert.

Bild | Copyright: Zürcher Theater Spektakel | Christian Altorfer
Bild | Copyright: Zürcher Theater Spektakel | Christian Altorfer

Text, Musik und Video als Rahmen
„Something is happening here, but you don’t know, what it is, do you“, diese Liedzeile zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend und zeigt die Ohnmacht uns aller demgegenüber, was tagtäglich in den Finanzmärkten ablauft. Auf der nach oben auslaufenden, begehbaren Bühne von Dirk Thiele wissen die Figuren meist nicht, wie ihnen geschieht. Videoprojektionen auf Bühne und Bildschirme schmeicheln sich ins Ganze ein, und die singstarken Schauspielerinnen und Schauspieler haben eine wahrhafte tour de force zu absolvieren, machen dies aber alle sehr tough, sehr überzeugend, sehr souverän. Zusammen mit dem erneut starken Text der Helblings bildet die Musik und die Video- und Lichtkunst den soliden Rahmen: „Es war unsere Stadt, gebaut aus deren, die liegen geblieben waren“, oder „Der Boden war mit einer dünnen Schicht scheisse bedeckt, sah aber aus wie Mahagony“ sind nur zwei Beispiele dafür. Natürlich sind auch Seitenhiebe wie „der Ackermann aus Böhmen“ sehr charmant.

Es ist schier unmöglich, diesen vollen Abend adäquat zu beschreiben und alles, was auf dieser Bühne geschieht, sollte im Oktober und November im Theater Rigiblick oder im Dezember in Mühlheim entdeckt werden.


Besprechung der Aufführung vom 20. August 2010.

Weitere Aufführungen am 1. und 2. Oktober sowie am 3., 4. und 5. November 2010 im Theater Rigiblick Zürich, und am 17. und 18. Dezember 2010 im Ringlokschuppen Mühlheim.

Besetzung
Schauspiel: Nicole Steiner, Mareike Sedl, Miguel Abrantes Ostrowski, Martin Gantenbein, Silvester von Hössli

Text: Brigitte Helbling, Niklaus Helbling
Regie: Niklaus Helbling
Musik: Martin Gantenbein
Bühnenbild: Dirk Thiele
Video: Elke Auer
Kostüme: Judith Steinmann
Licht: Björn Salzer
Ton: Mike Hasler
Artwork: Thomas Rhyner
Maske: Salome Bigler
Technik: Peter Affentranger
Regieassistenz: Katharina Wiss
Hospitanz: Aydin Alinejad

Dauer: ca. 120 Minuten. Keine Pause.

Im Netz
www.theaterspektakel.ch
www.massundfieber.ch

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