Manu Chao war der Erste, der zu mir sagte: „Die Welt muss deine Songs hören!“
Manu Chao war der Erste, der zu mir sagte: „Die Welt muss deine Songs hören!“

Interview Amparo Sánchez, 26.8.2010
nahaufnahmen.ch traf sich mit der sympathischen und unkomplizierten Amparo Sanchez nach ihrem Konzert am Theaterspektakel zum Interview. Ein Gespräch über ihre neue Platte „Tucson-Havana“, die Zapatistenbewegung, Manu Chao und Billie Holiday.
nahaufnahmen.ch: Nach den unzähligen Party-Konzerten, die du mit Amparanoia gefeiert hast, bist du nun ruhiger geworden, die Musik ist melancholischer, die Zuschauer sitzen. Wie erlebst du diesen Wandel?
Amparo Sánchez: Ich denke es ist ein Teil meines persönlichen Prozesses, den ich einfach nötig hatte. Ich kam mit Amparanoia an einen Punkt, an dem ich ungemein Spass hatte, doch schon mit dem letzten Album „la vida te da“ fühlte ich das Bedürfnis wieder zurückzukehren zum Akustischen. Wieder mehr mit meiner Stimme zu kommunizieren. In der Weise, wie alles für mich begonnen hat. Irgendwie war ich wohl etwas müde vom ständigen Animieren der Leute, um 3 Uhr morgens wenn alle besoffen sind. Deshalb kam für mich der Moment wo ich etwas verändern musste. „Tucson-Havana“ war eine Reise, die mir —abgesehen vom Aufnehmen des neuen Albums — auch geholfen hat, mich selber zu entdecken und mir neue Ziele zu setzen. Ich bin sehr dankbar, dass ich mir die Möglichkeit gegeben habe, ein Genre, einen Stil zu verabschieden und die Leute auf eine andere Weise zu packen. Mit dem, was ich momentan fühle.
nahaufnahmen.ch: Das letzte Mal als ich dich sah, standest du in Barcelona mit Tränen in den Augen auf der Bühne, während deinem Abschiedskonzert mit Amparanoia. Wie haben deine letzten beiden Jahre ausgesehen und wie kam es zu der Kollaboration mit den Jungs von Calexico?
Amparo Sánchez: Nun die Jungs von Calexico kenne ich schon seit 2002 und meinem Album „Enchilao“, das aus dem Amparaoina-Universum etwas herausstach. Es war elektronischer und einfach anders als unsere früheren Alben. Joey Burns und John Convertino von Calexico hörten dieses Album und verliebten sich in meine Stimme. Dann luden sie mich ein mit ihnen ein Konzert in Rotterdam zu spielen. Ich kannte den Song „Crystal Frontier“ von Calexico und sie schienen eine Band zu sein mit einem grossen mexikanischen Einfluss, was mich musikalisch sehr ansprach. Also nahm ich die Einladung an und vom ersten Moment an stimmte die Chemie zwischen uns. Und so haben wir seit 2002 immer wieder zusammengearbeitet, auf Alben von ihnen oder von mir. Wir haben zusammen Konzerte gespielt. Dann habe ich 2006 und 2007 eine Reihe von Songs aufgenommen, die sich deutlich vom Vibe Amparanoias unterschieden. Ich traute mich sie John und Joey zu zeigen. Sie meinten, dass die Songs anders waren, traurig und ehrlich, aber gleichzeitig sei es auch nötig diese Gefühle zu vermitteln und falls ich diese Songs eines Tages aufnehmen wolle, dann möchten sie dabei sein. So ging die Zeit vorbei, ich traf die Entscheidung mit Amparanoia abzuschließen und ging Ende 2007 nach Tucson, Arizona, um mit Calexico einige Songs aufzunehmen. Nichts für ein Album, einfach so. Die Erfahrung gefiel mir sehr und so luden sie mich Ende 2008, nachdem die letzte Tour mit Amparanoia zu Ende war, ein weiteres Mal nach Tucson ein. Und ich lud sie ein mit mir nach Havanna zu kommen. Darum heisst das Album ja auch Tucson-Havana. Es sind die beiden Orte wo die Musik aufgenommen wurde, und auch die beiden Orte, welche das Album beeinflußt haben.
nahaufnahmen.ch: Die Idee mit Havanna hattest du also schon vorher?
Amparo Sánchez: Am Tag an dem ich Calexico kennenlernte, sagte ich ihnen: „Eines Tages müssen wir in die EGREM-Studios in Havanna.“ Uns allen gefiel das Album „Buena Vista Social Club“ sehr gut und so kam es, dass ich 2009, als sie mich ein weiteres Mal nach Tucson einluden, sagte, „Nein, wir gehen jetzt zusammen nach Havanna und nehmen den zweiten Teil dort auf!“ (lacht).
nahaufnahmen.ch: Und wie war es in den mythischen EGREM-Studios?
Amparo Sánchez: Nun für sie als Amerikaner war es natürlich ein Tabu nach Kuba zu gehen und dazu noch verboten. Doch wir gingen so oder so hin. Der erste Traum von ihnen war also erfüllt. Wir waren in Kuba. Der zweite war das EGREM-Studio, wo schon so viele wichtige Musiker der lateinamerikanischen Welt seit den 1950ern Songs aufgenommen haben. Da waren wir also im gleichen Studio 101, im gleichen Saal, das war sehr ergreifend. Was wir in Tucson aufgenommen hatten, gefiel uns sehr und so wollten wir in Havanna daran anschliessen. So hatten wir ein super Gefühl, es war eine Entdeckungsreise, sowohl auf persönlicher als auch auf musikalischer Ebene. Und dann natürlich das Geschenk Omara Portuondo auf der Platte zu haben, die uns besuchte und mit uns einen Song („La parrandita de las Santas“ Anm. d. Red.) aufgenommen hat.
nahaufnahmen.ch: Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit mit Omara Portuondo?
Amparo Sánchez: Ich bin ein grosser Fan von Omara und traute mich, sie einzuladen, da ich sehr gerne ein Lied mit ihr aufnehmen wollte. Und sie ist dann tatsächlich gekommen. Ihr gefiel meine Stimme und auch der Song, also ist sie gekommen. Sie war sehr natürlich und für mich war es immer ein Traum mit ihr zu arbeiten und dann hat es geklappt.
nahaufnahmen.ch: Welchen Einfluss hatte die Wüste Arizonas auf die Musik? Wirkt sich die Landschaft generell auf deine Musik aus?
Amparo Sánchez: Ja, selbstverständlich. Nun gut, ich hatte die Songs schon in Spanien geschrieben. Aber John Convertinos Schlagzeug und das Gitarrenspiel von Joey Burns sind ohne Zweifel mit ihrer Herkunft verbunden. Und das ist die Wüste. Eine Wüste, die ausserdem 60 Km von Mexiko entfernt ist, so dass schon zusammen mit der Musik des amerikanischen Südens immer schon auch der mexikanische Einfluss spürbar war. Und dieses Ambiente passte perfekt zu meinen Songs, da meine Hauptinspirationen zur Zeit des Schreibens Mexico und Kuba waren. So gaben die Aufnahmen in Tucson den Songs den passenden Rahmen.
nahaufnahmen.ch: Auf dem Song „Mi suerte“ singst du: „el mundo se hunde sin medida en pobreza, seguro que hay algo que puedas hacer, seguro que hay alguien en quien puedas creer, cambiara tu suerte“ („Die Welt versinkt in massloser Armut, es gibt sicher etwas, das du tun könntest, es gibt sicher jemanden, an den du glauben kannst, ändere dein Schicksal“). Auch andere Songs haben eine gewisse Melancholie, ja fast schon Traurigkeit. Gleichzeitig aber schimmert immer auch etwas Hoffnung durch…
Amparo Sánchez: (unterbricht) Ich schrieb diese Songs, weil ich Antworten brauchte. Ich denke in den Songs sind sowohl die Fragen, als auch die Antworten. So, als würden mir die Songs helfen eine Antwort zu finden, verstehst du? Es ist schon richtig, dass ich mich sehr traurig fühlte, als ich die Songs schrieb. Aus persönlichen Gründen aber auch aus einer globalen Sicht. Ich war desillusioniert von all dem Horror, von dem unglaublichen Ungleichgewicht, das auf der Welt herrscht. Was kann ich denn schon machen? Ich kann doch nichts machen? Aber etwas konnte ich machen. Und zwar konnte ich versuchen eine Stimme zu sein, von allem, was ich sehe und lerne während meinen Reisen. Von allem was mich schmerzte. Und dies aber gleichzeitig auch mit meiner persönliche Ebene verbinden. Daher glaube ich, dass diese Songs sowohl eine gewisse Intimität, aber auch eine globale Vision haben. Im Sinne von: „Was passiert hier?“ Irgend etwas könnte ich doch machen. Diese Songs waren für mich wie ein Rettungsring in einem Moment von grosser Traurigkeit. Sie halfen mir die Dinge aus dieser Sicht zu sehen. Und darum fühlte ich, dass es wichtig war diese Songs aufzunehmen und unter die Leute zu bringen. Damit sie, falls sie auch solche Momente durchleben, etwas Trost finden und weitermachen können.
nahaufnahmen.ch: Du engagierst dich für die Bewegung der Zapatisten in Mexico und du hast Auftritte bei Anti-G8 Gipfeln. Siehst du dich ein wenig als eine Stimme für die Stimmenlosen?
Amparo Sánchez: Also, im Moment, wo ich Songs schreibe, schreibe ich wirklich von Herzen und von meinen Erfahrungen. Ich will schon ein Gefühl vermitteln. Auf persönlicher Ebene möchte ich schon das Gefühl haben, dass ich etwas unternehme. Sei dies nun ein objektiver oder subjektiver Blick auf das, was passiert. Es gibt Songs wie „Corazon de la realidad“, der natürlich der Bewegung der Zapatisten gewidmet ist. Mit dieser Bewegung habe ich mich identifiziert seit sie 1996 begonnen hat. Ich habe teilgenommen, bin in die Gemeinden der Indios gereist (im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, Grenze zu Guatemala, Anm. d. Red.) und ich sehe diese Bewegung wirklich als ein Licht der Hoffnung in dem ungerechten ökonomischen System, in dem wir leben. Aber genauso wie mit den Zapatisten fühle ich mich verbunden mit den Bauern, dem ländlichen Leben, mit Menschen, die sagen, „wir müssen wieder zur Erde zurückkehren“, es gibt nur diese eine. Wir brauchen einen Schritt zurück, eine Re-Evolution, das ständige Wachsen muss aufhören. Mit diesen Menschen kann ich mich identifizieren und dies probiere ich auf eine Weise in meinen Texten zu übermitteln. Aber beim Komponieren der Songs fühle ich mich wirklich frei. Ich schreibe was ich fühle und wenn dann Songs rauskommen, die ich bestimmten Orten oder Menschen widme, dann bin ich zufrieden. Aber ich versuche eine Vision zu haben und diese Vision zu übermitteln, von dem, was ich tagtäglich erlebe.
nahaufnahmen.ch: Wenn wir auf den Anfang deiner Karriere zurückschauen, hast du dir damals jemals vorstellen können, dass du mit deiner Musik um die Welt reist?
Amparo Sánchez: Nein! Niemals. Ich fing an zu singen, weil es mich befreite, weil ich mich frei fühlte beim Singen. Damals war ich 16, heute bin ich 40 Jahre alt. (lacht) Ich konnte mich also frei fühlen und gleichzeitig merkte ich, dass die Leute meine Stimme mochten. So hat alles angefangen in Granada, wo ich aufgewachsen bin, dann ging ich 1995 nach Madrid. In Madrid ging dann alles sehr schnell, ich nahm die erste Amparanoia-Platte auf und die Platte verbreitete sich und ich fing an zu reisen.

nahaufnahmen.ch: War das der Moment wo du dir bewusst wurdest, dass du es mit der Musik schaffen kannst?
Amparo Sánchez: Nun, nein. Schau, ich hab hier Billie Holiday (zeigt mir ihren Ring, mit einem Bild von Billie Holiday). Billie Holiday sang immer im gleichen Club. Und dies war mein Traum als ich anfing, dass ich immer gleichen Club spiele und die Leute kamen, um mich zu sehen. Damals wusste ich nicht, dass ich soviel reisen würde. Dann lernte ich in Madrid Manu Chao kennen und er sagte mir: „Aber, warum bist du immer nur hier? Du musst raus in die Welt, du musst reisen. Du musst der Welt deine Songs zeigen.“ Er war der Erste, der mir die Augen öffnete und plötzlich dachte ich, „ja er hat recht, ich muss reisen und schauen was passiert.“ Das war also zu Beginn kein Ziel oder so, aber danach wurde dann schon eine grosse Neugierde daraus. Später wurde mir bewusst, was ich alles für Erfahrungen machen konnte, wenn ich von meiner Musik leben und reisen konnte. Natürlich könnte ich immer im selben Club spielen aber reisend treffe ich Menschen, die mir ihre Geschichten erzählen. Alles, was ich gelernt habe, sei es bei einem Konzert für die Insassen eines Gefängnisses oder in einem Flüchtlingscamp für die Sahrauis (Bevölkerung der Westsahara, Anm. d. Red) in der Westsahara, all dies wurde mir durch die Musik ermöglicht. Abgesehen also von der Musik, die mir Freiheit gibt, bin ich dankbar für alles, was ich erlebte und kennenlernte durch die Musik und was mir noch bevorsteht.
nahaufnahmen.ch: Siehst du heute die alten Freunde aus Madrider Zeiten noch ab und zu, Manu Chao und Radio Bemba und all die anderen?
Amparo Sánchez: Jaja, natürlich, natürlich. Für mich sind richtige Freunde für immer. Auch wenn es Zeiten gibt, wo man sich nicht so oft sieht. Klar, unsere Leben haben sich verändert, aber als ich zum Beispiel Manu kennenlernte, war ich erst kurze Zeit in Madrid. Und Manu war damals auch eben erst in Madrid angekommen, er gründete gerade Radio Bemba und war in den Vorbereitungen für Clandestino. Er hatte sehr viel freie Zeit damals, war noch nicht ständig unterwegs. In diesen Tagen hatten wir richtig viel Zeit uns kennenzulernen, Manu und Radio Bemba, Joan und Miguel, die heute in der Band La Troba-Kung Fu spielen, mit Dani, der heute bei Macaco dabei ist usw. Wir waren noch nicht so bekannt, reisten noch nicht umher und damals entstanden wirklich Freundschaften fürs Leben. Und heute sehen wir uns seltener, aber wir schaffen es immer noch uns zu treffen. Im Falle von Manu, besteht zwischen ihm, mir und meinem älteren Bruder, der mir immer aufmerksam zuhört wenn ich mit ihm rede, ein wirklich starkes Band, da ist viel Liebe und Kraft zwischen uns. Wir wünschen uns einfach das Beste, helfen uns in schwierigen Situation, machen traurige und frohe Momente zusammen durch. Ja so ist das. Insbesondere Manu ist ein sehr spezieller Freund für mich.
nahaufnahmen.ch: Billie Holiday war eine deiner grossen Inspirationen, bist du mit ihrer Musik aufgewachsen? Oder was für Musik hast du im Hause deiner Eltern gehört?
Amparo Sánchez: Nun, weißt du, wir waren 5 Geschwister, da lief von Bob Marley über Pink Floyd, von Rumba über Flamenco bis zu kubanischer Musik einfach alles. Aber Billie Holiday lernte ich kennen, als ich 16 Jahre alt war. Eine Freundin schenkte mir eine Kassette und meinte, ich müsse diese Sängerin unbedingt hören. Ich war völlig weg und hörte das Ding bis die Töne schon nicht mehr richtig rauskamen (lacht). Und eines Tages fand ich in einem Plattenladen eine LP mit Billie Holiday. Die Musik bekam zum ersten Mal ein Bild. Ich kaufte die LP, obwohl ich keinen Plattenspieler hatte. Später schenkten sie mir ein Bild von Billie Holiday von einem Konzert in Kalifornien. Seit ich 18 bin, hatte ich dieses Bild immer bei mir, heute steht es in meiner Küche. Ja, Billie Holiday war immer eine Inspiration, meine schwarze Mutter, meine spirituelle Mutter.
nahaufnahmen.ch: Dein Lieblingslied von Billie?
Amparo Sánchez: Ich liebe „Strange Fruit“ weil sie es selbst geschrieben hat, aber vom Gesang her, alles. Wirklich alles. Niemand hat je so gesungen wie Billie.
Im Netz:
Amparo Sánchez am Theaterspektakel Zürich
http://www.theaterspektakel.ch/