„Was ich wirklich liebe, sind Leute mit einer starken Message!“
„Was ich wirklich liebe, sind Leute mit einer starken Message!“

Patrice Interview, 4.8.2010, Zürich
Der Sommer war noch in vollem Gange als sich nahaufnahmen.ch mit Patrice auf der Dachterasse des Hotels Helvetia zum Interview traf. Ein anstrengender Tag Promo für sein neues Album „One“ (Erscheinungsdatum 10.9.2010) neigte sich langsam dem Ende zu. Patrice beantwortete dennoch geduldig und gutgelaunt die Fragen über seine neue Platte, Sierra Leone, seinen Vater und sein Soundtrackprojekt zum Film „Women are heroes“.
nahaufnahmen.ch: Du bist bei diesem Album wieder als Produzent tätig, nachdem bei deinem letzten Album andere diese Arbeit übernommen haben. Warum hast Du nun selbst wieder die Zügel in die Hand genommen?
Patrice: Nun, ich habe seit dem zweiten Album immer den Grossteil selber produziert. Bei meinem vierten Album, dem vorherigen zu diesem hier, hat man mir gesagt, ich solle doch mal wieder ein bisschen Kontrolle abgeben. Mich wieder mal produzieren lassen. Und ich dachte, „ja okay, das ist ein Experiment wert.“ Bei meinem neuen Album war es mir aber wichtig die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen und zu produzieren. Und auch noch viel klarer und stärker meine Visionen zu formulieren, mit der Art und Weise wie das produziert ist.
nahaufnahmen.ch: Warst du nicht wirklich zufrieden mit dem Resultat des vorherigen Albums?
Patrice: Das Ding ist, dass ich nie mit dem vorherigen Album zufrieden bin. Das ist ein natürlicher Prozess bei mir und deswegen mache ich meistens auch ein neues. (lacht) Das vorige Album kommt mir aus heutiger Sicht zu glatt vor. Es eckt nicht so an und ich wollte ein Album, das extremer ist und rougher.
nahaufnahmen.ch: Du hast was die Stile anbetrifft mit „One“ ein sehr vielseitiges Album aufgenommen, hast mit verschiedensten Musikern zusammengearbeitet. Wo würdest du denn selber deinen musikalischen Stil einordnen?
Patrice: (überlegt lange). Für mich ist es Future-Retro-Gangster Sound. Man kann das nicht mehr so in eine Schublade schieben. Wenn du dich umschaust, wir wachsen mit allem Möglichem um uns herum auf, durchs Internet und alles kriegt man mehr mit was an Trends auch sonstwo abgeht. Meine Musik ist eine Musik, die das wiedergibt. Es ist eine Musik unserer Zeit. Ich komme aus verschiedenen Kulturen, die in mir wieder eine Art neue Kultur ergeben. Dasselbe ist es mit meiner Musik. Klar, komm ich irgendwo vom Reggae. Aber auf diesem Album findet sich auch Soul, Blues, R’n’B. Neu aufgemöbelt zwar, auch mit ein paar futuristischen Sounds. Ich weiss nicht, eigentlich ist dies eher der Job von euch Journalisten (lacht).
nahaufnahmen.ch: Magst du dieses Denken in Genres generell nicht?
Patrice: Das hat nichts damit zu tun ob ich das mag oder nicht. Denn die Leute machen das ja und brauchen anscheinend diese Art von Stützen. Das verstehe ich auch, das ist menschlich. Aber ich persönlich kann das nicht machen, weil ich mich selbst so nicht sehen kann. Ich hab damit aber überhaupt kein Problem, wenn das für irgend jemand da draussen HipHop ist, dann ist das doch okay. Es ändert nichts daran was es ist. Für mich gibt nur schlechte und gute Musik. Und ich probiere gute Musik zu machen.
nahaufnahmen.ch: Wenn du zurückschaust auf deine jungen Jahre, wer war damals deine Hauptinspiration?
Patrice: Bei mir war es immer so, dass die Inspiration dann kam, wenn ich etwas wirklich geliebt habe. Weil ich das dann in mich aufgenommen habe, das war nie ein bewusstes Ding im Sinne von, „ich will so klingen wie…“. Nun, ich habe Bob Marley sehr geliebt. (lacht herzlich) Davor bin ich viel Skateboard gefahren, da habe ich die 2 Live Crew geliebt. (lacht wieder) Auch viele HipHop Geschichten, ich bin mit HipHop gross geworden, alle Leute um mich herum haben das alles gemacht, all die Aspekte von Breakdance bis Graffiti. Aber ich persönlich mochte was HipHop anging, vor allem so Sachen wie Boogie Down Productions, Public Enemy, Ice-T, Ice Cube, N.W.A. , Snoop Doog und natürlich später die Fugees. Zu Hause waren es eher so Sachen wie Bob Marley und Stevie Wonder, „Songs in the key of life“ `ne Platte, die ich von meinem Vater noch hatte. Tracy Chapman auch. Irgendwann habe ich auch angefangen mehr moderneren Reggae zu hören, Anthony B., Sizzla und Buju Banton. Das hat mich glaube ich inspiriert. Durch mein Gitarrenspiel habe ich aber auch viel Nirwana gehört, Eric Clapton und sein Unplugged-Album, Lenny Kravitz, Metallica sogar, all die Sachen hab ich gehört als ich vor allem Gitarre gespielt habe. Und natürlich Bob Marley und Hendrix. Am Ende waren es halt verschiedene Welten, diese Dancehall-Reggae Welt hat halt nicht viel mit der Gitarrenwelt zu tun. Als ich dann das erste Album der Fugees hörte, „Blunted on reality“ mit diesem Song „Vocab“ mit akustischer Gitarre, da dachte ich: „Aaaah krass, das ist möglich!“ Das fing vorher schon so ein bisschen an bei mir, aber da wurde ich echt dazu ermutigt, diese Welten zu verbinden und was Neues daraus zu machen. So wie ich es jetzt auf „One“ wieder probiert habe.
nahaufnahmen.ch: Dein Vater stammt aus Sierra Leone, er war Dichter und Schriftsteller, inwiefern hat dich das beeinflusst, selber eine künstlerische Karriere einzuschlagen? Bist du in einem besonders künstlerischen Umfeld aufgewachsen?
Patrice: Ich bin in einem Haus aufgewachsen, dass voll mit Büchern war. Voll mit Kunst. Afrikanische Masken und Bilder und so. Schriften meines Vaters, die teilweise in Fragmenten neben den Bildern hingen. Das ist wie ich aufgewachsen bin. Mit viel Musik, viel Blues wurde gehört. Meine ersten Konzerte waren Blueskonzerte, auf die ich mitgenommen wurde. Von Champion Jack Dupree, der ein Freund meines Vaters war. Aber auf der andern Seite war mein Vater eher ein Intellektueller. Er war mehr so schulische Bildung und extra…(überlegt.). Er war straight. Sehr sehr straight. Ich glaub nicht, dass mein Lebensstil, als ich anfing so auf Reggae-Dances zu gehen und Soundsystems zu hören…mein Vater ist ja früh gestorben dann, aber ich glaub nicht, dass er das gut gefunden hätte. Diese Art von Musik, das kam schon mehr von der Strasse, wir haben halt abgehangen und Musik gemacht und so. Da gehörten noch viele andere Aspekte dazu. Aber jetzt bin ich meinen Weg gegangen, und ich denke, dass er das jetzt schon gut finden würde. Zumal ich auch sehr durch ihn beeinflusst bin in der Art wie ich schreibe. Meine Sachen haben schon einen eher poetischen Anspruch und darin hat er mich sehr beeinflusst.
nahaufnahmen.ch: Hast du eine starke Bindung zum Heimatland deines Vaters? Sierra Leone ist ja bei uns im Westen vor allem durch den verheerenden Bürgerkrieg bekannt, warst du mal dort?
Patrice: Ich hab nach wie vor Familie da, hatte `ne Zeit lang eine Wohnung und auch ein Haus. Bis vor drei Jahren war ich öfters da, jetzt nicht mehr so viel. Ich muss mal wieder fahren! Ich mags da sehr, es ist sehr sehr schön. Es ist ein wunderschönes Land, aber die Leute haben halt Angst dahin zu gehen, aufgrund der Sachen, die halt in den Medien breitgetreten wurden. Aber das ist jetzt vorbei. Das ist ähnlich wie in Deutschland, wo man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann, wie es zu so einem grausamen Krieg zwischen den Menschen kommen konnte. Aber es hat da wunderschöne Strände, du hast jede Qualität von Sand, von weiss bis zu dunklerem Sand, es ist wie ein riesiges Naturschutzgebiet ohne Touristen. Es hat coole Leute, sehr viel Musik, sehr positive Leute. Ich weiss nicht. Ich kann nur jedem empfehlen dahin zu fahren.
nahaufnahmen.ch: Du befasst dich in deinen Texten öfters mit sozialkritischen Themen. Beeinflusst dich dabei auch deine Geschichte, deine Herkunft?
Patrice: Wie gesagt, ich komme von einer Schule von Dichtern und Denkern. Mein Vater ist eine Art Aktivist gewesen. Mit `ner Stellung zu Sachen. Und Sachen die ich gut finde, dass ist immer Musik mit Message. Ich finde Musik ohne Message nicht besonders…(denkt nach) ich finde das ganz okay manchmal für so ein bisschen Entertainment. Aber was ich wirklich liebe, sei es Dylan oder Fela (Kuti, Anm. d. Red.) oder Bob Marley, das sind alles Leute mit starker Message. Das ist halt mein Ding. Das ist was ich fühle. Das hat mehr Relevanz und das braucht die Welt mehr als das andere. Aber nicht so „verkopft“, nicht so verbittert. Man will, wenn man weggeht auch mal tanzen und Spass haben. Man will nicht immer auf das ganze Leiden und das Schlechte hingewiesen werden. Ist ja auch verständlich und auch nicht meine Intention. Deswegen habe ich auch verschiedene „Layers“. So ein Lied wie „Up in my room“, da wirst du nie eine Sozialkritik entdecken, aber wenn du tiefer reingehst, wirst du das auch dort sehen. Das ist alles Camouflage. Die Message ist nach wie vor wichtig. Bei „Tambourine Man“ von Dylan siehst du die eigentliche Message erst, wenn du dir das Ding mal so richtig ankuckst und dich fragst, „worüber redet der denn da?“ Das sind so die Sachen, die mich inspiriert haben.

nahaufnahmen.ch: Du hast dieses Jahr einen Soundtrack aufgenommen für den Film „Women are heroes“ von dem französischen Künstler JR, der auch das Artwork für dein Album „One“ gemacht hat. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und hattest du eine besondere Motivation bei diesem Film mitzuwirken?
Patrice: Klar, er ist ein guter Freund von mir und wir denken ähnlich über die Welt und was die Welt braucht. Wir tauschen uns viel aus über Dinge, mögen was wir machen, gegenseitig. Und als es darum ging, dass er Musik brauchte für seinen Film, da kam er auf mich. Und als ich Visuelles brauchte für mein Album, da kam ich auf ihn. Weil, ich denke, es gibt keinen Besseren und ich fühle mich sehr geehrt und privilegiert, dass er das machte. Er ist sehr erfolgreich in dem was er tut, und es ist etwas Besonderes, dass er das gemacht hat. Der Film „Women are heroes“, da geht es letztendlich darum was du eben angesprochen hast. Dass wenn die Leute Berichterstattung machen in Gegenden, wo es Kriege gab oder Slums, dann gehen sie dahin, um krasse Bilder zu zeigen. Wie schlecht es denn Leuten geht und wie gewalttätig es da ist. Danach wird in den Medien gesucht. Aber die andere Seite, die positive Seite, dass da coole Leute leben, die unglaublich interessante Sachen machen…(unterbricht), in diesem Fall geht es dabei nun vor allem um Frauen, die unglaublich stark sind, eine Art Heldinnen sind. Es ist unglaublich, was die auf die Beine stellen. Es geht um diese andere Perspektive auf diese Orte, um einen „universal struggle“ der Frauen. Es ist ein emotionaler und schöner Film, der auch in Cannes für die beste Kamera nominiert wurde. Es ist ein toller Film und ich bin, wie gesagt, geehrt daran mitgewirkt zu haben. Massive Attack haben ja auch Sachen gemacht.
nahaufnahmen.ch: Hattest du die Bilder schon als du die Musik machtest? Wie unterschied sich dein Ansatz von der Arbeit an deinem eigenen Album?
Patrice: Ich hab zu den Bildern komponiert. Mit ihm neben mir, immer so: „Ja, nein, ja, nein.“ Ich habe versucht, zu fühlen was er, der Regisseur in dem Fall, fühlt. So haben wir uns da so rangetastet. Und nachher habe ich dann auch mit einem Orchester aufgenommen, so richtige Filmmusik.
nahaufnahmen.ch: Und hat es Spass gemacht?
Patrice: Oh ja! Das war eine grosse Herausforderung. Es hat sich gelohnt.
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Patrice Live on Tour:
Di. 19.10.2010 Palais X-tra, Zürich
Mi. 20.10.2010 Métropole, Lausanne