„Na putu“ von Jasmila Zbanic

Wenn Glauben verändert

„Na putu – Zwischen uns das Paradies“ von Jasmila Zbanic

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Wie viel Veränderung der Persönlichkeit hält eine Beziehung aus? Dieser Frage geht Jasmila Zbanic im Film „Na putu – Zwischen uns das Paradies“ auf den Grund. Ihrem grandiosen Debutwerk „Grbavica – Esmas Geheimnis“ folgt damit eine ähnlich einfühlsame Studie menschlicher Gefühle und Überzeugungen, wenn auch die Geschichte eines jungen muslimischen Paars im Clinch zwischen westlichem Lebensstil und muslimischer Tradition allzu oft von Klischees Gebrauch macht und trotz gekonnter Inszenierung nicht an das Erstlingswerk herankommt.

Von Simon Wottreng.

Luna und Amar sind ein junges Paar und leben in der pulsierenden Hauptstadt Sarajewo. Beide verfolgen erfolgreich eine Karriere – er arbeitet als Fluglotse, sie als Stewardess – und geniessen ihr westlich geprägtes Leben in vollen Zügen. Bis zu dem Tag, als Amars Trinkgewohnheiten im Tower auffliegen und er seinen Job verliert. Der Zufall will es, dass Amar Bahrija, einen alten Kameraden aus dem Krieg, trifft, dessen religiöse Standfestigkeit ihn irgendwie beeindruckt. Der überzeugte Muslim wahabbitischer Prägung – eine konservative muslimische Strömung – besorgt Amar nicht nur eine Arbeitsstelle auf dem Land, sondern macht ihn in den folgenden Wochen auch mit dem Weltbild des fundamentalistischen Islams vertraut.

Allah versus Alkohol

Zurück in Sarajewo ist Amar von seiner Alkoholsucht geläutert, doch scheint er sich zu einem anderen Menschen zu wandeln: Regelmässiges Beten und Moscheebesuche  beginnen den Tagesablauf zu bestimmen, und plötzliche Kritik am westlichen Lebensstil stellen die Beziehung mit der weltoffenen Luna auf die Probe. Leon Lucev mimt den sympathischen, aber von Zweifel gebeutelten Amar äusserst glaubwürdig. Zrinka Cvitesic, an der Berlinale als „Shooting Star“ ausgezeichnet, scheint hingegen der Rolle der überforderten Luna nicht ganz gewachsen, bleibt ihre Mimik den ganzen Film über doch sehr stoisch, der Charakter Lunas unnahbar.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Mit der Erzählung aus Lunas Perspektive verfolgt Regisseurin Zbanic das Ziel, nicht Amars Beweggründe für seinen Lebenswandel, sondern dessen Auswirkungen auf seine Liebesbeziehung ins Zentrum zu stellen. Die Konsequenz – was auch Zbanic in einem Interview bestätigt – ist, dass der Inhalt Amars ideologischen Hafens sekundär wird: „In den 1980ern hätte ich Amar vielleicht zu einem radikalen Kommunisten gemacht. Mich hat bei diesem Film die Veränderung im Innern einer Person interessiert. Der Islam ist dabei mehr eine Metapher.“. Nichtsdestotrotz bekommt Religion in „Na putu“ ein immenses Gewicht, und gerade deswegen müsste deren Darstellung wenigstens gut ausgearbeitet sein. Dies ist in jedoch nicht der Fall; Zbanic verharrt in der Inszenierung sektiererisch anmutender ritueller Handlungen konspirativer Bruderschaften. Der tatsächliche Aspekt einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte einer lebendigen Religion bleibt unangesprochen.

Der Krieg

Weitgehend unbemerkt schleicht sich im Laufe des Films eine zweite thematische Ebene ein: Jene der Vergangenheitsbewältigung – und diese ist in Bosnien-Herzegowina nicht vom Krieg zu trennen. Wie schon in „Grbavica“ schafft es Zbanic, die vergangenen Schrecken ohne deren Visualisierung und nur mit kleinen Andeutungen fühlbar zu machen. Alkohol vermag Amars seelische Kriegsverletzungen nur oberflächlich zu betäuben; die mit Bahrija geteilten Erinnerungen von der Front hingegen schaffen ein tiefes Band zwischen den beiden Männern, welches für Amars religiöse Empfänglichkeit mitverantwortlich und von Aussenstehenden nur schwer nachvollziehbar ist. Auch Luna trägt die Last des Kriegs mit sich: Ihre Beziehung zur Grossmutter ist deswegen so tief, weil die beiden Frauen die kaltblütige Erschiessung ihrer Mutter, bzw. Tochter, zu beklagen haben. Und wenn Luna in Tränen ausbricht, als sie zum ersten Mal das Haus ihrer Kindheit aufsucht, so begreifen wir, dass auch ein zukunftsgerichtetes Leben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit nicht ersetzen kann.

Fragen stellt „Na putu“ viele, Antworten gibt er wenige. Dies wäre angesichts der Vielschichtigkeit der Thematik auch vermessen. Menschen verändern sich, und Beziehungen sind nicht voraussehbar. Das „Dubioza Kolektiv“ drückt es im Titelsong des Films treffend aus: „Jeden Tag träume ich von einer Autobahn, doch ich sehe nur Nebenstrassen“. Eine Zeile, die sowohl für das gesellschaftlich im Umbruch begriffene Nachkriegsbosnien, wie auch für das Leben an sich stehen kann.


Seit dem 7. Oktober 2010 im Kino.

Originaltitel: „Na putu“ (Bosnien-Herzegowina 2010)
Regie: Jasmila Zbanic
Darsteller: Zrinka Cvitesic, Leon Lucev, Ermin Bravo
Genre: Drama
Dauer: 100 Minuten
CH-Verleih: Trigon Film

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