Thomas Steinfeld: „Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann“

Verführung missglückt

Thomas Steinfeld: „Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann“ (Sachbuch)

Was ist gutes Deutsch? Wer, der schreibt – oder Bücher liest – hat sich diese Frage noch nie gestellt? Weshalb versteht man die Sprache von Managern oft nicht? Was macht ein Wort stark im Ausdruck? Welche Zeitform ist wann zu verwenden? Diese und noch viele weitere Fragen wirft Thomas Steinfeld auf – und beantwortet sie teilweise. – Sprachlich mehrheitlich gut, inhaltlich akzeptabel, mehr aber auch nicht.

Von Andrea Müller-Schmuki.

dersprachverführerBeinahe inhaltslose Phrasen sind es, die uns Vorstandsmitglieder, Manager, aber auch Wissenschaftler immer wieder vorsetzen, die man beim Hören kaum und selbst beim Lesen oft erst beim zweiten Mal verstehen kann. Was solche Phrasen ausmacht und wie man sie umgehen kann, zeigt Thomas Steinfeld auf. Dabei spricht er von der Wirkung verschiedener Wörter. Er geht auch auf die Verwendung von Präfixen, Präpositionen, Verben und Substantiven, von Zeitformen, Modi, Satzkonstruktionen, Haupt- und Nebensätzen und Partizipien ein. Dabei bedient sich Steinfeld immer wieder Beispielen aus der Literatur.

Literatur und Interpretationen

Wo, wenn nicht in der Literatur, findet man Beispiele für gute Sätze oder für die Verwendung von grammatikalischen oder stilistischen Elementen? Steinfeld verwendet in seinem Buch Sätze von E.T.A. Hoffmann, von Günter Grass, von Lessing, Goethe, Schiller, Peter Handke, Hölderlin, Brecht, Brigitte Kronauer, Büchner, Heine und vielen anderen. Dabei führt er dem Leser immer wieder die Eigenarten und die Schönheit der deutschen Sprache vor Augen und zeigt auf, wie unterschiedlich die Sprache verwendet werden kann. Bei einzelnen Beispielen gerät er jedoch in allzu ausführliche und teilweise auch kaum haltbare Interpretationen, wobei er nicht nur an einem einzelnen Satz alle möglichen Dinge ablesen zu können glaubt, sondern dem Autor auch schwer belegbare Absichten unterstellt.

Über Geschichte

Thomas Steinfeld lässt seinen Leser glauben, es habe keine katholischen Schriftsteller gegeben bis um 1900. – Gab es also überhaupt keine Literatur, keine Schriftsteller bis zur Reformation? In seiner Auslegung über die Sprach- und Literaturentwicklung lässt Steinfeld nicht nur ganze Jahrhunderte, sondern auch grossartige Autoren wie Otfried von Weissenburg, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Strassburg oder Hartmann von Aue ausser Acht, wie wenn diese nicht immensen Einfluss auf die Sprache und die Literatur gehabt hätten.

Martin Luther habe als erster eine deutsche Sprache geschaffen, die jeder verstanden habe, schreibt Steinfeld. Ohne Luthers grossartige Leistungen schmälern oder seine enorme Wirkung anzweifeln zu wollen, so ist das wohl doch nicht ganz korrekt, denn der deutsche Sprachraum reichte schon im 16. Jahrhundert von der Nordsee bis zu den Alpen und vom Elsass bis nach Siebenbürgen und darüber hinaus. Und die Dialektvielfalt und die Unterschiede zwischen den einzelnen Dialekten waren zu der Zeit bestimmt nicht geringer als heute. Ausserdem: Martin Luthers Bibelübersetzung als „de[n] einzige[n] Klassiker, den es in der Geschichte der deutschen Sprache wirklich gibt“, zu bezeichnen, ist auch sehr gewagt.

Orthographie und Stil

Gutes Deutsch, präzise, sinnvolle Zeichensetzung und korrekte Rechtschreibung – auch das sind Themen in „Der Sprachverführer“. Dabei werden verschiedenste Stile aufgezeigt. Es ist die Rede von der Eleganz und Steifheit Goethes, von der Kriegssprache Heiner Müllers, von Passagen bei Kleist bis hin zum einfachen Stil Brechts. Während Thomas Steinfeld das gute Deutsch immer wieder lobt, so kritisiert er gleichzeitig etwa die französische Orthographie, da sie den Klang der Sprache nicht erfasse. Wie bitte sehr ist das denn beim Deutschen? Ginge es nur um die Klangerfassung, gäbe es längst kein „q“ mehr, das Wort „und“ müsste auf „t“ enden und es müsste eine spezielle Schreibweise für „ng“ geben. Wie wäre es ausserdem mit je zwei Schreibvarianten von „ch“ und „st“? Diese Auflistung liesse sich noch um einiges verlängern, doch das würde zu weit führen!

Dennoch gibt es in „Der Sprachverführer“ durchaus auch Positives, doch als Stilkunde, die dem Leser vermitteln soll, was gutes Deutsch ist, ist das Buch nicht geeignet.


Titel: Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann
Autor: Thomas Steinfeld
Verlag: Carl Hanser Verlag
Seiten: 271
Richtpreis: CHF 26.90

2 thoughts on “Thomas Steinfeld: „Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann“

  • 16.10.2010 um 14:27 Uhr
    Permalink

    Ich finde euren Schreibstil ja immer wieder göttlich 🙂 Bleibt bitte noch lange so

  • 27.05.2011 um 12:58 Uhr
    Permalink

    Ich habe im Internet diese Stelle aufgesucht, nachdem ich im Feuilleton der SZ vom 25.5.11 einen Beitrag jenes Thomas St. zur Philosophie des Städtebaus gelesen habe. Ich wollte vielleicht einen Leserbrief an die SZ schicken, einen sehr kritischen, betreffend das hochstaplerisch-hochtrabende Geschwafel jenes Herrn. Und nun muss ich erfahren, dass dieser selbe sich in einem Buch über Sprachqualität ausgelassen haben soll. Ich versteh die Welt nicht mehr, trotz meiner 75 Jahre.
    Tilo Kopp, Hamburg

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