„Oh, ich habe eben dein Album runter geladen, es ist toll und vielleicht kaufe ich es mir.“
„Oh, ich habe eben dein Album runtergeladen, es ist toll und vielleicht kaufe ich es mir.“

Interview Morcheeba, 26.10.2010, Zürich
nahaufnahmen.ch traf sich im X-tra vor dem Zürcher Konzert von Morcheeba mit der charmanten Sängerin Skye zum Interview. Ganz in schwarz gekleidet, wartete sie an ihrem Apple in einem kargen Zimmerchen backstage und nahm sich dann jede Menge Zeit für die Beantwortung der Fragen. Ein Gespräch über Vergangenheit und Zukunft, illegale Downloads und die Erfahrungen nach 15 Jahren Musikbusiness.
nahaufnahmen.ch: Nach dem Caprices-Festival und dem Blueballs-Festival seid ihr nun an drei aufeinander folgenden Abenden wieder in der Schweiz. Dass eine Band von eurem Kaliber während eines halben Jahres fünf Mal in der Schweiz auftritt, ist für uns ziemlich ungewöhnlich. Gibt es einen speziellen Grund warum ihr so oft hier spielt?
Skye: Nun, schlussendlich kommt es nur auf die Fans an. Wir haben uns hier immer schon gut verkauft, auch mein Soloalbum „Mind how you go“ lief hier recht gut. Es gibt viele Orte, wo wir schon länger nicht mehr waren und wo wir gerne hin gehen würden. Schweden und Norwegen zum Beispiel. Aber irgendwie scheinen wir dort einfach nicht so viele Platten zu verkaufen. In der Schweiz, Deutschland und Frankreich hingegen ist die Nachfrage nach uns da.
nahaufnahmen.ch: Nach sieben Jahren Pause hast du nun zusammen mit den Godfreys in der Originalformation von Morcheeba ein Album aufgenommen. Wenn man sich „Blood like lemonade“ anhört, dann spürt man sofort: „Da ist wieder der alte Morcheeba-Sound.“ War das für euch ähnlich?
Skye: Nun, ich denke, dass der Morcheeba-Sound, an den die Leute sich erinnern, meine Stimme drin hatte. Wenn du nun also dieses fehlende Element hinzufügst, dann bist du sofort wieder da, wo wir vor sieben Jahren aufgehört haben. Klar, die Jungs haben noch zwei Alben mit verschiedenen Sängerinnen aufgenommen, aber wir waren uns schon bewusst, dass wir wirklich etwas machen wollten, dass die alten Fans lieben würden. Wir haben schon auch Sachen ausprobiert, die wir vorher nicht so machten. Textlich haben wir vermehrt die Erzählperspektive von verschiedenen Charakteren gewählt. Melodisch habe ich auch versucht, mich weiter zu entwickeln. Ein Song wie „Crimson“ ist ein typischer Morcheeba-Song, aber wenn du zum Refrain kommst, unterscheidet sich die Art und Weise wie ich singe total von anderen Morcheeba-Songs. Es ist also ein bisschen wie neugeboren zu werden. Aber „alt“ neugeboren zu werden. (lacht)
nahaufnahmen.ch: Nachdem du für deine Soloalben die Texte selber geschrieben hast, singst du nun wieder Texte von Paul Godfrey. Hattest du Mühe damit, wieder die Texte von jemand anders zu brauchen?
Skye: Nun, ich war zu Beginn nervös, da ich mit dem letzten Song, den wir zusammen machten, nicht wirklich zufrieden war. Das war „What’s your name“ aus dem „Part of the Process“-Album. Der Text war mir einfach nicht tiefgründig genug. Ich hatte auch weder „The Antidote“ noch „Dive Deep“ gehört und wusste also nicht was Paul (Godfrey, Anm. d. Red) jetzt für Texte schrieb. Den ersten Song den wir nun zusammen machten, war „Crimson“. Ich sang die Melodie des Songs, mailte sie Paul und er schickte mir darauf den Text. Ich war dann aber glücklich über die Richtung, die er einschlug. Es waren eher etwas dunklere Lyrics, ähnlich wie ich sie auf meinem zweiten Soloalbum „Keeping secrets“ auch selber schrieb.
nahaufnahmen.ch: Ihr habt euch für dieses Album das Song-Material gegenseitig per Email geschickt. Paul lebt in Südfrankreich, Ross in Kalifornien und du in England. Wie war das früher und magst du es auf diese Art zu arbeiten?
Skye: Für das allererste Album, das wir aufnahmen, ging ich zu den Jungs in ihre kleine Wohnung und wir waren die ganze Nacht wach und feilten an Ideen. Ross jamte die ganze Zeit auf seiner Gitarre. Später als wir etwas Geld verdienten, kauften wir uns ein Studio und arbeiteten dort. Für „Fragments“ (Das Album „Fragments of Freedom“, Anm. d. Red) schickten sie mir ihre Ideen auf Mini-Disc, ich feilte dann zuhause daran und kam später ins Studio. Es war also dieses Mal gar nicht so verschieden. Ausser das wir alle in verschiedenen Ecken der Welt wohnen. Wir haben über die Idee gesprochen alle wieder gemeinsam ins Studio zu gehen, aber ich ging damals gerade auf Tour, um „Keeping secrets“ zu promoten. Ich traf Ross im September 2009 und ging dann im Oktober und November auf Tour. Es war schlicht unmöglich zusammen ins Studio zu gehen. Und so schickten sie mir ihre Ideen, ich lud sie ins „Garage Band“ (Musik-Programm von Apple, Anm. d. Red) auf meinem MacBook und mailte ihnen meine Melodie-Ideen. Auf diese Weise kommunizierten wir auf eine gewisse Weise sogar mehr als wir das früher getan hätten. Weil wir wirklich sicher gehen mussten, dass wir alle auf der gleichen Wellenlänge waren. Es gab sehr viel Mailkontakt und manchmal ist es auch einfacher so zu kommunizieren. Wenn dir nämlich etwas nicht so gefällt, dann ist es einfacher dies dem Gegenüber zu schreiben. (lacht) Aber es hat wirklich gut geklappt. Es kommt hinzu, dass jeder von uns ein Studio zu Hause hat. Paul hat eines in Frankreich, ich habe eines bei mir zu Hause und Ross hat seine Gitarren-Ideen bei sich aufgenommen. Es ist einfach angenehm, wenn du zu Hause aufnehmen kannst. Ich hab alle Vocals bei mir zu Hause aufgenommen. Ross kam zu mir nach Hause, denn wir mieteten jede Menge Equipment für meine Aufnahmen. Er baute alles auf und liess mich dann allein. Das ist richtiger Luxus, wenn man zu Hause aufnehmen kann. Am Abend wenn die Kinder im Bett sind und man Zeit für sich hat. Ich würde es sehr gerne wieder so machen, falls wir nochmals ein Album aufnehmen.

nahaufnahmen.ch: Denkst du das Resultat wäre ein anderes, wenn ihr das Album so wie früher aufgenommen hättet?
Skye: Ja ich denke schon. Für gewisse Ideen wäre ich wohl etwas zu schüchtern gewesen mit Paul und Ross im Studio. Es gab zu Hause nur mich und Steve Gordon, mein Ehemann. Es war einfacher so Ideen auszuprobieren, die ich im Studio eher nicht ausprobiert hätte. Das Resultat wäre wohl nicht sehr verschieden gewesen, aber es hätten wohl definitiv einige Sachen gefehlt.
nahaufnahmen.ch: Auf den alten Alben hattet ihr immer sehr illustre Gäste mit dabei, z. B. die Rapper Biz Markie, Slick Rick oder den Sänger Kurt Wagner. Auf „Blood like lemonade“ fehlen die Gäste. Warum?
Skye: Ich hätte eigentlich gerne jemanden mit dabei gehabt, auf „Selfmade men“ könnte ich mir auf jeden Fall einen Rapper vorstellen. Und es gab auch Gespräche darüber, ein Duett auf diesem Beat zu machen. Aber Paul denkt, die Morcheeba-Fans mögen die Rap-Parts auf den Songs nicht. Er hat irgendwie das Gefühl, die Fans würden bei den Raps sofort vorspulen und sich das nicht anhören. Also wollte er keinen Rap auf diesem Album haben. Ausserdem hat er mit den Raphelden seiner Jugend, Biz Markie und Slick Rick schon gearbeitet. Er ist halt ein Fan von Oldschool Hiphop und mag die neuen Sachen nicht so. Ich hätte wirklich gerne einige Kollaborationen gemacht, aber dieses Mal hat es einfach nicht sollen sein.
nahaufnahmen.ch: Gibt es jemanden mit dem du gerne zusammen arbeiten würdest?
Skye: Ich würde sehr gerne mit André 3000 (die eine Hälfte des Rapduos Outkast, Anm. d. Red) etwas machen, er ist wirklich cool. Und wir sind sehr verschieden, darum glaube ich, dass es eine interessante Konstellation wäre zwischen uns beiden.
nahaufnahmen.ch: Du bist nun 15 Jahre im Musik Business und viele Dinge haben sich verändert. Die Plattenverkäufe sind eingebrochen, das Publikum downloaded sich die Musik und in jedem Land werden neue „Musik-Stars“ in irgendwelchen TV-Shows gesucht. Wie siehst du das Business heute und was für Positives kannst du beispielsweise dem Internet abgewinnen?
Skye: Ich denke das Positive an der modernen Technik ist, dass jede Menge talentierte Leute da draussen die Möglichkeit haben, ihre Musik anderen zugänglich zu machen. Du kannst auf deinem Laptop ein Album aufnehmen und es ins Netz stellen. Das ist schon grossartig. Die Kehrseite ist, dass die Menschen sich daran gewöhnt haben, Musik gratis zu erhalten. Ich habe zwei Töchter im Teenageralter und sie haben sich einfach daran gewöhnt, Musik einfach zu downloaden. Nein, sie downloaden es nicht einmal mehr, sie streamen es. Meine Tochter hört sich die meiste Musik auf Youtube an, anstatt sie selber zu besitzen. Na ja, ich denke, dass ist schon eine Schande eigentlich. Ich denke Morcheeba hatte Glück, denn wir hatten immer unser eigenes Studio und hatten die Einrichtungen unsere eigene Musik aufzunehmen. Zudem waren wir immer eine hart arbeitende Touring-Band. Wir haben also immer noch die Möglichkeit Geld mit Tourneen zu verdienen. Es ist schon schwieriger für jüngere und unbekanntere Bands…(unterbricht). Nein weißt du was? Ich habe es mit meinem zweiten Soloalbum „Keeping secrets“ selber erlebt. Ich habe es ohne die Hilfe einer Plattenfirma released, weil ich mit „Mind how you go“ fühlte, dass es eine Art Hindernis war, auf einem grossen Label zu sein.
nahaufnahmen.ch: Weshalb?
Skye: Nun, sie haben mich einfach nicht wirklich unterstützt. Wenn du bei einem grossen Label nicht die Top-Priorität bist, dann fühlt es sich an, wie wenn du ständig gegen eine Wand läufst. Obwohl ich mit dem Song „Love Show“ Erfolg hatte. Er wurde in „Grey’s Anatomy“ gespielt und später auch noch in einem Werbespot in den USA gebraucht, aber diese Möglichkeiten wurden dann nicht mehr weiter gepusht. Also dachte ich: „Bei Keeping secrets mache ich es einfach alleine.“ So habe ich es dann via iTunes veröffentlicht. Aber wenn die Leute es bei iTunes nicht kaufen…(unterbricht) ich habe immer noch Musiker, die nicht bezahlt wurden, weil ich selber noch nicht mal bezahlt wurde. Es gibt Fans da draussen, die mir schrieben: „Oh, ich habe eben dein Album runter geladen, es ist toll und vielleicht kaufe ich es mir.“ Es ist unfassbar, dass sie die Frechheit besitzen, mir zu sagen, dass sie mein Album illegal runter geladen haben. Als ich in dieser Situation war, habe ich realisiert, dass, wenn für die Musik kein Geld mehr bezahlt wird, ich meine Musiker nicht mehr bezahlen kann und auch nicht mehr auf Tournee gehen kann. Es ist wirklich eine Schande. Gleichzeitig musst du aber rausgehen und touren, es ist teuer, aber auch ein Weg um deine Musik unter die Leute zu bringen. Du kannst an den Shows CDs verkaufen und das Live-Erlebnis kann man glücklicherweise noch nicht downloaden. Deshalb gibt es immer noch Leute, die sich Bands live anschauen gehen. Gleichzeitig aber gibt es jede Menge Bands da draussen, die eben auch nicht mehr nur über CDs ihr Geld verdienen. Und man weiss auch, dass den Leuten nur eine gewisse Zahl an Franken, Dollars und Pfunden zur Verfügung steht, um sich Bands anzusehen. Man kann nicht an jedes Konzert gehen. Darum ist der Markt für Live-Musik momentan ziemlich überflutet.

nahaufnahmen.ch: Vor 8 Jahren habt ihr hier in Zürich im Hallenstadion gespielt…
Skye: …Oh ja, das ist das Stadion mit der Rennbahn, oder?
nahaufnahmen.ch: Genau. Heute spielt ihr hier im X-tra, einem Club, der meiner Meinung nach viel besser zu eurem Sound passt…
Skye: …Auf jeden Fall, ja. Aber ich denke, wir können überall spielen. Sei es auf Festivals oder wie diesen Sommer eine Privatshow auf Sardinien für 100 Leute. In einem wunderbaren kleinen Sushi-Restaurant. Ich glaube, dass war der Geburtstag von irgendeinem Russen. Wir passen irgendwie überall hin. Ich freue mich aber sehr auf heute Abend, es ist ausverkauft und wird voller Energie sein. Voll gepackt mit Leuten, die uns wirklich sehen wollen. Ich freue mich darauf. Der andere Ort, das ist wirklich ein Stadion, oder?
nahaufnahmen.ch: Ja, es wird auch als Eishockeystadion gebraucht und fasst über 10 000 Plätze.
Skye: Nun, wenn es schon grosse Konzerte sein sollen, dann bevorzuge ich die Open-Air Festivals. Wir haben zum Beispiel in Portugal an einem Festival vor 80 000 Leuten gespielt, es war draussen und es fühlte sich richtig gut an. Das ganze Stadion-Ding…(unterbricht) wir spielten im gleichen Jahr in London in der Brixton Academy zweimal hintereinander für je 4000 Leute. Wir bevorzugen zwei Gigs in einer kleineren und gemütlicheren Location, als ein Gig in einer Arena. Arenen können manchmal etwas kalt sein.
nahaufnahmen.ch: Wie geht es nun mit Morcheeba weiter?
Skye: Ich glaube die Jungs lassen mich nicht so schnell wieder gehen. (lacht) Ross hat bereits eine CD mit weiteren Ideen für mich parat. Ich würde auch gerne nochmals zu „Keeping secrets“ zurückgehen. Wie bereits gesagt, ich habe Ross im September 2009 getroffen, dann habe ich während sechs Wochen mein Album promotet. Sechs Wochen um ein Album zu promoten, das ist meiner Meinung nach ziemlich gut (lacht). Ich hab die Promotion dann auf Eis gelegt, um an „Blood like lemonade“ zu arbeiten. Aber ich würde wirklich gerne „Keeping secrets“ re-releasen und vielleicht noch einige Shows anhängen, um es nochmals zu promoten. Mal schauen, ich werde ein neues Morcheeba Album sicher nicht ausschliessen. Wir haben auf dieser Tour gesehen, dass die Fans immer noch da sind. Seit ich zu Morcheeba zurückgekehrt bin, hat sich die Anzahl der Fans auf Facebook verdoppelt. Ich glaube nicht, dass ich jetzt sagen kann: „Ich mach nicht mehr weiter!“ (lacht). Wir kommen wieder gut miteinander aus, wir haben Spass an den Live-Shows, aber ich hoffe, ich kann beides kombinieren. Ich liebe es, mein Soloprojekt zu haben und genauso gerne bin bei Morcheeba. Ich weiss noch nicht wie genau wie, aber irgendwie will ich dies kombinieren. Im Stile von Will.I.AM., der ein festes Mitglied von Black Eyed Peas ist, aber genauso auch als Solokünstler Will.I.Am wahrgenommen wird. Vielleicht gibt es auch für mich eine Karriere sowohl als Skye als auch als Morcheeba.