Christoph Marzi: „Lyra“

Glaube nicht alles, was du hörst

Christoph Marzi: „Lyra“ (Roman)

Wer glaubt schon alles, was er hört? Was aber, wenn einem keine andere Wahl bleibt? Im neuesten Werk des bekannten deutschen Fantasyautoren, einer Fortsetzung seines letzten Romans „Fabula“, begegnet der Leser erneut Menschen, die das Talent besitzen, Geschichten wahr werden zu lassen.

Von Stefanie Feineis.

lyraNoch vor kurzem wähnte sich Danny Darcy am Ziel seiner Wünsche. Als Frontmann und Texter der Folkband „Dylan’s Dogs“ verdiente er zwar kein Vermögen, hatte aber die Chance, Geld mit seiner grössten Leidenschaft zu verdienen, der Musik. Als dann auch noch seine Frau Sunny schwanger wird, scheint das Glück des Paares vollkommen. Doch Danny hütet ein düsteres Geheimnis.

Familienerbe

Dannys Mutter Helen, über die er nur ungern spricht, wurde mit einem besonderen Talent geboren, das seit Jahrhunderten in der Familie Darcy weitervererbt wird: sie ist eine Sherazade. Als solche vermag sie Geschichten lebendig werden zu lassen; und alles, was sie erzählt, wird so real, dass Zuhörer nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fantasie unterscheiden können. Als Kinder fanden Danny und sein Bruder Colin dies faszinierend, doch sie mussten auch erleben, wie Helen ihr Talent mehrfach benutzte, um andere zu manipulieren. Obwohl Danny die geheimnisvolle Fähigkeit ebenfalls besitzt, schwor er sich, diese nie leichtfertig zu benutzen, und brach den Kontakt zur Mutter vollkommen ab. Helen will dies jedoch nicht so einfach akzeptieren: Aus Rache erzählt sie Dannys Frau, er habe sie betrogen, und die Lüge wird in Sunnys Vorstellung zur Wahrheit. Sie verlässt Danny umgehend und reicht die Scheidung ein.

Auf Irrwegen

Mit seiner Frau und seinem ungeborenen Kind verliert Danny auch das Talent, Texte zu schreiben. Keine einzige Zeile will ihm mehr gelingen, und die Sehnsucht nach Sunny wird allmählich auch unerträglich. So macht er sich auf die Suche nach Hilfe und kontaktiert zunächst einen Sängerkollegen, der ebenfalls die Gabe einer Sherazade besitzt. Dieser stellt klar, dass es nur eine Lösung gibt: Danny muss gemeinsam mit seiner Frau eine Gruppe von geheimnisvollen Frauen aufsuchen, die sogenannten Sirenen. Nur diese haben die Macht, die Lüge seiner Mutter zu entkräften. So macht sich Danny mitsamt der misstrauischen Sunny auf den Weg in die Sümpfe von Louisiana und nach zahlreichen Irrwegen gelingt es ihm endlich, die Sirenen zu finden. Doch diese erweisen sich als heimtückisch: sie entführen Sunny und verlangen eine Gegenleistung für ihre Freilassung: die sagenumwobene Lyra, das Instrument des Gottes Hermes. Für Danny beginnt eine neue fieberhafte Suche…

Keine leichte Lektüre

Marzi gelingt zweifellos eine in der heutigen Fantasyliteratur selten gewordene Kunst: er erzählt eine neuartige Geschichte, die man so garantiert noch nie gehört hat. Allerdings muss der Leser bereits zu Beginn wissen, dass die Lektüre dieses Buches nicht nur Unterhaltung bietet, sondern auch einiges fordert. Die erzählte Geschichte ist nämlich sowohl symbolisch als auch philosophisch und setzt sich mit dem Hintergrund und der Beschaffenheit der Musikindustrie, dem Einfluss von Geschichten und Literatur und nicht zuletzt auch mit der Macht der menschlichen Fantasie auseinander. Zum besseren Verständnis dieser tieferen Ebene ist ein grundlegendes Wissen über die griechische Mythologie und gewisse Legenden nicht nur sehr hilfreich, sondern fast unabdingbar. Auch die Erzählweise ist dem Thema angepasst: statt rasanter Aktion erwartet den Leser eine langsame, tiefgründige Suche.

Ein ungewöhnliches Fantasybuch, das jedoch wegen seines hohen Anspruchs am besten für Fans von Marzi oder an der Thematik interessierte Leser geeignet ist.


Titel: Lyra
Autor: Christoph Marzi
Verlag: Heyne
Seiten: 432
Richtpreis: CHF 24.90

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