Benedict Wells: „Spinner“
Benedict Wells: „Spinner“ (Roman)
Wenn sich einer im Keller verkriecht
In seinem zweiten Buch erzählt der junge Autor Benedict Wells die turbulente und doch einsame Odyssee eines etwa gleichaltrigen Schriftstellers durch Berlin und die Wirren des Erwachsenwerdens.
Von Stephan Sigg.
Es geht drunter und drüber in Wells zweitem Roman: Viele Turbulenzen, eine Menge skurrile Begegnungen, mehrere Tragödien und ein rasanter Szenenwechsel. Das Buch ist nichts für schwache Gemüter – hier sitzt man in einem Hochgeschwindigkeitszug. Dabei fängt alles ganz positiv an: Jesper, gerade das Abi in der Tasche, stehen alle Türen offen. Doch im Gegensatz zu den anderen Abiturenden hat er kein Studium und keine Berufsausbildung im Sinn, sondern nur ein einziges Ziel vor Augen: Schriftsteller zu werden. Und so stürzt sich der Münchner in den pulsierenden Kosmos von Berlin.
Im eigenen Leid suhlend
Nein, Jesper wird kein Party-Tiger. Ganz im Gegenteil: Er ist zum Arbeiten in die Hauptstadt gekommen. Berlin soll der Entstehungsort seines grossen Romans werden – ein atemberaubendes, wenn auch unlesbares Werk von 1000 Seiten, das den vielversprechenden Titel „Der Leidgenosse“ trägt. An diesem Projekt arbeitet Jesper Nacht für Nacht in seiner Kellerwohnung. Diese „Streichholzschachtel“ wird immer mehr zu seinem Rückzugsort, zu seinem Panzer gegen die Welt. Seine Aversion gegen die Gesellschaft und die selbstfeiernde Stadt hat ihn zu einem verschrobenen Einzelgänger gemacht. Er verbringt die Tage damit, sich über alles und nichts den Kopf zu zerbrechen. Kein Geld, kein Essen, keine Freundin in Sicht – einfach alles irgendwie sinnlos. Da können er und auch der Leser nur so vom Glück reden, dass plötzlich Jespers Freunde Gustav und Frank auftauchen und alles versuchen, den in seinem Leid Suhlenden ordentlich wachzurütteln.
Ein Leben im Pausenmodus
Wells Geschichte ist die Geschichte über einen jungen Mann, der mit den Anforderungen des Erwachsenenlebens überfordert ist, und der irgendwann dann tatsächlich ohne fremde Hilfe keinen Schritt mehr weiterkommen würde. Es ist tragisch und komisch zugleich, zu beobachten, wie der Protagonist sein Leben meistert, das sozusagen im Pausen-Modus festgefroren zu sein scheint.
Man lässt sich gerne von Wells unterhalten, wenn nicht sogar von seinem Sog mitreissen. Trotzdem wünscht man sich irgendwann, es wären einige der Tagträumereien und Halluzinationen gestrichen und der flapsige Ton etwas kleiner dosiert worden. Wells orientiert sich an den grossen Pop-Literaten des letzten Jahrzehnts und der Gegenwart. Beim jugendlichen Publikum wird er damit bestimmt auf Begeisterung stossen.
Titel: Spinner
Autor: Benedict Wells
Verlag: Diogenes
Seiten: 306
Richtpreis: CHF 20.90